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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1298–1300

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ptaszyński, Maciej

Titel/Untertitel:

»Beruf und Berufung«. Die evangelische Geistlichkeit und die Konfessionsbildung in den Herzogtümern Pommern, 1560–1618. Aus d. Polnischen v. M. Faber u. R. Sendek.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 587 S. m. Abb. u. Tab. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abtl. für abendländische Religionsgeschichte, 246. Lw. EUR 100,00. ISBN 978-3-525-10146-9.

Rezensent:

Gerhard Wegner

Die 2007/2008 an der Universität Warschau angenommene Dissertation von Maciej Ptaszyński, 2011 in polnischer Sprache erschienen, liegt nunmehr in einer sehr sorgfältigen deutschen Übersetzung vor. Sie umfasst den Zeitraum der zweiten und dritten nachreformatorischen Pastorengeneration in der evangelischen Kirche in den beiden pommerschen Herzogtümern Pommern-Wolgast und Pommern-Stettin. Analysiert wird mithin die Konsolidierungsphase einer der wichtigen neu entstandenen evangelischen Landeskirchen. Im Vordergrund steht das Wechselverhältnis von Professionalisierung, verstanden als (systemische) Herausbildung des neu begriffenen pastoralen Berufs, dem keine habituelle Überlegenheit gegenüber den Gläubigen mehr zukam, und der Kon-stituierung kirchlicher und kulturell-politischer Organisations verhältnisse im Sinne von Konfessionalisierung. Dabei stehen Prozesse der Sozialdisziplinierung und Säkularisierung im Mittelpunkt.
Wie überall, so wird auch in dieser Zeit in Pommern versucht, gefestigte Bekenntnisgruppen vor allem gegen die reformierte Konkurrenz (und die spätere Nachbarschaft in Brandenburg-Preußen) zu schaffen, was mit der »Erziehung« der Gläubigen und einer Verinnerlichung der neuen Ordnung mittels Bildung zur Entstehung einer neuen Staatswirklichkeit beiträgt. Der Band zeigt nun allerdings nachdrücklich, wie komplex und in sich höchst fragil dieser Prozess abgelaufen ist. Insgesamt waren zwar die staatlichen und kirchlichen Interessen in diesem Zeitraum durchaus gleichgerichtet, was aber heftige Konflikte in vielen Fragen überhaupt nicht ausschloss, in denen sich die Kirche nicht selten auch gut behaupten konnte.
Die Arbeit orientiert sich an sozialgeschichtlichen Verfahren, sehr anspruchsvoll u. a. unter Bezug auf Pierre Bourdieu und Clifford Geertz. Ihr Ziel besteht in der Erfassung der sozialgeschichtlichen Dynamik, die nicht nur als eine Veränderung in der Zeit, »sondern auch als eine Koexistenz verschiedener Identitäten über Generationen und einzelne Lebensabschnitte eines Menschen hinweg begriffen wird« (22). Qualitative und quantitative Methoden werden miteinander kombiniert. Die Quellenlage stellt sich an­hand vielfältiger Archive und einer großen schriftlichen Hinterlassenschaft gerade aus dieser Zeit als sehr gut dar. Faktisch wird die Lebensgeschichte von etwa 2000 Männern zu rekonstruieren unternommen.
Der umfangreiche Band gliedert sich in neun thematische Kapitel und eine abschließende Zusammenfassung. Abgehandelt werden im Einzelnen sehr ausführlich:
– Die konfessionellen Verhältnisse in Pommern im 16. und 17. Jahrhundert
– Die Kirchenordnung und die normative Situation eines Geistlichen
– Die Herkunft, Ausbildung und Karrieren der Geistlichen
– Die Stellung des Pastors in der Gesellschaft im Licht seiner Aufgaben
– Die Stellung des Pastors in der gesellschaftlichen Hierarchie
– Die materielle Lage der Pastoren
– Die Lage von Witwen und Pensionären.
Das aufbereitete Material ist wahrlich immens und man gewinnt den Eindruck seiner sehr sorgfältigen Sichtung. Immer wieder stehen die Generationswechsel im Vordergrund und es wird auf die prägenden kirchenleitenden und staatlichen Personen ausführlich eingegangen. Deutlich wird, dass sich von einem einheitlichen Trend in Richtung Staatsbildung noch kaum sprechen lässt, da die politische Macht mit den Ständen und den Städten permanent balanciert werden muss.
Die neu entstandenen kirchlichen Strukturen waren in dieser Zeit noch kaum in die ihrerseits auch noch nicht abschließend entwickelte landesherrliche Verwaltung integriert und das neu entstandene Konsistorium verfügte über keine Macht über die Superintendenten. Die Abkehr vom episkopalen System zum Epis-kopalen-Synodalsystem war im vollen Gange. Die Position des Herrschers war mit der Verpflichtung verbunden, für die Kirche zu sorgen, Synoden einzuberufen und ihre Beschlüsse umzusetzen. In diesen Prozess waren auch die Superintendenten eingebunden, die aber ihrerseits keine besondere Verpflichtung gegenüber der weltlichen Obrigkeit verspürten.
Von den Pastoren wurde Disziplin und vor allem die Zurückhaltung gegenüber weltlichen Freuden erwartet. P. spricht an dieser Stelle geradezu von einem »Fremdheitsgebot«, das im Alltag greifen sollte. Die Schuld an den mittelalterlichen Deformationen sah man in einer zu großen Annäherung zwischen den Gläubigen und den Geistlichen. Obwohl die Pastoren zu den sozialen Eliten gehörten und dies auch durch entsprechende Eheschließung besiegelten, entwickelten sie selbst die Vorstellung ihrer betonten Verschiedenheit von den Geburts- und Vermögenseliten.
Einen Schwerpunkt im Buch bilden die ausführlichen Kapitel über Ausbildung und Karrieren der Geistlichen, in denen anhand ausführlicher Tabellen die entsprechenden Lebensverläufe nachgezeichnet werden. Die immer weiter wachsende Bedeutung der Universitätsausbildung vergrößerte die Distanz zu den Menschen, die sich in der »Studierstube« als Symbol der Entfremdung der Pastoren niederschlug, was wiederum »professionellem Leiden« und entsprechender Vereinsamung entgegenkam. Im Hinblick auf Karrieremöglichkeiten wächst die Bedeutung von Ehrgeiz und Kreativität, die zugleich immer schärfer verurteilt werden. Die Be­hörden misstrauen durchaus den Pastoren und treiben Versuche zur Zentralisierung und Kontrolle voran. Das Bild von einer fins-teren lutherischen Orthodoxie findet in Pommern allerdings keine volle Bestätigung. Was die Attraktivität des Berufs im Blick auf die materielle Lage anbetrifft, so existieren große Differenzierungen zwischen städtischen und ländlichen Pfarreien. Insgesamt war das Pfarramt finanziell nicht attraktiv, insofern feste regelmäßige Einkünfte selten und die Ausbildung von Sicherungsmechanismen für den Fall von Behinderung oder Alter gering waren.
In der Zusammenfassung werden die herausgearbeiteten Trends übersichtlich zusammengestellt. Während seit den 30er Jahren die Organisation der Kirche über die Gründung von Synoden, eines Konsistoriums und der Einrichtung des Superintendentenamts voranging, kam es zu keiner Unterordnung der Kirche unter die weltliche Hierarchie. Weder die Macht der örtlichen Patrone noch die zentralisierten Maßnahmen der Superintendenten und Herrscher schalteten die Gemeinden oder die Presbyter aus. Die Beziehung der Geistlichen zur Obrigkeit gestaltet sich folglich in dieser Zeit konfliktreich. Das widerspricht den gängigen Urteilen über ein schlichtes Konformismus-Verhältnis zur Obrigkeit in der evangelisch-lutherischen Kirche (531). Darin zeigt sich allerdings auch ein Spiegelbild der insgesamt staatlich schwachen Situation Pommerns, die sich auch außenpolitisch in einer ausgesprochen labilen Politik widerspiegelte.
Insgesamt handelt es sich bei dem Werk P.s um eine sehr sorgfältige, gut lesbare und in den Ergebnissen innovative Sicht auf eine der ganz frühen lutherischen Landeskirchen. Die Aufbereitung des Materials ist geradezu überwältigend und bietet Anregungen für viele weitere Forschungsprozesse. Der gewählte sozialgeschichtliche Ansatz kommt in der Darstellung des Materials zum Tragen. Völlig überzeugend wäre es in dieser Hinsicht allerdings gewesen, wenn P. noch einen Beitrag über die sozioökonomische Entwicklung Pommerns in dem betreffenden Zeitraum eingefügt hätte. Denn zweifellos sind die so eindrücklich aufgelisteten Entwicklungstendenzen nicht nur durch politische oder kulturelle Faktoren als solche bedingt, sondern vielleicht sogar mehr noch durch ökonomische und soziale. Aber dieser Hinweis mindert nicht den Ertrag des Buches. Deutlich wird, dass es mit der angeblichen sklavischen lutherischen Unterordnung unter die Obrigkeit so weit nicht her war.