Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

37–39

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hulster, Izaak J. de

Titel/Untertitel:

Figurines in Achaemenid Period Yehud. Jerusalem’s History of Religion and Coroplastics in the Monotheism Debate.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XV, 225 S. m. zahlr. Abb. = Orientalische Religionen in der Antike, 26. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-155550-3.

Rezensent:

Rüdiger Schmitt

Diese Studie zu perserzeitlichen Terrakottafigurinen aus Jehud ist die überarbeitete Göttinger Habilitationsschrift Izaak J. de Huls-ters. Ausgangspunkt der Arbeit ist die bekannte und weithin ungeprüft rezipierte These von Ephraim Stern (u. a. 1982: 158; 1989; 2001: 490), dass mit der Etablierung des Monotheismus im perserzeitlichen Jehud der Kult von »heidnischen« Elementen gereinigt worden sei und mit der Durchsetzung des Bilderverbots Terrakotta-figurinen als Repräsentationen von Gottheiten aus der kultischen Praxis verbannt worden seien, und der Stand der Diskussion zu dieser These, die der Vf. als »no figurines monotheism paradigm« beschreibt (Introduction 1–18). Dieses Paradigma weist jedoch eine Anzahl von problematischen Grundannahmen auf, die der Vf. in seiner Einleitung nur anreißt, um sie dann in Kapitel 4 (s. u.) ausführlich zu diskutieren. In zwei Buchbeiträgen hat der Rezensent die Sternsche These zu widerlegen versucht, indem stichprobenartig in Ortslagen, die auch Jehud-Stempelungen aufwiesen, nach Terrakotten perserzeitlicher Typen gesucht wurde. Koinzidenzen konnten hier für Gibeon, Gezer, Tell en-Na ṣbeh, Ramat Raḥel, Jericho und En-Gedi beobachtet werden, wobei es sich zumeist um perserzeitliche horse and rider-Figurinen bzw. Fragmente von solchen handelt (Schmitt 2003; 2014). Der Vf. stellt richtig fest, dass zur Klärung des Problems jedoch nicht nur nach perserzeitlichen Typen gesucht werden müsse, sondern auch nach Objekten, die möglicherweise in Kontinuität zur Eisen II-C-zeitlichen Koroplas-tik stehen. Er hat sich – im Anschluss an einen in der ZAW erschienenen Beitrag (de Hulster 2012), in dem die Möglichkeit einer Kontinuität in der Nutzung von Terrakotten in Jerusalem zuerst diskutiert worden ist – die Aufgabe gestellt, im Hinblick auf die oben angesprochenen Fragen, die bei den City of David Excavations (1978–1985) gefundenen 51 Figurinen und Fragmente aus Stratum 9, das von den Ausgräbern in die achämenidische Zeit datiert wurde, einer genaueren Untersuchung im Hinblick auf Fundkontext, Typologie und Verwendung zu unterziehen.
Das ausführliche Kapitel 2 Terracottafigurines in Jerusalem and Yehud? The Archaeological Evidence (18–71) widmet sich nun ausführlich den 51 (bzw. 49 datierbaren) Figurinenfragmenten aus Stratum 9 der City of David Excavations, weiteren Objekten aus anderen Fundlagen in Jerusalem sowie aus anderen Ortslagen (Engedi, Gibeon, Jericho, Tell en-Naṣbeh und Ramat Raḥel), die katalogisiert erfasst (s. u. zu Appendix 1 und 4) und ausführlich im Hinblick auf Typologie, Stratigraphie und Fundkontexte untersucht werden. Der Vf. konnte hier überzeugend nachweisen, dass das Figurinenmaterial aus Stratum 9 nicht – wie zumeist angenommen – aus älterer Benutzung stammt, sondern im Wesentlichen im Kontext mit typischer perserzeitlicher Gebrauchskeramik und anderem haushaltlichen Material gefunden wurde und demnach sehr wahrscheinlich in der Perserzeit in Gebrauch war; zudem fehlen die sonst für die Eisenzeit II C typischen Webgewichte. Von den 49 Figurinen waren zehn ohne Beifunde. Von den verbliebenen 39 können 19 in die achämenidische Zeit datiert werden und sechs weitere Figurinen stammen aus späteren Kontexten und könnten im fraglichen Zeitraum in Benutzung gewesen sein. Die Befunde zeigen damit sowohl eine Kontinuität in der Nutzung eisenzeitlicher Typen – die weiterhin zirkulierten – als auch, wenn auch in kleinerem Maßstab, die Produktion von Objekten, die typologisch nicht zu den Eisen II-C-zeitlichen Formen gehören, im perserzeitlichen Jerusalem. Was die Figurinen aus Engedi, Gibeon, Jericho, Tell en-Na ṣbeh und Ramat Raḥel betrifft, so konnte der Vf. im Wesentlichen die vom Rezensenten (und im Anschluss daran von Izak Cornelius) geäußerte These bestätigen (69).
Kapitel 3 (Coroplastics) widmet sich sodann ausführlich der Ikonographie und den damit zusammenhängenden Fragen von Typologie, Bemalung etc. sowie der Frage nach der Verwendung und Bedeutung der Figurinen (72–118). Einen relativ breiten Raum nimmt hier die Frage nach der Definition der Objektgruppe ein, die der Vf. mit einer eigenen Definition abschließt: »A terracotta figurine is a hand-size object made of fired clay, representing animals, human beings, or pieces of furniture […], usually distinguished from utensils, and whose primary function is thought to be religious« (117). Im Hinblick auf die erhaltenen Elemente der farbigen Fassung der Figurinen (Bänder und andere geometrische Muster auf weißem Überzug) stellt der Vf. fest, dass diese zum einen den Charakter als Kultobjekte unterstreichen und bestimmte Elemente des Körpers betonen. Die Dominanz der Farbe Rot könne sowohl eine symbolische Bedeutung haben als auch in der Verfügbarkeit des Farbstoffs begründet liegen. Ebenfalls sehr ausführlich stellt der Vf. die anhaltende kontroverse Diskussion um die mögliche Identifikation und Verwendung von Figurinen und die damit verbundenen methodisch-hermeneutischen Probleme dar, insbesondere im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Rekonstruktion der mit den Figurinen verbundenen mythischen Narrative sowie auch im Hinblick auf die akademischen Narrative bzw. Vorverständnisse (100–118). Der Vf. kritisiert hier vor allem die Konzentration der Forschung auf die Judean Pillar Figurines (JPF) und die häufige weitgehende Ignorierung anderer Typen, insbesondere der häufigeren Tierfigurinen. Auch der Vf. sieht sich hier aufgrund der wissenschaftlichen Aporien gezwungen, im Vagen zu bleiben und sich dem breiten Konsens anzuschließen, dass es sich im weiteren Sinne um multifunktionale religiöse Objekte handelt: »In sum, sometimes only general concepts can be sketeched as possible interpretations of figurines« (114).
In Kapitel 4 (Consequences and Perspectives: History, History of Religions, Biblical Studies, and Theology, 119–138) bietet der Vf. eine ausführliche Auseinandersetzung mit gängigen Forschungsparadigmen und eine Auswertung insbesondere im Hinblick auf den religionsgeschichtlichen Ertrag. Dem Vf. gelingt es hier überzeugend, die gängigen Forschungsparadigmata vom »myth of the empty land«, dem identitätskonstruierenden »myth of the reborn nation« und insbesondere das »no figurines – monotheism paradigm« und die daran anschließenden Vorverständnisse von Bilderverbot, Anikonizität, »Idolatrie« »Bildersturm«, »Magie«, »heterodoxer Kulte« und andere, primär theologische biases im Hinblick auf die von ihm erarbeiteten Befunde und neuere Erkenntnisse der Forschung, vor allem auf die aktuelle Diskussion um Identität und Ethnizität, zu dekonstruieren. Insbesondere kritisiert der Vf. hier die religionswissenschaftlichen unzureichenden Definitionen von »Monotheismus« und den methodisch zweifelhaften Konnex von Bilderverbot und dem vorgeblichen Verschwinden von Terrakottafigurinen in der Perserzeit, vor allem aber die einseitige Fixierung der bisherigen Forschung auf die Judean Pillar Figurines (»gynemophic focus«), deren Identifikation mit einer Göttin (Ascherah) keinesfalls vorausgesetzt werden könne.
Eine kurze Zusammenfassung (Conclusions, 139–141) bündelt noch einmal die Ergebnisse, wobei der Vf. noch einmal betont, dass die mindestens 19 Figurinen, die sicher in die persische Zeit zu datieren sind, plus sechs weitere, für die eine solche Datierung wahrscheinlich zu machen ist, auch statistisch relevant sind: Zwar machen diese nur 2,3 % der 1309 Figurinenfragmente aus Jerusalem aus, doch sei diese Zahl sowohl im Hinblick auf die dünne Besiedlung Jerusalems in dieser Zeit signifikant als auch im Vergleich zu anderen Ortslagen, die weitaus weniger Figurinenmaterial enthielten. Die materielle Evidenz aus Jerusalem und anderen Ortslagen in Jehud mache deutlich, dass es eine Kontinuität in der religiösen Verwendung von Terrakottafigurinen, sowohl von Eisen II-C-zeitlichen als auch von zeitgenössischen Typen, gegeben habe.
Appendix 1 (165–195) bietet eine Katalogisierung der 51 Objekte aus Stratum 9, die vom Vf. im Archiv der Israel Antiquities Author-ity autopsiert worden sind, mit Fotografien bzw. Umzeichnun-gen und Beschreibung. Appendix 2 (197–201) enthält Tabellen mit Fundobjekten, die mit den Figurinen zusammen gefunden worden sind. Pläne von Stratum 9 bilden Appendix 3 (202–206). Appendix 4 bietet einen weiteren Objektkatalog perserzeitlicher Figurinen, die aus anderen Kontexten aus Jerusalem und aus anderen Ortslagen (Engedi, Gibeon, Jericho, Tell en-Na ṣbeh und Ramat Raḥel) stammen (206–219). Register der Bibelstellen, Autoren und ein Sachregister schließen den Band ab (221–225).
Der Vf. hat mit Figurines in Achaemenid Period Yehud eine in jeder Hinsicht überzeugende Studie zu dem archäologischen und religionsgeschichtlichen Problem perserzeitlicher Figurinen in Jehud vorgelegt. Es ist ihm auf überzeugende Weise gelungen, das forschungsgeschichtlich lange dominante »no figurines – mo­notheism«-Paradigma und die damit verbundenen zumeist auf einem theologischen bias beruhenden Vorverständnisse zu widerlegen und darüber hinaus weitere Perspektiven für die Forschung zu eröffnen. Hervorzuheben ist insbesondere das vorsichtige und methodisch stets reflektierte Vorgehen des Vf.s sowie seine vorsichtige Urteilsweise. Der Band stellt ohne Frage einen wichtigen Beitrag zur Archäologie und Religionsgeschichte Palästinas, insbesondere zur andauernden Monotheismus-Debatte in der Perserzeit, dar und setzt einen Maßstab für koroplastische Studien.