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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1348–1350

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kucicki, Janusz

Titel/Untertitel:

Eschatology of the Thessalonian Correspondence. A comparative study of 1 Thess 4,13–5,11 and 2 Thess 2,1–12 to the Dead Sea Scrolls and the Old Testament Pseudepigrapha.

Verlag:

Bern u. a.: Peter Lang 2014. 404 S. = Das Alte Testament im Dialog, 7. Kart. EUR 91,80. ISBN 978-3-0343-1474-9.

Rezensent:

Paul Metzger

Dieses Buch ist die Dissertation Janusz Kucickis, die an der katholischen Johannes-Paul II.-Universität von Lublin (Polen) eingereicht wurde. Diese Information ist wichtig, da viele der Einschätzungen des Buches aus diesem Kontext zu erklären sind. Dies beginnt bereits bei der Diagnose eines Forschungsdesiderats: »In Polish, so far, there are no studies, which examine the passages 1Thess 4,13–5,11, and 2Thess 2,1–12 in order to present how Paul created a compact and comprehensive Christian eschatology.« (20)
Abgesehen von der Frage, ob der 2Thess überhaupt dazu dienen kann, eine paulinische Eschatologie zu entwickeln, mag die Feststellung aus polnischer Perspektive zwar zutreffen, wählt man aber einen weiteren Horizont, lassen sich durchaus Titel nennen, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit diesen Textpassagen be­fassen. Entweder kennt K. solche Arbeiten nicht – wie er überhaupt die neuere deutschsprachige Forschung nahezu komplett ignoriert – oder er wirft ihnen vor, nur bestimmte Motive zu untersuchen, aber keine »Gesamteschatologie« der Thessalonicherbriefe anzustreben. Er erkennt zwar, dass es durchaus Forschungen zu seinem Sachgebiet gibt, »but they do not capture all the motifs and do not present the motifs in the full context of contemporary eschatolo-gical beliefs.« (26)
Um die paulinische Eschatologie der frühen Briefe »objektiv« (20) in den Blick zu bekommen, müsse also umfassender vorgegangen werden. Deshalb gilt: »Using the results of analysis of eschatological and apocalyptical motifs appearing in the Letters to the Thessalonians, we will compare to the same motifs present in the Old Testament Pseudepigrapha and the Qumran writings.« (30) Damit ist die Methode der Untersuchung benannt.
Im ersten Kapitel wird ein genereller Überblick über die »problems of eschatology in the Letters to the Thessalonians« (30) präsentiert, damit alle dort gefundenen Motive im zweiten und dritten Kapitel einem Vergleich mit der »intertestamential literature« (30) unterzogen werden können. Dies führt im vierten Kapitel zum eigentlichen Ziel der Arbeit: »We will try to describe the earliest stages of Christian eschatological thought.« (29)
Das erste Kapitel wirkt allerdings merkwürdig antiquiert. Po­sitionen der deutschen Forschung stammen teilweise noch aus dem 19. Jh. (F. C. Bauer; J. E. C. Schmidt) und werden kaum über Wolfgang Trillings Kommentar von 1980 hinausgeführt. Wichtige literarische Perspektiven (Hanna Roose) werden genauso wenig erwähnt wie neuere Arbeiten zur Katechon-Problematik (T. Roh; F. W. Röcker). Am Ende dieses eher oberflächlichen Überblicks steht das Fazit, dass es immer noch keine hinreichenden Argumente gebe, die Authentie des 2Thess zu bestimmen: »The case of authenticity of the letter remains an open question.« (48) Dieses Urteil kann man bezweifeln oder akzeptieren, wichtiger scheint aber die methodische Frage, wie der motivische Vergleich hier helfen kann.
Danach werden »events preceding the Parousia« in den Blick genommen. K. unterscheidet dabei zwischen Christen und »Non-Christians«, da diesen unterschiedliche Dinge passieren würden. So kann er sich dem Dualismus der Qumrantexte gut annähern. Diese bestimmt er als Texte der »Qumran Community«, die wiederum ohne weitere Diskussion identifiziert wird »with the Jewish sect of the Essenes, who existed from middle of the second century BC until the war against Rome« (53). Ohne weitere Diskussion, inwiefern diese Texte überhaupt vergleichbar sind, werden nun Motive beider Briefe aufgenommen und gezeigt, wie diese in der Qumranliteratur auftauchen. »Wachsamkeit«, »Verführung«, »der Mensch der Gesetzlosigkeit« und der »Aufhalter« werden diskutiert.
Im dritten Kapitel sind dann Motive im Fokus, die direkt mit der Parusie zusammenhängen. Es geht um das Moment der »Überraschung«, des »Kommens des Herrn«, der gleichen Behandlung von Lebenden und Toten. Sicher stellen beide Kapitel die größte Leis­tung dieser Arbeit dar. Sie unterbreiten eine Fülle von Parallelen zwischen den Briefen und der ausgewählten Umwelt. Zuweilen liest sich das Buch daher wie ein motivisches Kompendium der Eschatologie und hat darin auch einen wichtigen Wert. Trotzdem stellen sich hinsichtlich der Aussagekraft der Vergleiche Fragen: Können sie mehr für das Verständnis des Paulus liefern als einen allgemeinen Horizont aufzuzeigen, in dem sich auch sein Denken einzeichnen lässt? Zumal ein Ergebnis der Untersuchung lautet, dass es keine Abhängigkeit zwischen Paulus und den Qumrantexten gibt (329). Werden die Differenzen zwischen den verglichenen Texten genügend berücksichtigt? Könnte man auch andere Texte z um Vergleich heranziehen? Müsste man das nicht sogar, wenn man einen »objektiven« und vollumfänglichen Ansatz wählt? Ist die Trennung der Gruppen zwischen »Christen« und »Nicht-Chris­ten« methodisch sinnvoll? Ist die Differenz zwischen Eschatologie und Apokalyptik hinreichend geklärt und auch überzeugend?
Das Ergebnis des Vergleichs ist gleichwohl interessant. Die Studie zeigt, dass Paulus durchaus Motive verwendet, die auch in den anderen Texten präsent sind, und sie auf sein christologisches Denken hin ausrichtet. Seine Eschatologie dient dabei dem Ziel, »to resolve problems in Thessalonica closely related to eschatological issues.« (311) Dies scheint wenig überraschend, so dass die wirklich interessante These eher darin zu sehen ist, dass der 2Thess im Grunde gar keine Eschatologie unterbreite, sondern lediglich eins der untersuchten eschatologischen Motive aufnehme und breit entfalte. Laut der Studie lässt sich demnach von einer Eschatologie des 2Thess gar nicht sprechen (321). Der 2Thess präsentiere lediglich ein apokalyptisches Motiv (»times and seasons«; 320), um das es aufgrund einer völlig anderen Gemeindesituation Verwirrung ge­geben habe (326). Wie sich die Situation so rasch nach dem 1Thess grundlegend verändert haben könnte, obwohl die Gemeinde doch bereits »fully informed concerning this issue« (324) war, kann K. nicht recht glaubhaft machen.
Überhaupt dürfe man 1Thess 5,1–11 grundsätzlich nicht mit 2Thess 2,1–12 vergleichen, da hier unterschiedliche Gruppen an­gesprochen würden. 1Thess sei für Nicht-Christen bestimmt, 2Thess 2,1–12 beschreibe das, was lediglich Christen erkennen könnten (327). Für Nicht-Christen komme der Tag des Herrn unerwartet, weil sie die Zeichen der Zeit (2Thess 2,1–12) nicht lesen könnten: »The difference between 1 Thess 5,1–11 und 2Thess 2,1–12 should not be interpreted in terms of opposing eschatological concepts, because the statements contained in each passage concern different groups.« (328) Es scheint fraglich, ob sich diese Unterscheidung wirklich halten lässt. Es gibt dazu keinen Anhalt im Text, und immerhin richten sich doch ähnliche Mahnungen wie 1Thess 5 (z. B. Mt 25,1–13) auch an Christen. Wenn also die Gemeinde vollständig informiert ist, fragt man sich, warum der 2Thess dann überhaupt geschrieben wurde. Dass 2Thess 2,1–12 also lediglich »a kind of appendix« (330) zu 1Thess darstellen soll, scheint weiterhin zweifelhaft. Ebenso unbewiesen bleibt auch folglich die Behauptung, dass der 2Thess ein authentischer Paulusbrief sein muss.
Dem Buch wäre insgesamt ein besseres Lektorat zu wünschen gewesen. Es enthält leicht vermeidbare Fehler im Text und Verwechslungen in den Verzeichnissen. Außer dem harten Englisch machen Längen und Wiederholungen die Lektüre des Buches nicht einfach. Der bleibende Wert liegt letztlich vor allem in den aufgezeigten motivischen Parallelen, die weiteren Forschungen gute Dienste erweisen werden.