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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

280–282

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Röhrig, Sarah

Titel/Untertitel:

Religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen als Grundrechtseingriffe.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XXI, 294 S. = Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht, 30. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-154864-2.

Rezensent:

Norbert Janz

Auch über 20 Jahre nach der wegweisenden Kruzifixentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bergen religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen ein beachtliches Konfliktpotential. In immer neuen Fallkonstellationen werden die verfassungsrechtlichen Fragen akzentuiert, und zwar unter einer sich fortentwickelnden verfassungsgerichtlichen Judikatur. Die besondere grundrechtliche Eingriffssituation hat sich Sarah Röhrig in ihrer rechtswissenschaftlichen, von Stefan Muckel betreuten Dissertation der Uni Köln aus dem Wintersemester 2015/2016 vorgenommen.
Die Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Frage zu beantworten, ob und gegebenenfalls unter welchen näheren Voraussetzungen die Symbolkonfrontation in Grundrechte eingreift. Für die Bestimmung der tatsächlichen Wirkkraft wird auch auf soziologische, psychologische und religionspädagogische Erkenntnisse zurückgegriffen, was zielführend erscheint. Im Rahmen einer Analyse sollen schließlich Kriterien ermittelt werden, anhand derer im Einzelfall festzustellen ist, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt.
Vorangestellt sind grundlegende Überlegungen zum Symbolbegriff. Religiöse Symbole umfassen nach der Definition R.s körperliche Gegenstände, denen im Wege der Interpretation religiöse Ideen entnommen werden können. Im ersten Kapitel skizziert R. dann die tatsächlichen Wirkungen der Konfrontation mit religiösen Symbolen und bezieht dabei explizit religions- und sozialpsychologische Forschungsergebnisse in ihre Überlegungen mit ein. Grundvoraussetzung sei zunächst die Wahrnehmung des Symbols. Folge könne sein eine Emotionsauslösung, eine Einstellungsänderung oder eine sonstige Wirkung, wie z. B. ein Handlungszwang. Zu beachten sei aber, dass neben der Konfrontationssituation im­mer auch weitere innere und äußere Faktoren beeinflussend wirkten. Diese Multikausalität führe a limine zu Schwierigkeiten bei einer grundrechtlichen Zuordnung zum Staat. Ferner müsse bei Symbolen berücksichtigt werden, dass die staatlichen Räume aus unterschiedlichen persönlichen Gründen – angenehme oder unangenehme – aufgesucht werden, was sich im Rahmen einer Konditionierung auswirke. Entsprechendes gelte für die Dauer des Aufenthaltes und fehlende Ausweichmöglichkeiten.
Der nächste Abschnitt befasst sich mit der Identifizierung relevanter Schutzbereiche anhand tatsächlicher Wirkungen der Konfrontation mit religiösen Symbolen. Dabei sei auf die Perspektive des Symbolbetrachters abzustellen. Es werden nach sorgsamer in­terdisziplinärer Argumentation die einschlägigen Grundrechte benannt, insbesondere die körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei ausgelösten Emotionen sowie die Glaubensfreiheit und das elterliche Recht zur religiösen Erziehung der Kinder bei einstellungsändernden Einflüssen. Ein Schutz der emotionalen Integrität etwa in Form von Ärger über die Konfrontation lasse sich Art. 4 GG nicht entnehmen. Zudem weist R. auf die kumulativen Faktoren hin. Es sei zu prüfen, ob und inwieweit sich diese Faktoren auf die Annahme eines Eingriffs im Einzelfall auswirkten.
Sodann wendet sich R. den Eingriffen in die grundrechtlichen Schutzbereiche durch die tatsächlichen Wirkungen der Symbolkonfrontation zu. Bei emotionsauslösenden Konfrontationen sei regelmäßig kein Grundrechtseingriff gegeben. Denn selbst bei hoher gefühlsmäßiger Belastung bis hin zu körperlichen Schmerzen oder einer Schockstarre sei der staatliche Beitrag zu gering; andere subjektive Faktoren seien beherrschender. Die Grundrechte schützen den Bürger mithin nur ganz selten davor, Emotionen als solche erleben zu müssen. Bei einstellungsändernden Situationen hingegen könne die Glaubensfreiheit (in der Regel die positive, gegebenenfalls auch die negative), bei Kindern zudem das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 2 GG, tangiert sein. Dabei seien auch hier die hinzutretenden Faktoren zu ermessen. Mitunter komme daneben eine Grundrechtsgefährdung in Betracht. Letztlich plädiert R. – wenig überraschend – für eine einzelfallbezogene Betrachtung.
Im Schlussteil findet sich dann ein Überblick zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung festgestellter Grundrechtseingriffe und zur Reichweite grundrechtlicher Schutzpflichten. Stelle die Symbolkonfrontation einen Grundrechtseingriff dar, sei dies regelmäßig in Ermangelung einer verfassungsrechtlichen Befugnis nicht zu rechtfertigen. Differenzierter seien Symbolkonfrontationen von Privatpersonen zu betrachten, die auch die Schutzpflichtendimension der Grundrechte eröffneten.
Fazit: Die Arbeit nimmt religiöse Symbole in öffentlichen Räumen unter einem neuen Blickwinkel in den Fokus. Durch die Fixierung auf die Konfrontationssituationen werden weitere interessante Facetten dieser komplexen Gesamtproblematik offengelegt. Besonders die Aufteilung in emotionsauslösende und einstellungsändernde Konfrontationen hat durchaus ihren Reiz, auch wenn letztlich die verfassungsrechtliche Auflösung faktisch wenig Neues offenbart. Zu Recht weist R. abschließend darauf hin, dass sich die Er­gebnisse der Arbeit auf andere, z. B. politische Symbole übertragen lassen.