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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

32–34

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schubert, Anselm

Titel/Untertitel:

Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2018. 271 S. m. 28 Abb. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-406-70055-2.

Rezensent:

Dorothea Wendebourg

Die seit einiger Zeit sprießende Food History hat einen neuen Ge­genstand: Gott. »Gott essen«. Das wird in Anselm Schuberts locker-flockig geschriebenem Büchlein als Gegenstand der »Kulinarik« präsentiert – genauer, als Gegenstand einer »kulinarischen Ge­schichte des Abendmahls«.
Ausgehend von den am Altar gereichten »krümeligen und flüssigen Substanzen«, will S. mit Hilfe von Kochbüchern und liturgischen Überlieferungen, Anekdoten und Brotgeschichten, Önologenmemoiren und polynesischen Zeitschriften eine »Kulturgeschichte der Abendmahlselemente« bieten. Dies aber keineswegs als Ausflug in ein kirchenhistorisches Randthema, vielmehr mit dem Anspruch, dass die Konzentration auf die wie auch immer gearteten Substanzen »der direkteste Weg« zur »ursprünglichen Bedeutung des Abendmahls« sei (12). Ja, mehr noch, hier soll nichts weniger präsentiert werden als eine »Theologiegeschichte des Christentums« (15)! Ein Programm, das S. in drei Teilen absolviert: In Teil I »Brot und Wein der Christen« durchläuft er die ersten 800 Jahre, in Teil II »Brot und Wein der Kirche« das Mittelalter und in Teil III »Brot und Wein des Glaubens« die Jahrhunderte seit der Reformation.
S. setzt mit dem oft so genannten »neuen Paradigma« in der Sicht des Abendmahls ein: Das Abendmahl gehe nicht auf die Stiftung durch Jesus Christus oder irgendwelche Handlungen Jesu, sondern auf das gleichermaßen sättigende wie religiös bedeutsame antike Symposion zurück, auf dessen Hintergrund sich das, was die frühen Christen taten, »vermutlich von selbst« verstand (22). Jenes Paradigma wurde nicht erst »neuerdings« vorgetragen und ist längst nicht mehr so aufsehenerregend, wie es S. erscheinen lässt. Es hat in den letzten Jahrzehnten eine breite wissenschaftliche Debatte darüber gegeben, in der manche Aspekte der These sich durchsetzten, andere modifiziert oder zurückgewiesen wurden. Doch davon ist bei S. nichts erkennbar. Das hat seinen Grund in seinem »kulinarischen« Interesse. Denn was ihn an dem Symposion interessiert, das die später »Abendmahl« genannte Mahlzeit gewesen sei, ist die »Speisekarte« (27): Hier habe man in der frühen Christenheit alles genossen, was der regional un-terschiedliche Speisezettel hergab, Brot verschiedener Sorten, Fleisch, zum Teil Wein, Wasser, Käse, Oliven, Honig, Fisch, Ge-müse und anderes mehr (27.36–40). Und wegen des Ineinanders von Sättigung und religiösem Ri­tus beim Symposion sei dies alles von kulinarischer wie religiöser Bedeutung gewesen. »Gott essen« im Verzehr von Käse, Fisch, Ge­müse und allem, was der Gaumen be­gehrt?
Vor diesem Hintergrund erscheint die Geschichte des Abendmahls als eine einzige Geschichte des kulinarischen Verfalls, in der Brot und Wein die ursprüngliche Vielfalt verdrängt hätten. S. vermutet, das sei wohl »in Anpassung an die heidnischen Ernährungs- und Opferbräuche« geschehen (41). Wenige Seiten später werden dann holterdipolter »theologische Gründe« geltend gemacht: dass »der Herr Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut bezeichnet hatte« (46). Wie, wann und weshalb dieser Rückgriff auf die Worte des Herrn erfolgte, erfährt der Leser nicht, und die Fortsetzung des Arguments führt auch gar nicht zu den Nahrungsmitteln, sondern zu »Brot« und »Wein« als ekklesiologischen Metaphern: Gemeint habe der Herr mit jenen Worten die Gemeinde, weshalb »auch ein Christ selbst offenbar auf irgendeine Weise Brot und Wein« habe sein sollen – ein Satz, der mit Augustin belegt wird, welcher freilich einiges über das »Irgendwie« hinaus zu sagen hatte. Dann aber folgt der Schlusssprung, der die Durchsetzung von Brot und Wein beim Abendmahl erklärt: »Da die Eucharistie Einheit mit Christus bedeutete, kam es schon früh zur religiösen Überhöhung ihrer Elemente.« Aus Brot und Wein sei »ein Substrat göttlicher Präsenz« geworden (47). Alles klar?
Der weitere Gang der Dinge wird eingebettet in großzügige enzyklopädische Ausflüge nach Ost und West, Nord und Süd, bei denen S. auch gern einmal danebengreift (beispielsweise war Karl der Große keineswegs der Erste, der »seit dem Untergang Roms wieder eine Kaiserkrone [trug]«, 63). Dazu kommen die theologiegeschichtlichen Ausführungen. Dass sie im kulturgeschichtlichen Medium des Speisezettels präsentiert würden, wie zu Beginn angekündigt, ist freilich weniger der Fall, als dass die klassischen Stationen der abendmahlstheologischen Entwicklung angesprochen werden, insbesondere jene, die das Verständnis der Präsenz Christi betreffen. Hier kommt es zu besonders krassen Fehlleistungen. Dass sich »in den begrenzen Elementen Gott materialisierte«, die konsekrierte Hostie »essbarer Leib Gottes« sei (64), war niemals theologische Mehrheitsmeinung, geschweige denn kirchliche Lehre – eine irrige Interpretation, die sich auch im Buchtitel oder der Kapitelüberschrift »Streit um den Leib Gottes« (117) niederschlägt. Auch dass die Wandlung der Elemente als Christi Inkarnation galt (86), trifft nicht zu, denn es soll ja gerade der Inkarnierte sein, der in den Elementen gegenwärtig wird. Völlig an der Sache vorbei gehen S.s Abschnitte zur – keineswegs erst durch das Tridentinum dogmatisierten (138) – Lehre von der »Wandlung« (Transsubstantiation) (81–83); die beträchtliche denkerische Leistung, mit der man sich hier mit den modernsten Mitteln der Zeit der »kognitiven Dissonanz von Alltäglichem und Übernatürlichen« (66) stellte, wird dem Leser nicht und hat sich vielleicht dem Autor nicht erschlossen (das zeigt sich etwa auch an S.s späterer Behauptung, die moderne Weinproduktion konfrontiere die Deutsche Bi­schofskonferenz mit der Neuerung, dass sich »Asbest und Polyvinylpolypyrrolidon im Blut des Herrn« befänden [199] – macht doch genau solche Probleme die Transsubstantiationslehre gegenstandslos). Die Reihe ließe sich fortsetzen.
Die S. ungleich wichtigere kulinarische Geschichte, d. h. die Ge­schichte des »Speisezettels«, bei der er, weil der Zettel bald nur noch Brot und Wein umfasste, gern auch den Fokus von der Frage nach Speisen neben Brot und Wein zu der damit nicht identischen Frage nach der biologisch-chemischen Zusammensetzung dieser beiden selbst verschiebt, bietet manch informatives Material, bleibt aber im Wesentlichen anekdotisch mit einem Zug ins Seltsame und Komische – angesichts der Flachheit von S.s theologischen Ausführungen muss der bisweilen obsessive Ernst, mit dem kirchlicherseits über die »krümeligen und flüssigen Substanzen« (81) gewacht wur de, schlicht unverständlich bleiben.
Doch das Herz des Buches schlägt auch gar nicht hier. Es schlägt vielmehr dort, wo S. Nachrichten darüber und Indizien dafür zu­sammenträgt, dass man verschiedentlich von der Beschränkung auf Brot und Wein abgewichen sei. Was er hier vorbringt, ist nicht neu, spezifisch ist aber die Begeisterung für diese wirklichen und angenommenen Abweichungen, die S. auch vor offenkundigen Fehlinterpretationen nicht zurückschrecken lässt. Dass die Verwendung anderer Speisen und Getränke als Brot und Wein beim Abendmahl bis in die jüngste Vergangenheit hinein von den Kirchen abgelehnt oder nur als Notlösung gestattet wurde, befriedigt ihn nicht. So lässt er das Book of Common Prayer von 1552 für eine Kommunion auch mit »Fleischsorten« (meats) plädieren (135 f.) – ein doppelter Übersetzungsfehler (nicht der einzige des Buches): Erstens sagt das BCP gut reformiert, man solle solches Brot verwenden, »wie es normalerweise beim Essen am Tisch zusammen with other meats gegessen werde«, zweitens sind meats feste Speisen. Und er stellt die Erlaubnis des Moskauer Patriarchats im Jahre 1917, angesichts der revolutionsbedingten Not von der – übrigens keineswegs erst im 17. Jh. unter römischem Einfluss erlassenen (154 f.) – Vorschrift des Ge­brauchs von Weizenbrot und Traubenwein abzuweichen, jubelnd als von der russischen Revolution endlich be­wirkten Durchbruch dar: »Der Damm war gebrochen« (156). Davon kann keine Rede sein, es handelte sich um eine Notfallregelung, die Vorschrift gilt nach wie vor.
Eine Verwendung anderer Speisen und Getränke beim Abendmahl, die keine Notlösung ist, wird erst seit dem späten 20. Jh. breiter erörtert und zum Teil auch praktiziert, vor allem, wo es um die Inkulturation des Christentums auf anderen Kontinenten geht. S. preist diese Entwicklung als endlich gelungene »Rückkehr der Vielfalt« (187). Hätte Jesus, »wenn er nicht in Palästina geboren worden wäre«, nicht ohnehin ganz andere Speisen verwendet (209)? Der Sachverhalt, »dass Jesus Christus ein geborener Jude« war, scheint für die liturgische Praxis des Christentums irrelevant. Ein Abendmahl mit Kokosnüssen, Whiskey, Fanta und allem, was es hier und dort sonst noch zu essen und zu trinken gibt, das ist S.s unter der Überschrift »Blick zurück in die Zukunft« verkündete Vision (207.211 f.). Gerne a uch portionsweise prepackaged in Plastikfolie oder für alle aus Blechdose oder Flasche in Glas (212). Was man dann feierte, wäre »kein sakramentales Heilsgeschehen«, sondern einfach ein »Gemeinschaftsmahl«, und damit wäre es, so S.s Behauptung, genau das, was das Symposion der Christen einst gewesen sei und wovon sie die in dem Büchlein skizzierte Geschichte abgebracht habe (208). Beim visionären »Blick in die Zukunft« steht dem Historiker frei, was er sehen will, beim »Blick zurück« in die Geschichte nicht. S. Rückblick geht so gründlich an den Dingen vorbei, dass man sich fragt, wie ein akademischer (Kirchen-)Historiker eine solche »Geschichte« schreiben und wie ein renommierter Verlag ein solches Buch veröffentlichen konnte.