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Ausgabe:

April/2018

Spalte:

355–358

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmeller, Thomas

Titel/Untertitel:

Der zweite Brief an die Korinther. Teilbd. 2: 2Kor 7,5–13,13.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie); Ostfildern: Patmos Verlag 2015. 407 S. = Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, VIII/2. Kart. EUR 65,00. ISBN 978-3-7887-2931-8 (V & R); 978-38436-0690-5 (Patmos).

Rezensent:

Ulrich Heckel

Mit dem zweiten Teilband bringt Thomas Schmeller seine Auslegung des zweiten Korintherbriefs zum Abschluss (vgl. ThLZ 138 [2013], 351–353). Ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem ersten Band ist seine Konzentration der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte auf wirklich relevante Stellen: 2Kor 8,9 (arm/reich); 11,6 (rhetorische Unbildung), 12,2–4 (Himmelsreise); 12,7–9a (Herrenwort); 13,4 (Kreuzestheologie).
Die Kommentierung verbindet eine sorgfältige Textanalyse mit einem zurückhaltenden Abwägen der gängigen Deutungen. Deren nüchterne Überprüfung ist angesichts mancher theologischer Überfrachtung sehr verdienstvoll. Bisweilen bleibt der Vf. jedoch allzu sehr an der Textoberfläche, arbeitet eher mit der Lupe als mit einer Landkarte. Dies zeigen manche Inkonsistenzen. Methodisch bevorzugt der Vf. rhetorische Analysen und Gattungsfragen, während er traditionsgeschichtliche Zusammenhänge und theolo-gisch vergleichbare Aussagen aus anderen Paulusbriefen kaum auswertet.
Literarkritisch vertritt der Vf. die Einheitlichkeit des 2Kor (106–119). Zwischen Paulus und der Gemeinde findet er »keine klaren Hinweise auf eine Veränderung (sc. der Situation)«, sondern nur »auf eine verschlechterte Beziehung« (112 f.). Die Zäsur zwischen Kapitel 9 und 10 wird textpragmatisch so erklärt, dass Paulus unterschiedliche Ziele verfolgt (113). In den Kapiteln 1–9 bereite er den Besuch des Titus vor, der mit dem 2Kor freundlich für die Kollekte werben soll, während er ab 10,1 schonungslose Kritik bei seinem bevorstehenden Besuch ankündige.
Der Exkurs zu den »Gegnern« (149–171) zeigt, dass die neuere Forschung gegenüber früheren religionsgeschichtlichen Spekulationen zurückhaltender geworden ist. Die vielfach vertretene Sicht, »die Gegner hätten eine Theologie der Herrlichkeit, der Kraft und des Erfolgs vertreten« (160), hält der Vf. für »doch sehr einseitig« (161). Vielmehr versucht er die Eigenart der Gegner »mit sozialgeschichtlichen Kategorien zu bestimmen« (161). Im Ergebnis seien Paulus und die Gegner sich »nicht nur im Stil, sondern auch im Inhalt ihrer Mission ziemlich ähnlich« (170). Die Gegensätze bei Empfehlungsbriefen, Unterhalt, Apostolat, Amtsmissbrauch, Christuszugehörigkeit, Rhetorik vs. Erkenntnis sind nach Meinung des Vf.s »übertrieben«, »polemisch« und nur zur »Abgrenzung«, »Kern des Streits waren Anerkennung, Autorität und Einfluss in der Gemeinde« (170). Daher kommt der Vf. zu dem Schluss, »dass viele Gegensätze in Wirklichkeit gar nicht existierten […] Das Gegnerbild […] ist beinahe eine Chimäre« (171). Doch wenn das Gegnerbild wirklich ein Hirngespinst sein sollte, bleibt unverständlich, warum Paulus und sein Kommentator theologisch so intensiv um das Verhältnis von Kraft und Schwachheit ringen.
Dass der Vf. diese sozialgeschichtliche Reduktion nicht durchhalten kann, bestätigt seine Auslegung der Narrenrede. Traditionsgeschichtlich weist er zwar zu Recht auf das Vorbild der frühjüdischen Weisheitsliteratur hin (199.341), doch in seinem Kommentar dominiert die Rede von der »Narrenmaske« bzw. »-rolle« (193. 338–343; vgl. I, 16), die der älteren Herleitung von Windisch aus dem Mimus der griechischen Komödie verhaftet bleibt (231, Anm. 1; 341). Diese Narrheit bezeichnet der Vf. im Einleitungsteil (11,16) zwar als »distanzierte, ironisierende Haltung« (235), doch in der eigentlichen Narrenrede lehnt er die weithin übliche Deutung als Parodie auf den Selbstruhm der Gegner ab (246 f.252–257.270.380 f.). »Der Selbstruhm des Paulus mit seinem Durchhaltevermögen in Widrigkeiten […] ist durchaus ernst gemeint« (381). Man wundert sich, warum der Vf. die »Narrenmaske« im Widerspruch zur eigenen traditionsgeschichtlichen Herleitung weiterhin verwendet, aber die gerade für einen Narren typischen Züge der Ironie und Parodie zurückweist. Die Interpretation als Parodie werde »dem Text nicht gerecht« (253), das Ganze sei »keine polemische Denunziation, sondern ein überbietender Vergleich« (252), ὑπὲρ ἐγώ »eine Steigerung, keine Ironisierung von κἀγώ« (253). Zudem wird aus der »Gattung Peristasenkatalog« und aus den »Anklänge(n) an Ruhmeschroniken« gefolgert, dass nicht nur »Paulus die aufgezählten Leiden im Dienst Christi für sich als Auszeichnungen reklamieren (kann),« sondern »auch die Gegner […] ähnliche Kataloge zusammenstellten« (254 f.). Dies ist natürlich »möglich« (255), doch Hinweise für eine solche Annahme aus dem 2Kor vermag der Vf. nicht zu nennen. Vor allem aber verweist er auf das Herrenwort von der Vollendung der Kraft in Schwachheit: »Ohne 12,9f würde niemand auf die Idee kommen, dass ab 11,23 plötzlich Stärken durch Schwächen ersetzt werden« (253). Doch ist 12,9 f. nicht nur der Höhepunkt, auf den die ganze Argumentation zuläuft. Schon zu 11,30 räumt der Vf. ein, dass die Peristasen »von V. 23 her gelesen« »als Leistungen verstanden (werden)«, »im Rückblick« scheint ihm der Katalog aber »keine Erfolgsstory mehr, sondern eine lange Liste von großen und kleinen Niederlagen und Misserfolgen, eben von ›Dingen, die mit Schwachheit zu tun haben‹« (263 f.). Zwar hat er zu V. 23 eine »Verschiebung der Argumentation« (252) zur »Ironisierung« (253) bestritten, doch muss er in V. 30 einen »Umschwung« feststellen, der »nicht unvorbereitet (kommt)« (264), und zugeben, dass »die VV. 23–29 in einer gewissen Spannung zu den Erwartungen (stehen), die durch die Anklänge an Ruhmeschroniken bzw. Tatenlisten geweckt werden« (264). Damit scheint das gängige Verständnis als Parodie auf den Selbstruhm der Gegner doch nicht so abwegig zu sein.
Völlig zu Recht widerspricht der Vf. der These von der »Umkehrung der üblichen Werte« (338) in der paradoxen Identifizierung von Schwachheit und Kraft (389.390): »Die Schwäche tritt nicht an die Stelle der Stärke: weder in dem Sinn, dass sie den Anspruch auf Autorität zunichte machen würde (wie es vielleicht die Gegner und manche Korinther sahen), noch so, dass erst hier, in der Schwäche, die eigentliche Quelle der Autorität zu finden sei (was die meisten heutigen Auslegungen als die paulinische Antwort ansehen)« (340 f.). Vielmehr zeigt der Vf. »das Nebeneinander der beiden Perspektiven: Die paulinische Mission, die durch seine (für die Korinther attraktiven) Stärken empfohlen wurde, wird durch seine (für die Korinther bisher abstoßenden) Schwächen nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt. Neben die unanstößige Hervorhebung der eigenen Stärken tritt die unanstößige Präsentation der eigenen Schwächen« (341). Ja, m. E. müsste man sogar noch weiter zuspitzen: Gerade die Schwachheit, die man Paulus in Korinth als Defizit seiner Christuszugehörigkeit (10,8) und apostolischen Vollmacht (10,8) zum Vorwurf macht (10,10), stellt er nach seiner Entrückung als »Mensch in Christus« (12,2) und dem Herrenwort in 12,9 f. als besondere Gelegenheit heraus, in der er die Nähe und Kraft Christi erfahren hat. Insofern erfolgt zwar in der Tat keine Gleichsetzung von Schwachheit und Stärke, gerade in dem vom Vf. zu Recht herausgestellten »Nebeneinander der beiden Perspektiven« (341) kommt Paulus aber sehr wohl zu einer Neubewertung seiner Schwachheit, die nun nicht mehr zum Defizitvorwurf taugt, sondern von ihm als Situation einer besonders intensiven Christusbeziehung und Erfahrung göttlicher Kraft gerühmt wird. Umso mehr verwundert, dass der Vf. καυχᾶσθαι (sich rühmen) zwar als »Schlüsselwort« (234) bezeichnet, seine Schlüsselrolle im Blick auf diese Um- und Neubewertung der Schwachheiten aber nicht eingehender analysiert. Weder untersucht er seine rhetorische Funktion, was im Rühmen der Stärken und Schwächen ironisch oder ernst gemeint sein könnte. Noch fragt er weiter nach der theologischen Bedeutung, worin der Gegensatz zwischen den beiden Arten des Selbstruhms besteht (10,8.17; 11,16; 12,5 f.), was an diesem Selbstruhm als töricht (11,16) und fleischlich (11,18) verworfen wird oder aber »nach Art des Herrn« (11,17) und im Sinne des Schriftzitats aus Jer 9,22 f. (10,17; vgl. 1Kor 1,31: »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn«) geboten wäre und damit Kriterien für das paulinische Verständnis bieten könnte.
Wichtig ist dem Vf.: die Selbstempfehlung des Paulus hat »keinen erkennbaren christologischen Bezug« (238). Man fragt sich, warum der Vf. bei seiner so intensiven synchronen Auslegung im selben Briefteil zum Problem von Schwachheit und Kraft jeglichen christologischen Bezug bestreitet. Selbst zu dem Herrenwort in 12,9 f. wendet er gegen die häufig angenommene kreuzestheologische Argumentation ein, dass »zwischen 12,10 und 13,4 längere Ausführungen zu ganz anderen Themen (stehen), die es schwer machen, die beiden Texte direkt aufeinander zu beziehen« (310). Am Ende zeigen die wirkungsgeschichtlichen Ausführungen zu den kreuzestheologischen Deutungen von 13,4, dass gerade das, »was weithin als typisch paulinische (und lutherische) Theologie angesehen wird« (382), nur »in der exegetischen und populärtheologischen Lutherrezeption« vertreten wird (389), bei genauerer Analyse aber »weder im 2Kor noch in Luthers Bezugnahmen auf diesen Brief begegnet« (390). Kritisiert wird damit vor allem die von Bultmann und Gräßer (378–380) vertretene Verhältnisbestimmung: »Kraft als Schwachheit«. »Eine Paradoxie im streng logischen Sinn, also die Identität eines kontradiktorischen Gegensatzpaares, ist nicht erkennbar. Schwachheit und Stärke fallen weder im 2Kor noch in seinen Auslegungen durch Luther so zusammen, dass ausschließlich in Leidenssituationen die Kraft der Auferstehung zu erfahren ist und dass sie von anderen immer nur mittelbar (z. B. durch die Mitteilung dieser Erfahrung) wahrgenommen werden kann« (390). Sowohl bei Paulus als auch bei Luther eindeutig zu erkennen sind jedoch die beiden Verhältnisbestimmungen »Kraft neben Schwachheit« z. B. in den Missionserfolgen und der Durchsetzungsfähigkeit des Apostels in Konflikten sowie »Kraft in Schwach­heit«, wenn Paulus Situationen des Leidens allein durch die Kraft Gottes überlebt (389).
Diese Differenzierungen zur Kreuzestheologie bei Paulus und Luther erweisen sich am Ende als der größte theologische Gewinn der ganzen Auslegung. Mit ihnen sollte die Lektüre des Kommentars beginnen.