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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

31–32

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Harari, Yuval Noah

Titel/Untertitel:

Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. Aus d. Engl. übers. v. A. Wirthensohn. 13. Aufl.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2017. 576 S. m. 57 Abb. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-406-70401-7.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Harari, Yuval Noah: Eine kurze Geschichte der Menschheit. Aus d. Engl. v. J. Neubauer. München: Pantheon Verlag (Random House) 2015. 528 S. m. Abb. Kart. EUR 14,99. ISBN 978-3-570-55269-8.


Manche Bücher nichttheologischen Inhalts sind deshalb für Theologen von Interesse, weil sie einen theologischen Topos im Titel führen und nach 17 Auflagen allein in Deutschland von vielen Zeitgenossen gelesen und dies- wie jenseits der Theologie breit rezipiert werden. Das Werk »Homo Deus« des 1976 in Haifa geborenen und in Oxford promovierten israelischen Historikers Yuval Noah Harari gehört in diese Kategorie. Es betrachtet das Phänomen der Digitalisierung, indem es immer wieder Parallelen zu theologischen Fragen zieht – bis hinein zu fragwürdigen Parallelen in die Kirchengeschichte. Denn die Kernbegriffe von Homo Deus sind Macht und Machbarkeit, und diese tauscht der Mensch des 21. Jh.s bereitwillig und allzu oft unbemerkt gegen Sinn.
Ein alltägliches und allzu einprägsames Beispiel aus der digitalen Welt: Der Benutzer der Suchmaschine »Google« gibt einen Suchbegriff ein und ist in dem Moment überzeugt, Herr und Meis-ter dieser Suchmaschine zu sein. Er bestimmt schließlich, wonach gesucht wird. Tatsächlich ist der Algorithmus der Google-Programmierer der tatsächlich Handelnde. Er bestimmt nämlich durch die vorgegebene und vorgenommene Auswahl des Algorithmus, wie diese Suche am Ende ausgehen wird. Der Programmierer ist es letztlich, der hier digital zum Homo Deus aufsteigt und Machbarkeiten wie Präferenzen definiert – und damit letztlich gewaltige Macht recht subkutan ausübt. Und der Benutzer stimmt all dem nur scheinbar freiwillig in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu, ohne sich auch nur vage der Konsequenzen dieses Kontrollverlustes bewusst zu sein. Kontrollverlust – das ist letztlich das Thema dieses Buches eines Historikers, der sich fragt, was individuell wie in der Weltgeschichte passiert, wenn ein großer Teil der Menschheit Kontrolle verliert und Sinnsuche einstellt, während ein kleinerer Teil immer mehr kontrolliert und Sinn neu zu definieren, ja zu stiften vermag.
Ohne theologisch auf solche Phänomene antworten zu können, versteht H. doch durchaus deren theologisch-philosophische Dimension, die Gesellschaft und ganze Volkswirtschaften in ihren Grundfesten zu erschüttern oder eben neu zu gestalten vermag. Erschaffen wird – so H. im Vorwort – ein »technikverstärkter Homo Deus […] der sich vom heutigen Menschen deutlicher unterscheidet als dieser vom Neandertaler. Was bleibt von uns und der modernen Religion des Humanismus, wenn wir Menschen konstruieren, die alles besser können als wir? In unserer Gier nach Gesundheit, Glück und Macht könnten wir uns dann ganz allmählich so verändern, bis wir schließlich keine Menschen mehr sind.« Verstörend wie lesenswert – auch und gerade für Theologen an der Schwelle zum digitalen Zeitalter.
Die Berufsbezeichnung »Universalhistoriker« ist im Kreis der akademischen Historiker in der Regel keine, die besonders viel Vertrauen schaffen könnte. Und doch ist H. als Professor für Geschichte mit Schwerpunkt »Weltgeschichte« an der Hebrew University Jerusalem ein Phänomen: Denn dem Bestsellerautor gelingt über weite Teile seiner kurzen Geschichte der Menschheit – historisch durchaus seriös und sehr lesbar – zu ergründen, wie und warum es der Mensch aus seiner Höhle bis hinein in die Digitalisierung seiner eigenen Existenz geschafft hat. Die Antwort H.s auf 500 Seiten: Informationen, ein Gespür für Machtstrukturen und die nötigen Mittel. Warum begannen Menschen an Götter zu glauben? Und warum schaffen solche Menschen Bürokratien und Terminkalender, denen sie sich unterwerfen? Warum konsumieren sie, und was ändert das an ihrem Glück?
Mit solch basalen Fragen gelingt H. etwas Bemerkenswertes: Während sich Menschen, die in ihrer eigenen Epoche Geschichte schreiben, wenden oder eskalieren lassen, sind sie es auch, die gerade als Beteiligte am wenigsten verstehen, warum um sie passiert, was dann am Ende auch passiert. H. nimmt seinen Leser in einem lesenswerten Parforceritt auf einen Hügel, von dem aus er auf die doch offensichtlichsten Fragen hinweist, die sich die Akteure dieser Geschichte so selten stellen. Wissenschaftliche, landwirtschaftliche oder technische Revolutionen geschehen niemals aus dem Nichts. Sie haben Voraussetzungen, welcher sich die sie Schaffenden selten bewusst sind. Wieso etwa ist es dem Menschen in so kurzer Zeit (70.000 Jahre) so schnell gelungen, sich die Erde plötzlich untertan zu machen? Was waren die Voraussetzungen, was die Folgen? H. beantwortet diese Fragen phasenweise sehr populärwissenschaftlich, aber durchaus klug und überraschend. Ein lesenswertes Buch.