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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

209–210

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Seidl, Theodor

Titel/Untertitel:

Ijobs Monologe. Sprachwissenschaftliche Analysen zu Ijob 29–31.

Verlag:

St. Ottilien: EOS Verlag 2016. 158 S. = Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament, 101. Kart. EUR 24,95. ISBN 978-3-8306-7834-2.

Rezensent:

Markus Witte

Die Rede Hiobs in den Kapiteln 29–31 stellt mit 96 Versen nicht nur die längste Rede im Hiobbuch dar, die nicht durch einen anderen Redner oder durch eine erneute prosaische Einleitung desselben Redners unterbrochen wird. Sie bildet auch aufgrund ihrer besonderen rhetorischen Struktur und Mischung ganz unterschiedlicher Gattungen eine höchst komplexe Komposition. Mit dem umfangreichen Rückblick Hiobs auf seine gesegnete Vergangenheit (Kapitel 29), der eindringlichen Klage über sein gegenwärtiges Leiden (Kapitel 30) und seinem überwiegend in Eidesform gehaltenen Unschuldsbekenntnis (Kapitel 31) gipfelt diese Rede in der unmittelbaren Herausforderung Gottes, Stellung zu beziehen und Hiobs Unschuld anzuerkennen. Die Rede steht damit an einem zentralen Wendepunkt der Hiobdichtung und unterstreicht deren dramatische Anlage. Aufgrund ihres hohen Anteils juridischer Sprachformen, ihrer Parallelen zu »negativen Sündenbekenntnissen«, wie sie z. B. aus der ägyptischen Totenbuchliteratur bekannt sind, ihres ausgeprägten Ethos, aber auch ihrer kompositionellen Eigenheiten war sie in jüngerer Zeit mehrfach Gegenstand umfassender traditions-, redaktions- und theologiegeschichtlicher Untersuchungen. Gegenüber diesen Studien, die sich um eine genauere Verortung von Hiob 29–31, sei es in ihrer kompositionellen Gesamtheit, sei es in ihrer mutmaßlichen literarischen Schichtung, im Kontext des Hiobbuches sowie in der jüdischen Literatur- und Religionsgeschichte der persischen und hellenistischen Zeit bemühen, ist das Ziel von Theodor Seidl, der bis zu seiner Emeritierung als Alttestamentler an der Würzburger katholisch-theologischen Fakultät wirkte, sehr viel bescheidener.
So wird hier auf der Basis der vor allem von den römisch-katholischen Exegeten und Hebraisten Wolfgang Richter (1926–2015) und Hubert Irsigler (geb. 1945) entwickelten sprachwissenschaftlichen Methoden eine detaillierte Beschreibung der Wort-, Wortfügungs-, Satz- und Satzfügungsebene von Hiob 29–31 gegeben. Ausgangspunkt ist die von Wolfgang Richter ausgehend von der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) initiierte Biblia Hebraica transcripta (BHt), deren Text übersetzt und textkritisch erschlossen wird. Abgesehen von kleinen »unumgängliche(n)« Änderungen in 29,6.21; 30,3.11.12. 20.22.24; 31,7.11.18.22.29, hält S. am Masoretischen Text (gemäß BHS und BHt) fest (vgl. 38). Dabei setzt er die literarische Kohärenz von Hiob 29–31 mehr oder weniger voraus und spricht lediglich – mit einem breiten Forschungskonsens – 31,38–40 als einen Nachtrag an. Eine eigentliche argumentative Auseinandersetzung mit literar- und redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen findet nicht statt, steht aber auch nicht im Interesse der ganz der Textoberfläche gewidmeten Studie. Hinsichtlich des Aufbaus der »Herausforderungsrede[n] Hiobs« bestätigt die schematisch, dadurch aber methodisch transparente Analyse S.s die Gliederung in einen Rückblick Hiobs (Kapitel 29,1.2–7.8–11.12–17.18–20.21–25), in eine von starken Emotionen geprägte Gegenwartsschilderung, in welcher der Tun-Ergehen-Zusammenhang nochmals in Frage gestellt werde (Kapitel 30,1–10.11.12–15.16–19.20–23.24–31), und in eine Abweisung persönlicher Schuld am Beispiel von zwölf Vergehen, die Hiob nicht begangen habe (Kapitel 31,1–4.5-34). Den Gipfel sieht S., wie die herkömmliche Exegese, in Hiobs Rechtfertigungswunsch in 31,35–37, der direkt zu den Gottesreden (Hiob 38,1–42,6) überleite. Dabei interpretiert S., ganz traditionell, erstens den in Hiob 31,35 genannten sepær (31,35) als die göttliche Anklageschrift gegen Hiob, die sich diesem zur Unschuldserklärung wandele, und zweitens Gott als Ankläger, Anwalt und Richter in einer Person. Deutlicher als in bisherigen Untersuchungen arbeitet S. die in Hiob 29–31 vorliegenden Sprech-akte (nach John Searle und Hubert Irsigler) – Kundgabe, Darstellung und Appell – sowie die zum Ausdruck gebrachten Affekte heraus.
Insgesamt bewegt sich die Studie eng in den von der »Richter-Schule« geprägten literaturwissenschaftlichen Bahnen. Sie fügt sich dementsprechend in die Reihe der Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament. Gleichwohl vermisst man, abgesehen von tiefergehenden literargeschichtlichen Beobachtungen, die zwar ausdrücklich nicht im Mittelpunkt von S.s Interesses stehen, obgleich sie immer wieder (zumeist) thetisch aufblitzen (so, wenn z. B. in wenigen Zeilen behauptet wird, dass Hiob 29–31 die Rahmenerzählung voraussetzten), eine Berücksichtigung neuerer linguistischer und rhetorischer Studien zur Hiobdichtung, wie sie in den zurückliegenden Jahren vor allem von der niederländischen und nordamerikanischen Forschung vorgelegt wurden.