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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1224–1225

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Briefe aus der Dresdener Zeit 1686–1691. Bd. 4: 1690–1691. Hrsg. v. U. Sträter u. J. Wallmann in Zusammenarbeit m. K. vom Orde.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XLIV, 821 S. Lw. EUR 199,00. ISBN 978-3-16-155003-4.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

Die monumentale Edition des Spener-Briefwechsels gehört zu den »Leuchtturm«-Projekten der Pietismusforschung. Seit gut drei Jahrzehnten ist unter der Leitung von Johannes Wallmann und Udo Sträter eine beachtliche Anzahl mustergültig edierter Bände erschienen. Nach wechselnden Finanzierungen und institutionellen Anbindungen ist die Edition nun an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig angesiedelt. Insgesamt umfasst das Vorhaben drei Module, die die drei Wirkungsperioden Speners in Frankfurt/M. (1666–1681), Dresden (1686–1691) und Berlin (1691–1705) erfassen. Bereits parallel zu dem mittlerweile bis zum Jahr 1681 fortgeschrittenen Frankfurter Modul begann 1993 die Arbeit an dem Dresdener Modul. Mit dem Erscheinen des vierten Bandes aus dieser Zeit ist es nun, ein Vierteljahrhundert später, als erstes der drei Module abgeschlossen. Damit ist die kurze, aber bedeutende Wirkungszeit Speners als kursächsischer Oberhofprediger im Spiegel seiner Korrespondenz vollständig erschlossen. Äußerlich betrachtet, stand sie unter ungünstigen Vorzeichen. Speners Versuch einer seelsorgerlichen Einwirkung auf Kurfürst Johann Georg III. führte 1689 zu einem Zerwürfnis, das eine weitere Tätigkeit in Dresden aussichtslos erscheinen ließ. Auch in die pietistischen Streitigkeiten in Leipzig wurde er involviert. Dennoch wird man die Dresdener Jahre, in denen Spener eines der bedeutendsten geistlichen Ämter im deutschen Luthertum innehatte, nicht un­terschätzen dürfen. Der nun vollständig vorliegende Briefwechsel dieser Zeit bestätigt das eindrucksvoll. Mit insgesamt 660 Briefen gestaltete sich Speners Briefwechsel hier durchschnittlich doppelt so umfangreich wie als Frankfurter Senior.
Der hier anzuzeigende Band enthält 170 Briefe Speners in deutscher und lateinischer Sprache vom Beginn des Jahres 1690 bis zum Frühjahr des Jahres 1691. Gutachten sowie Briefe der Korrespondenten an Spener sind, den allgemeinen Editionsprinzipien folgend, nicht aufgenommen. Die meisten – elf – Briefe schrieb Spener an Johann Wilhelm Petersen, die übrigen galten Adressaten beider Geschlechter, verschiedener Stände und unterschiedlicher Regionen überwiegend in Deutschland. Nicht wenige Adressaten waren nicht mehr zu ermitteln.
Thematisch schlägt sich in diesem Band immer wieder der langdauernde Konflikt mit Speners kurfürstlichem Dienstherrn nieder. An Gelegenheiten, sich durch eine ehrenvolle auswärtige Berufung aus der Misere zu befreien, mangelte es von Anfang an nicht. Doch Spener, der schon den Ruf nach Dresden nur akzeptiert hatte, nachdem er darin Gottes Willen erkannte, zögerte und fürchtete, seiner göttlichen Berufung untreu zu werden. Erst 1691 ließ er sich zum Wechsel nach Berlin überzeugen.
Natürlich bildete auch die Entwicklung der pietistischen Bewegung in Leipzig und Erfurt, aber auch in Hamburg und Gießen einen Gegenstand gesteigerten Interesses für Spener. Dabei sah er sich durch sein kirchliches Leitungsamt in der Situation, gegen Fehlentwicklungen und Irrlehren wie einen christlichen Perfektionismus oder Auswüchse der chiliastischen Erwartung einschreiten zu müssen. In diesem Zusammenhang entstand in Kursachsen unter Speners Mitwirkung und mit seiner Unterschrift das erste Pietistenedikt, das ein Vorgehen gegen bedenkliche Konventikel gestattete. Die Möglichkeit neuer, außerordentlicher Offenbarun gen, wie sie damals Rosamunde Juliane von Asseburg und andere Frauen empfingen, räumte Spener vorsichtig ein. Bemerkenswert erscheint der Brief Nr. 141 an Johann Heinrich Horb, in dem Spener Versicherungen als Instrumente im Dienst der Nächstenliebe und als Ausdruck gottwohlgefälliger Klugheit für zulässig und anatomische Leichenöffnungen ihres Nutzens für den leidenden Nächs­ten wegen für erlaubt erklärte; er selbst würde seinen Körper zur Sektion zur Verfügung stellen. Im Brief Nr. 166 an einen unbekannten Prediger versicherte Spener, dass ein wahrer Christ Tabak anbauen und genießen dürfe; der Tabak sei eine Schöpfung Gottes und, in Maßen konsumiert, sogar gesundheitsfördernd. Er selbst sei in dieser Hinsicht freilich ohne eigene Erfahrung.
Die Textkonstitution und Kommentierung der Briefe ist ge­wohnt sorgfältig. Wie üblich, ist dem Band ein Personen-, Orts- und Bibelstellenregister beigegeben. Ein Novum stellt dagegen das von Klaus vom Orde erstellte Sachregister dar, das alle vier Briefbände der Dresdner Zeit erschließt und ein wertvolles Arbeitsinstrument ist. Vergleichbare Sachregister sind auch für die beiden anderen Module in Aussicht genommen.