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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

39–40

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jaillard, Dominique, et Christophe Nihan [Eds.]

Titel/Untertitel:

Writing Laws in Antiquity. L’écriture du droit dans l’Antiquité.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2017. 170 S. m. Abb. = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 19. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-447-06894-9.

Rezensent:

Rainer Kessler

Fokus des anzuzeigenden Sammelbandes, der auf eine Konferenz an der Universität Lausanne im Jahr 2011 zurückgeht, ist, wie der Titel sagt, die Verschriftlichung von Recht in der Antike. Das Thema impliziert die Frage nach dem Verhältnis zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, nach den institutionellen Kontexten von Verschriftlichung, nach den Autoritäten hinter dem Vorgang und nach der konkreten Funktion schriftlichen Rechts im praktischen Rechtswesen. Der Ansatz ist kulturvergleichend, wo­bei die Herausgeber, der damals in Lausanne und jetzt in Genf lehrende Professor für Geschichte der antiken Religionen Dominique Jaillard und der Lausanner Professor für Hebräische Bibel Chris-tophe Nihan, in der Einleitung zum Buch auf zwei methodische Besonderheiten ihres Zugangs hinweisen. Zum Ersten kommt es ihnen beim Kulturvergleich nicht auf den Nachweis von Einflüssen und Abhängigkeiten an, sondern auf gemeinsame und unterschiedliche Strukturen in den verglichenen Kulturen. Sie nennen dies einen »contrastive, or ›differential‹ approach« bzw. »comparatisme différentiel« (10). Den Vorteil sehen sie darin, dass so zu große Verallgemeinerungen vermieden – ein »Kodex« kann in verschiedenen Kulturen etwas ganz Unterschiedliches bedeuten – und die spezifischen Bedingungen der Rechtsverschriftlichung in jeder einzelnen Kultur herausgearbeitet werden können. Als zweite Besonderheit stellen sie heraus, dass sie in der griechischen Kultur auch die so genannten leges sacrae einbeziehen, wobei der letzte Beitrag des Bandes, »Codifying ›Sacred Laws‹ in Ancient Greece« von Jan-Mathieu Carbon und Vinciane Pirenne-Delforge vorschlägt, besser von »Greek Ritual Norms« zu sprechen.
Neben der Einleitung enthält der Band sieben weitere Artikel. Von ihnen sind drei Beiträge englisch, vier französisch geschrieben. Die ersten vier Beiträge behandeln den Kulturvergleich. Ge­nauer ge­sagt stellen drei davon jeweils eine Kultur vor. Sophie Démare-Lafont widmet sich dem Keilschriftrecht: »Les lois dans le monde cunéiforme: codification ou mise par écrit du droit?« Die Frage ihres Titels beantwortet sie damit, dass man sehr wohl von Kodifizierung sprechen kann, insofern Gesetze bewusst gesammelt, zusammengestellt und veröffentlicht werden. Aufgabe solcher Sammlungen ist es, Rechtsnormen an die Hand zu geben, die allerdings erst zum Einsatz kommen, wenn auf niederer Ebene keine Entscheidung gefunden werden kann. Der Artikel von Françoise Ruzé trägt das Thema im Titel: »La codification en Grèce archaique«. Der Autorin zufolge haben geschriebene und ungeschriebene Gesetze komplementäre Funktion. Sie stellt heraus, dass Verschriftlichung vor allem im Kontext sozialer Konflikte vorkommt, um die sozialen Beziehungen zu stabilisieren. Der vierte Beitrag, »La codification des lois en Égypte à l’époque perse« von Sandra L. Lippert, trägt die Evidenzen zusammen, die für eine Rechtskodifizierung unter Darius I. sprechen, wobei diese sich auf ältere Ansätze bereits in der 26. Dynastie stützen kann.
Nur ein Beitrag im ersten Teil ist in sich kulturvergleichend an­gelegt: »Moses and the Greek Lawgivers. The Triumph of the Torah in Ancient Mediterranean Perspective« von Gary N. Knoppers. Er stellt die Parallelen zwischen Moses und den Nomotheten der griechischen Städte heraus: »I shall argue that the parallels among these traditions are much stronger and intriguing than previous scholarship has acknowledged« (50). Hervorgehoben werden der autoritative Status der erlassenen Gesetze, die göttliche Inspiration der Gesetzgeber, die öffentliche Zustimmung zu den Gesetzen und anderes. Aber es wird auch nicht alles über einen Kamm geschoren. Dass Gesetze das offenbarte Wort der Gottheit sind, findet sich zwar in der Tora, nie jedoch in den griechischen Überlieferungen.
Der zweite Teil des Sammelbandes widmet sich den rituellen Normen. Der letzte Beitrag, der vorschlägt, statt von »heiligen Ge­setzen« eben von »rituellen Normen« zu sprechen, wurde schon genannt. Pierre Brulé untersucht sodann das schwierige Verhältnis von heiligen und profanen Dingen in der griechischen Gesetzgebung: »Hiéra et Hosia. Affaires divines et affaires humaines dans le travail législatif des assemblées«. Trotz aller Schwierigkeit der Abgrenzung plädiert der Autor dafür, dass mit hierós göttliche und mit hósios menschliche Belange bezeichnet werden und die Wiedergabe mit »heilig« und »profan« berechtigt ist. Wie Gary Knoppers vergleicht Anselm C. Hagedorn hebräische und griechische Kultur: »Sacred Law, Lawgivers and Codification. Perspectives from the Hebrew Bible, Gortyn and Selinus«. Er untersucht zwei Felder, die Vorstellung von schreibenden Gottheiten (die in Griechenland nicht und wenn, nur spät, vorkommt) und den geheiligten Charakter von Gesetzen in beiden Kulturen. An­ders als Knoppers für die Vorstellung vom Gesetzgeber sieht Hagedorn auf den von ihm betrachteten Gebieten eher Differenzen als Ähnlichkeiten.
Auch wenn die vielfältigen Ergebnisse der Studien nicht bis ins Letzte konvergent sind – alles andere wäre auch verwunderlich –, zeigen sie für die Befassung mit der Hebräischen Bibel eines: Sie muss den Kulturraum des Mittelmeeres einbeziehen, und zwar nicht nur wie traditionell den Mesopotamiens und Ägyptens, sondern auch Griechenlands in der Vielfalt seiner Ausprägungen.