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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

45–47

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Guggenheimer, Heinrich W. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Jerusalem Talmud. Second Order: Mo’ed. Tractates Šeqalim, Sukkah, Roš Haššanah and Yom Ṭov (Beṣah). Edition, Translation, and Commentary.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. VIII, 626 S. = Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums 80. Geb. EUR 169,95. ISBN 978-3-11-035436-2.

Rezensent:

Andreas Lehnardt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Guggenheimer, Heinrich W. [Ed.]: The Jerusalem Talmud. Second Order: Mo’ed. Tractates Šabbat, and ‘Eruvin Bava. Edition, Translation, and Commentary. Berlin u. a.: De Gruyter 2012. VIII, 838 S. = Studia Judaica, 68. Geb. EUR 219,00. ISBN 978-3-11-0208900-8.
Guggenheimer, Heinrich W. [Ed.]: The Jerusalem Talmud. Second Order: Mo’ed. Tractates Pesaḥim and Yoma. Edition, Translation, and Commentary. Berlin u. a.: De Gruyter 2013. XII, 641 S. = Studia Judaica, 74. Geb. EUR 179,95. ISBN 978-3-11-031591-2.
Guggenheimer, Heinrich W. [Ed.]: The Jerusalem Talmud. Second Order: Mo’ed. Tractates Ta‘aniyot, Megillah, Ḥagigah, Mo‘ed Qaṭan (Mašqin). Edition, Translation, and Commentary. Berlin u. a.: De Gruyter 2015. XIII, 631 S. = Studia Judaica, 85. Geb. EUR 149,95. ISBN 978-3-11-041165-2.


Mit dem letzten Band aus der Ordnung Mo‘ed (Festzeiten) ist die auf 17 Bände angelegte Editions- und Übersetzungsreihe zum Jerusalemer Talmud von Heinrich Guggenheimer abgeschlossen. Neben der heute veralteten französischen Ausgabe von Moïse Schwab, Le Talmud de Jerusalem, traduit pour la premiére fois, 11 Bände, Paris 1871–1932, Ndr. Paris 1960 (mittlerweile ist diese Ausgabe auch online zugänglich), stellt diese Bearbeitung die einzige unter einem Verfassernamen veröffentlichte englische Übersetzung und Kommentierung dieses Hauptwerkes der rabbinischen Literatur dar. Bis zum Abschluss der deutschen Übersetzung, die im Verlauf der Jahrzehnte von mehreren Bearbeitern weitergeführt wurde und von der noch die Bände Kilayim, ‘Eruvin, Shevi‘it und Yevamot (zuletzt 2016 erschienen ist die Übersetzung des Traktates Nazir) ausstehen und bis zur Vollendung der sogenannten Schottenschein Edition wird diese Ausgabe eine wichtige Grundlage für die Erforschung dieser bedeutenden Quelle für das Verständnis des Antiken Judentums bilden.
Wie bereits in früheren Rezensionen bemerkt (ThLZ 127 [2002], 1172–1174; ThLZ 130 [2005], 249–252; ThLZ 134 [2009], 541–544; ThLZ 137 [2012], 1042–1044), sind die Editions- und Übersetzungsprinzipien vom Vf. im Laufe der Zeit leicht verändert worden (siehe dazu die Vorworte zu den einzelnen Bänden). Dennoch bilden alle hier besprochenen Bände eine aufeinander abgestimmte, nach relativ einheitlichen Prinzipien gestaltete Einheit, die es dem Benutzer erleichtert, einzelne Stellen aufzufinden und mit Parallelen in der rabbinischen Literatur oder mit anderen Übersetzungen zu vergleichen. Sämtliche Traktate sind durch kurze Einführungen eingeleitet, in denen knapp auf historische Hintergründe der behandelten biblischen Gebote und rabbinischen Unterweisungen, auf Besonderheiten der Textüberlieferung und auf den Inhalt des Kommentars zur Mischna eingegangen wird. Die hier besprochenen Übersetzungen der Traktate der zweiten Ordnung der Mischna Mo ‘ed (Festzeiten) basieren auf dem ältesten vollständigen Manuskript des Yerushalmi, wie sie in der berühmten Handschrift Leiden, Scal. 3 überliefert werden, die sowohl in einem Faksimile als auch digitalisiert einsehbar ist. Sie bildet auch die Grundlage für eine diplomatische Edition, die von J. Sussmann für die Academy of the Hebrew Language in Jerusalem (2001) angefertigt worden ist.
Der erste Band der Ordnung umfasst die Traktate Shabbat und ‘Eruvin, in denen die halachischen Unterweisungen für die Be­wahrung des Ruhegebotes am 7. Tag und die damit verbundenen Begrenzungen des Raumes, in dem etwas getragen werden darf, erläutert werden. Für den Traktat Shabbat liegt seit 2004 eine deutsche Übersetzung von G. Hüttenmeister vor; eine Bearbeitung des schwierigen Traktats ‘Eruvin, in dessen Kapiteln 3 bis 5 Fragen der Raumdefinition (Tehum) diskutiert werden, steht aus. Guggenheimer kommen seine Kenntnisse als emeritierter Mathematikprofessor in seiner Bearbeitung deutlich zugute. Doch ist auch er gelegentlich auf Konjekturen angewiesen, um den schwierigen Text verständlich zu machen (vgl. seinen Kommentar zu yEruv 3,12, S. 625 mit Verweis auf S. Liebermanns Verbesserung in seinem wichtigen Kommentar Ha-Yerushalmi Kiphshuto, 1934).
Der zweite Band bietet kommentierte Übersetzungen der bereits auch in deutschen Übersetzungen vorliegenden Traktate Pesaḥim und Yoma. Im ersten Traktat werden die Bestimmungen für die Darbringung der Pesaḥ-Opfer und für die häusliche Feier des Seders überliefert. Obgleich Guggenheimer Herausgeber einer eigenen Haggada (Scholar’s Haggadah, 1998) ist, finden sich in seiner Bearbeitung keine Bemerkungen, die auf die Praxis eingehen. Interessant ist, dass ein griechisches Lehnwort wie Afikoman von »Epikomion« unübersetzt bleibt und aus dem Griechischen transkribiert wird (369). Der Traktat Yoma erläutert das Tempelritual am Versöhnungstag und beinhaltet zahlreiche wichtige aggadische Stücke. Dass der Traktat auch einen in der täglichen Morgenliturgie rezitierten Abschnitt enthält, der vom Anrichten des Räucheropfers handelt (Pitum ha-ketoret; yYom 4,5 [41d] und Parallelen bKeritot 6a), wird wiederum entsprechend des Anliegens der Übersetzung nicht hervorgehoben.
Der dritte Band umfasst die Traktate Sheqalim, Sukka, Rosh ha-shana und Yom Tov (Beṣa). Vor allem der Massekhet von der Sheqel-Steuer für den Tempel ist für die Rezeptionsgeschichte des Yerushalmi beachtenswert. Es handelt sich um den einzigen Traktat aus diesem Talmud, der in Handschriften des Bavli (wie Staatsbibliothek München, Cod. hebr. 95) aufgenommen wurde und nach der Verdrängung des Yerushalmi weiter studiert wurde. In Hs Leiden weist die Überlieferung für diesen Traktat allerdings große Lücken auf. Die bereits 1983 veröffentlichte deutsche Übersetzung des Traktates Sukka von Charles Horowitz ist durch diesen Band an vielen Stellen überholt. Gleiches gilt für die englische Übersetzung von J. Neusner (1988).
Der die Reihe abschließende Band mit den Bearbeitungen der Traktate Ta‘aniyot, Megilla, Haggiga und Mo‘ed Qatan (Mash-qin) ist mit einer bemerkenswerten Widmung versehen: Sie gilt den angesehenen rabbinischen Vorfahren der Gemahlin des Vf.s, die wohl nicht nur viele philologische Anmerkungen beigesteuert hat, sondern auch maßgeblich an der Herausgabe der Reihe beteiligt war. Diese Widmung unterstreicht den insgesamt traditionellen Charakter der Edition. Die Bände sind in der durchlaufend gezählten Reihe »Studia Judaica« veröffentlicht, erinnern jedoch bei näherer Betrachtung an traditionellere Ausgaben rabbinischer Schriften. Die Kommentierung gibt oft nur sehr knappe Hinweise, wo etwa in den Parallelüberlieferungen weiterzulesen ist, um einen Abschnitt oder eine Sugya in seiner eigenen Bedeutung oder Problematik besser zu erfassen. Für einen ersten Überblick mag dies auch rabbinisch nicht bewanderten Lesern genügen. Um die zuweilen komplexen und eigenen Argumentationswege der Gemara des Yerushalmi zu verstehen, dürfte diese Form der Aufarbeitung jedoch für viele Leser unbefriedigend bleiben. Sacha Sterns Bemerkung zu dieser Reihe in seinem Forschungsüberblick über den Talmud Yerushalmi mag man insofern zustimmen: »Reasonable but uneven quality« (in: Rabbinic Texts and the History of Late-Roman Palestine, hrsg. von M. Goodman/P. Alexander, 2010, 150).
Das Verdienst, welches sich Guggenheimer durch seine konsequente Arbeit um die Erschließung dieses schwierigen Werkes der rabbinischen Literatur erworben hat, sei hiermit allerdings nicht geschmälert. Ohne Zweifel handelt es sich bei diesem in gut einem Jahrzehnt vollendeten Werk um eine beachtliche wissenschaftliche Leistung.