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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

47–49

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Hasselhoff, Görge K., and Alexander Fidora [Eds.]

Titel/Untertitel:

Ramon Martí’sPugio Fidei. Studies and Texts.

Verlag:

Santa Coloma de Queralt: Obrador Edèndum 2017. 268 S. = Exemplaria scholastica, 8. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-84-947566-1-0.

Rezensent:

Matthias Morgenstern

Der um 1280 geschriebene antijüdische Traktat Pugio Fidei (»Glaubensdolch«) des katalanischen Dominikanermönchs Ramon Martí (Raymundus Martinus, ca. 1220 – ca. 1285) gehört zu den wichtigs-ten Quellen der jüdisch-christlichen Kontroversliteratur des europäischen Mittelalters. Der erste Teil dieses Werkes behandelt allgemeine philosophische und theologische Themen aus der zeitgenössischen arabischsprachigen Literatur, im zweiten und dritten Teil werden Fragen der Christologie erörtert, die in den christlichen Contra Iudaeos-Texten bis in die Reformationszeit (in geringerem Maße auch in entsprechenden antiislamischen Traktaten – teils mit, teils ohne Verweis auf diese Quelle) immer wieder angesprochen werden. Im Vorfeld einer für die nähere Zukunft geplanten Neuedition der Schrift Martís in der Reihe Bibliotheca Philosophorum Medii Aevi Cataloniae haben Görge K. Hasselhoff (TU Dortmund) und Alexander Fidora (Barcelona) im Anschluss an eine diesem Thema gewidmete Tagung an der Ruhruniversität Bochum eine Sammlung von Aufsätzen zusammengestellt, die als Pilotstudien für das geplante Projekt dienen sollen.
Am Anfang stehen – aus der Feder Görge K. Hasselhoffs und Syds Wiersmas – Überlegungen zum Vorwort des Pugio Fidei, von dem bemerkenswerterweise mehr Textzeugen erhalten sind als von allen anderen Teilen des Werkes. Da dieser Textteil zugleich eine Art Eigenleben geführt zu haben scheint – das Vorwort ist, je nach Manuskript, nicht nur Teil I, sondern auch Teil II des Pugio Fidei vorangestellt –, haben die Herausgeber entschieden, diesen Text separat und bereits vor der eigentlichen Textedition zu publizieren (12–21). Es folgen Ausführungen G. Hasselhoffs zur handschriftlichen Überlieferung mit dem Versuch eines provisorischen Stemmas, das eine in der Pariser Bibliothèque Sainte-Geneviève aufbewahrte Handschrift zum Ausgangspunkt hat (23–38). Die Entscheidung, dieses letztgenannte Manuskript für die geplante Edition zugrundezulegen, folgt der Einsicht der neueren Forschung zu Ramon Martí, da der Pariser Pugio Fidei-Druck Joseph de Voisins (1651) und auch der Leipziger Folgedruck J. B. Carpzovs (1687) – beide waren jahrhundertelang maßgeblich für die Rezeption der Schrift – offenbar Fehler, Kürzungen oder auch Glättungen enthalten.
Im Anschluss steht eine ausführliche französischsprachige Be­schreibung der Pariser Handschrift von Philippe Bobichon: »La manuscrit Latin 1405 de la Bibliothèque Sainte Geneviève (Paris). Autographe et œuvre d’un converti«, 39–101. Die weiteren Studien geben einen Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand und führen zugleich in neuere Forschungsansätze ein. Den Herausgebern ist zu danken, dass sie dabei unterschiedliche Perspektiven zu Wort kommen lassen, besonders im Hinblick auf die Arbeitsweise Martís. So ist nach wie vor umstritten, wo und wann der Dominikanermönch Hebräisch lernte und aus welchem Grund er sein Hauptwerk, den Pugio Christianorum, wie es in den Handschriften heißt, schrieb. Syds Wiersma (»Weapons Against the Jews. Motives and Objectives of the Preface of the Pugio Fidei«, 103–119) vermutet, dass der Text auf Bitten des Ordens verfasst wurde. Wie die altisraelitische Heldin Judith, die Holofernes mit dem ihm entrissenen Dolch zu Tode brachte (die Vulgata verwendet in Judith 13 das Wort pugio), so sollte Ramon Martís Text die zeitgenössischen jüdischen »Feinde« mit ihren eigenen Waffen (also Zitaten aus der Hebräischen Bibel und dem Talmud) schlagen und so die Inquisition vorantreiben.
Philippe Bobichon ist demgegenüber davon überzeugt, dass der Autor einer Converso-Familie entstammte oder sogar selbst ein zum Christentum konvertierter Jude war, der mit seinem Werk daher intrinsische Intentionen verfolgte. Dieses Urteil fußt auf einer minutiösen Untersuchung des handschriftlichen Befundes: Nach Bobichon wurde das Pariser Manuskript sowohl in seinen lateinischen als auch seinen hebräischen Teilen von einem Autor verfasst, der seinen Text nicht nur kopierte, sondern auch selbst verfasst hatte. Charakteristika der hebräischen Teile weisen demnach darauf hin, dass Martí selbst Kenner der Sprache der Bibel war und dass er das Hebräische seit seiner Jugend gelernt haben muss. »Cette conclusion n’est pas une hypothèse, mais une certitude fondée sur l’ensemble parfaitement cohérent des données objectives tirées de l’examen du manuscrit« (100).
Weitere Beiträge behandeln Martís Umgang mit christlichen und jüdischen Autoren des Mittelalters. Auf Ann Gilettis Unter-suchung zu Bezügen auf u. a. Thomas von Aquin und Albertus Magnus (121–156) folgen Ausführungen zu Martís Zitaten einer hebräischen Übersetzung des Neuen Testaments, die möglicherweise auf eigene Übersetzungsversuche der Evangelien zurückgehen (Ryan Szpiech, »Ramon Martí’s New Testament Citations in Hebrew. A Transcription and Further Observations«, 157–173). Aus judaistischer Sicht ist besonders eine Studie G. Hasselhoffs zu Martís Zitaten unterschiedlicher jüdischer Autoren des Mittelalters hervorzuheben (175–208); dies nicht nur, weil diese Arbeit einen versprochenen, aber nicht eingereichten Beitrag ersetzt, sondern vor allem, weil die als Anhang beigefügte Sammlung der hebräisch-lateinischen Belegtexte höchst instruktiv ist. Die jeweiligen Nachweise der Fundstellen im »Glaubensdolch«, teilweise auch mit Zwischenüberschriften und Kurzangaben zum Inhalt (z. B. exegetische Bemerkungen zu bestimmten Bibelstellen), machen diesen Appendix zu einem höchst brauchbaren Werkzeug weiteren Arbeitens. Hingewiesen sei hier auf Zitate aus dem Œuvre von Martís Zeitgenossen Nachmanides (178–179), mit dem Martí wahrscheinlich während der Disputation von Barcelona (1263) zusammentraf, sowie auf Verweise auf den mysteriösen rabbinischen Gelehrten Rabbi Rahmon (199–207). Von Letzterem war früher angenommen worden, dieser Autor sei eine Fiktion Martís gewesen, Hasselhoff zeigt jedoch »that there must have been a real Jewish author behind these lines« (178).
Martís Beschäftigung mit Abraham Ibn Esra ist ein eigener Beitrag gewidmet (Yosi Yisraeli, »Abraham Ibn Ezra in the Pugio Fidei. Compilations, Variations, and Interpolations«, 209–222). Die dazu gehörige Sammlung der edierten Textfragmente geht wiederum auf G. Hasselhoff zurück (223–240).
Ein besonderer Fall ist die Auslegung des vielfach messianisch gedeuteten Textes Gen 49,10 (»es wird das Zepter nicht von Juda weichen … bis der Shilo komme«), dessen Deutung im Mittelalter auch innerjüdisch umstritten war. Während Ibn Esra Shilo auf König David beziehen wollte, hielten David Kimchi und Nachmanides, wie im Pugio Fidei zustimmend vermerkt wird, am Verständnis des Verses als in die Zukunft gerichtete messianische Prophetie fest. Die von Martí vertretene Deutung des »Shilo« von der Vokabel »shilya« (lateinisch »secundina«, also Nachgeburt) in Dtn 28,57 her wurde später von Martin Luther (der seine Fundstelle freilich nicht angibt) in seiner späten Judenschrift Vom Schem Hamephorasch (1543) aufgenommmen und etwas gezwungen auf die Jungfrauengeburt Jesu gedeutet – dies ist nur ein Beispiel für vielfache wirkungsgeschichtliche Bezüge, die sich aus der Arbeit an dem Text des Dominikanermönchs ergeben.
Am Schluss des Bandes steht eine Untersuchung von A. Fidora und Eulàlia Vernet i Pons zu den in einer Pugio Fidei-Handschrift aus dem 14. Jh. enthaltenen fragmentarischen Übersetzungen he­bräischer und aramäischer Bibelzitate ins Kastilianische (unter dem etwas irreführenden Titel »Translating Ramon Martí’s Pugio Fidei into Castilian«, 241–259). Die Studien des vorzüglich zusammengestellten Sammelbandes, der auch Register zur biblischen und rabbinischen Literatur sowie zu den benutzten Handschriften und auch einen Namensindex enthält, wecken hohe Erwartungen im Hinblick auf den Fortgang des geplanten Projekts.