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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

41–42

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sanders, Ed, and Matthew Johncock [Eds.]

Titel/Untertitel:

Emotion and Persuation in Classical Antiquity.

Verlag:

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016. 321 S. m. 12 Tab. = Ancient History. Kart. EUR 56,00. ISBN 978-3-515-11361-8.

Rezensent:

Barbara Müller

Die 16 Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf eine Konferenz des Centre for Oratory and Rhetoric an der University of London im Jahre 2013 zurück. Der Band beansprucht keine flächendeckende Bearbeitung des Themas, sondern »the variety of ways in which emotions form part of strategies of persuasion, both within soci-eties and between groups and individuals in the ancient world« (19). Die im Prinzip nicht neue Frage des Verhältnisses von Emotion und Überzeugung wird hier in diesbezüglich bislang nicht berücksichtigten Texten oder Textgattungen analysiert, und es werden ausgehend von neuen Konzepten neue Fragestellungen an die alten Texte herangetragen.
Positiv fällt die häufige Anwendung neuer Methoden auf, er­freulich ist auch die Mischung der Autoren; sie reicht vom PhD-Studenten bis zu den renommierten Spezialisten. Dass der Band nicht als ein beliebiges Sammelsurium daherkommt, verdankt er der sorgfältigen Gestaltung: der das Feld souverän überblickenden und die Einzelbeiträge darin verortenden Einleitung von E. Sanders (13–24) sowie den Einzelbeiträgen. Bei diesen handelt es sich nie um die isolierte Abhandlung von Einzelproblemen, sondern durchwegs um in weitere Kontexte eingebundene Analysen. Selbst wo der Fokus auf Beispielen liegt, werden diese immer in einen weiteren Rahmen eingeordnet. Insofern sind sie Rosinen der allgemein nützlichen Art, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass für die Leserinnen nicht nur einzelne Beiträge im engeren Sinne relevant sind, sondern ganze Teile des insgesamt sehr sorgfältig gestalteten Buches. Das Buch umfasst vier Teile.
Teil I beinhaltet Beiträge unter dem Obertitel »Emotions in classical Greek oratory – New Directions«. C. Carey (Bashing the establishment, 27–39) wendet sich, um politische Mechanismen im klassischen Athen zu beleuchten, bewusst nicht nur den bekannten Reden zu, sondern ebenfalls der Historiographie und der Komödie. B. Griffith-Williams (Rational and emotional persuasion in Athenian inheritance cases, 41–55) konzentriert sich auf Reden in Erbfällen und stellt dort eine Verquickung von rationalen und emotionalen Argumenten fest. E. Sanders (Persuasion through emotions in Athenian deliberative oratory, 57–73) präsentiert eine Unterscheidung der »forensic emotions« (58) Zorn, Mitleid, Dankbarkeit und Emotionen, wie sie in Beratungsreden im Vordergrund stehen, nämlich Angst, Hoffnung, Scham und Stolz. G. Westwood (Nostalgia, politics and persuasion in Demosthenes’ Letters, 75–90) zeichnet mit Bezug auf die sozialpsychologische Nostalgieforschung nach, wie Demosthenes in seinen Briefen aus dem Exil nostalgische Gefühle zu erwecken versucht, um sich zu rehabilitieren und für eine Veränderung der Zustände zu werben.
Teil II: Emotion and the formation of community identity beginnt mit einem Beitrag von A. Chaniotis (Displaying emotional community – the epigraphic evidence, 93–111), der griechische Inschriften auf ihre emotionale Botschaft und Funktion hin untersucht, wobei vor allem die gemeinschaftsbildende Funktion von Emotionen interessiert. Diese ist bei öffentlichen Dokumenten wie Inschriften aufgrund ihrer »monumental, commemorative and performative features« (95) besonders augenfällig. M. Fragoulaki (Emotion, persuasion and kinship in Thucydides: The Plataian debate [3.52–68] and the Melian Dialogue [5.85–113], 113–132) verfolgt, wie Thukydides in Redebeschreibungen Emotionen einsetzt, um Beziehungen zwischen unterschiedlichen Alliierten zu stärken. Dabei handelt es sich um einen »powerful mechanism of po-litical persuasion in the ancient Greek world« (129), der von kriegsbestimmender diplomatischer Wichtigkeit ist. A. Eckert (›There is no one who does not hate Sulla‹: Emotion, persuasion and cultural trauma, 133–145) zeichnet die emotionsbeladene Erinnerung an den Tyrannen Sulla bei Cicero, Valerius Maximus und Seneca nach und interpretiert die dort geschürten Hassgefühle als »weapon Roman society would wield to prevent another Sulla« (144). L. Jackson (Greater than logos? Kinaesthetic empathy and mass persua-sion in the choruses of Plato’s Laws, 147–161) weist ausgehend von Platos Leges auf die wichtige Rolle des griechischen Chors hin. Sie nutzt das moderne Konzept der kinästhetischen Empathie, um darzulegen, dass und wie eine »performance« zu einer Überzeugung führt.
Teil III: Persuasive strategies in unequal power relationships setzt mit einer minutiösen Analyse J. Winters (Instruction and example: Emotions in Xenophon’s Hipparchicus and Anabasis, 165–181) ein, die aufzeigt, wie wichtig im Werk Xenophons Gefühle für Erfolg und Misserfolg der Führer sind. Die zahlreichen Reden in der Anabasis fungieren in diesem Sinne als didaktische Exempla. Ebenso aus der Perspektive von Führern und Geführten argumentiert J. Knight (An­ger as a mechanism for social control in Imperial Rome, 183–197). Speziell hervorzuheben sind an diesem Beitrag die Reflexionen über die Zeitabhängigkeit von Gefühlen sowie die differenzierte Betrachtung des römischen Zorns, der im politischen Kontext weniger als Gefühl, denn als Kommunikationsform und damit letztlich auch als Regierungsmittel eine zentrale Rolle spielte. J. Hagen (Emotions in Roman historiography: The rhetorical use of tears as means of persuasion, 199–212) beleuchtet die kommunikative Funktion von Tränen. Tränen wurden von Rednern bewusst eingesetzt, um die Gefühle der Angesprochenen zu wecken. M. Johncock (›He was moved, but …‹: Failed appeals to emotions in Ovid’s Metamorphoses, 213–234) wirft einen neuen Blick auf Ovids Metamorphosen und weist auf einen »certain anti-establishmentism« (228) hin, der sich darin zeigt, dass Ovid den Leser emotional für herrscherliche Milde und gegen autoritäre Machtverhältnisse einnehmen will.
Besonders lesenswert ist Teil IV: Linguistic formulae and genre-specific persuasion. Hier widmet sich E. Dickey (Emotional lan-guage and formulae of persuasion in Greek papyrus letters, 237–262) der Kommunikation von Höflichkeit zu. Ihre Analyse schließt allgemeine und aktuelle Reflexionen zum Thema ein, etwa auf die Frage der angemessenen Übersetzung kulturell unterschiedlicher Formulierungen von Höflichkeit. I. Salvo (Emotions, persuasion and gender in Greek erotic curses, 263–279) betrachtet magische Liebessprüche aus der Genderperspektive, die sich allerdings als weniger ergiebig erweist als die Perspektive der Macht. »Curses« gehören zu den besten Techniken, um andere zu überzeugen oder zu manipulieren. F. Iurescia (Strategies of persuasion in provoked quarrels in Plautus: A pragmatic perspective, 281–294) analysiert die in der Komödie häufigsten negativen Emotionen Zorn und Angst. Emotionaler Aufruhr führt hier zu Unsicherheit und Verwundbarkeit, was Überzeugung vereinfacht. Die Philologin und profes-sionelle Psychologin K. Hammond (›It ain’t necessarily so‹: Reinterpreting some poems of Catullus from a discursive psychological point of view, 295–313) nähert sich Catulls Gedichten aus diskurstheoretischer Perspektive: Emotionen sind dann nicht nur innere Empfindungen, sondern zugleich ein dialogisches Geschehen. Dies veranschaulicht sie anhand der bei Catull vorfindlichen Alltagsrhetorik.