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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1380–1382

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Justenhoven, Heinz-Gerhard, u. Mary Ellen O’Connell [Eds.]

Titel/Untertitel:

Peace Through Law. Reflections on Pacem in Terris from Philosophy, Law, Theology, and Political Science.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft; Münster: Aschendorff Verlag; London u. a.: Bloomsbury 2016. 284 S. = Studien zur Friedensethik, 50. Geb. EUR 74,00. ISBN 978-3-8487-1896-2.

Rezensent:

Ewald Stübinger

Der in englischer Sprache verfasste Sammelband aus Anlass des 50-jährigen Erscheinens der Enzyklika »Pacem in terris« (1963) von Papst Johannes XXIII. enthält Artikel internationaler Experten aus Theologie, Philosophie, Staats- und Rechtswissenschaften zur Frage, ob weltweiter Frieden durch Recht möglich ist. Die Relektüre von »Pacem in terris« dient der Absicht, unter den inzwischen veränderten Bedingungen Möglichkeiten für eine internationale Friedensordnung auszuloten. Themenschwerpunkte der Aufsätze sind (1.) die Chancen der Überwindung von Krieg durch internationales Recht und eine entsprechende globale öffentliche Institution, (2.) die Alternative von Global Governance versus Global Government (Weltstaat) und (3.) die Validität einer internationalen (Straf-)Ge­richtsbarkeit. Der Grundtenor des Bandes besteht überwiegend in der optimistischen Überzeugung, dass die Überwindung von Krieg durch Recht möglich ist, wenn die entsprechenden internationalen Organisationen weiterentwickelt werden.
Die ersten Artikel rekurrieren schwerpunktmäßig auf »Pacem in terris«. J. Verstraeten (11 ff.) zeichnet den zeit- und wirkungsgeschichtlichen Hintergrund der Enzyklika nach. Diese formuliert die Abkehr von der Lehre vom gerechten Krieg und – ohne einen strikten Pazifismus zu vertreten – die Forderung nach einer internationalen Friedensordnung auf der Basis von Menschenrechten und Gerechtigkeit. Die Vision des Friedens verlangt nach Verstraeten eine internationale Autorität, die dem Prinzip der Subsidiarität verpflichtet ist. H.-G. Justenhoven (31 ff.) verweist darauf, dass die Päpste den Vorstoß des US-Präsidenten W. Wilson von 1917 für eine internationale (Friedens-)Organisation unterstützt haben. Hieraus entstand das Konzept, internationale Konflikte nicht durch Zwang und Gewalt, sondern durch Recht mittels einer globalen öffentlichen Autorität zu regeln. Diese sollte die Möglichkeit erhalten, in die Souveränität eines Staates eingreifen zu können, wenn dieser bei zentralen Aufgaben versagt, z. B. Menschenrechte massiv verletzt. Anstelle einer interessengeleiteten Intervention von Großmächten – wie gegenwärtig in Syrien und in der Ukraine – votiert Justenhoven für eine Position der Unparteilichkeit auf der Grundlage eines internationalen Rechtssystems (mit Kant und Höffe), wie sie der Idee nach die Vereinten Nationen repräsentieren. Nach M. Lutz-Bachmann (65 ff.) konvergieren »Pacem in terris«, die Gründung der Vereinten Nationen (1945) sowie die Deklaration der Menschenrechtscharta (1948) und geben zur Hoffnung Anlass, dass »Frieden auf Erden« möglich ist. Dieser sei das »höchste Gut« und zugleich rational einsichtig. Die doppelte – philosophische und theologische – Begründung in »Pacem in terris« mache die Forderung rational nachvollziehbar, Frieden nicht durch militärischen Zwang, sondern durch Recht zu schaffen. Eine skeptische Sichtweise vertritt demgegenüber N. Biggar (109 ff.) aus anglikanischer Perspektive. Er erachtet »Pacem in terris« zwar für ehrenwert, aber zugleich auch für naiv, und zwar sowohl hinsichtlich dessen Pazifismus – der gegenüber Terror, Völkermord u. Ä. machtlos sei – als auch in Bezug auf eine globale Regierung, die nicht wünschenswert (da zur Unterdrückung neigend) und utopisch sei, da zum einen die kulturellen Differenzen weltweit zu groß seien und zum anderen historisch betrachtet größere politische Gebilde immer nur aus starken politischen Konflikten hervorgegangen seien. Allerdings zeigen die weiteren Ausführungen Biggars, dass er keine völlig konträre Position einnimmt, da er die schrittweise Entwicklung einer internationalen Ordnung fordert, die auf internationalem Recht und Institutionen basiert unter Wahrung der Pluralität der Staaten, Kulturen etc. Auf der anderen Seite hält Biggar bei Blockade des UN-Sicherheitsrats sowie der Schutzfunktion des Rechts allerdings ein humanitäres militärisches Eingreifen ohne UN-Mandat, wie 1999 bei der NATO-Intervention in Kosovo ge­schehen, als Ausnahme für akzeptabel (115 ff.).
Die Frage »Weltstaat oder Global Governance?« beantworten A. Hasenclever und A. Schramm (143 ff.) dahingehend, dass sie auf die Grenzen der Weltstaatsidee (vgl. Höffe u. a.) verweisen (Gefahr der gewaltsamen Erzwingung, des Abdriftens in Tyrannei, eher langfristiges Projekt). Dagegen setzen sie das Konzept einer mehrstufigen Global Governance, die neben Staaten neue Akteure (NGOs, transnationale Unternehmen u. a.) einbezieht. In einem längerfris-tigen Prozess könnten sich »Inseln der Autorität« (156) entwickeln, die sich schließlich zu internationalen Organisationen für Frieden verfestigen. Auf der Ebene der politischen Philosophie (vor allem Hegels und Honneths) sieht M. Reder (169 ff.) die Globalisierung durch Global Governance bestimmt. Ziel der Global Governance sei eine friedliche Welt, die kulturelle, soziale und politische Vielfalt einschließe. Reder plädiert für ein vielschichtiges Netzwerk von Kooperation, Global Governance und struktureller Macht. Hierfür hält er jedoch die Zielperspektive einer kosmopolitischen Demokratie für erforderlich, um das Defizit an demokratischer Legitimation, das Global Governance inhäriert, sowie die Dominanz der Staaten der Nordhalbkugel zu überwinden.
Speziell dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) und der Frage, ob dieser eine globale öffentliche Autorität darstellt, widmet sich S. T. Tessema (255 ff.). Dabei steht die Frage der Legitimität des ICC im Zentrum – in Abgrenzung von dessen Begründung durch Eigeninteresse und Zwang. Zwar hält Tessema die legale Legitimität des ICC – fokussiert im Rom-Statut von 1998, von 123 Staaten ratifiziert – für grundsätzlich gegeben, allerdings durch die be­trächtlichen Einflussmöglichkeiten des UN-Sicherheitsrates für relativiert. Analoges gilt für die moralische Legitimität, die Tessema in konsensuellen Minimalstandards (von Gerechtigkeit/Recht), dem Wohlfahrtsversprechen und der Anerkennung der institutionellen Integrität festmacht. Hier seien es vor allem afrikanische Länder, die Vorbehalte artikulierten. Gleiches gelte für die sozio-logische Legitimität im Sinne eines fairen, unparteiischen Standp unkts, dem vor allem die Dominanz der fünf Vetomächte im Si­cherheitsrat gegenüberstehe. Auch die Anklage von fast ausschließlich afrikanischen Herrschern nähre den Verdacht der afrikanischen Staaten auf Parteilichkeit des ICC. Als Hauptdefizite erachtet Tessema die fehlende universelle Jurisdiktion des ICC, den Vorrang der staatlichen Souveränität vor der internationalen Jurisdiktion sowie die fehlende globale Autorität. Insgesamt hält Tes-sema den ICC jedoch für geeignet, eine globale öffentliche Autorität zu repräsentieren, allerdings erst nach einer weitreichenden Re­form der Vereinten Nationen.
Der Aufsatzband bietet einen breiten und zugleich differenzierten Überblick über die gegenwärtigen Diskussionen zur Förderung des Weltfriedens durch internationales Recht und dessen globale überstaatliche Verortung. Angesichts der mannigfachen globalen Herausforderungen durch Terror, Krieg und Gewalt, Migration und Vertreibung, Klima- und Umweltprobleme erscheint die Institutionalisierung von Friedensförderung durch Recht als dringlicher denn je. Die meisten Autoren sind grundsätzlich optimistisch (wenn auch nicht im naiven Sinne), was dessen Chancen auf Realisierung betrifft. Mit der Erinnerung an »Pacem in terris« wird die Vision einer Überwindung von Krieg und Gewalt wachgehalten, die zugleich ökumenisch ist (vgl. ÖRK). Damit wird außerdem einer »Eigengesetzlichkeit der Welt« widersprochen, wie sie sich in manchen Ausprägungen der Zwei-Reiche-Lehre findet. Die erforderlichen gewaltigen Schritte zur Umsetzung müssen zeigen, ob und inwieweit diese optimistische Vision angesichts einer konfliktreichen Weltlage sich tatsächlich auch durchsetzen wird – ungeachtet von deren grundsätzlicher (Denk-)Möglichkeit.