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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1021–1024

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Couey, J. Blake

Titel/Untertitel:

Reading the Poetry of First Isaiah. The Most Perfect Model of the Prophetic Poetry.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2015. 247 S. Geb. US$ 110,00. ISBN 978-0-19-874355-2.

Rezensent:

Torsten Uhlig

Untersuchungen zur Hebräischen Poesie haben in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Psalmenforschung sowie im Sprüchebuch gezeigt, dass sie weit mehr umfasst als die Einteilung in synonyme, antithetische und synthetische Parallelismen. Die Fragen nach dem Verhältnis der parallelen »Glieder« zueinander, nach Segmentation (Abgrenzung der Verszeilen), Umfang und Beziehungen von größeren poetischen Einheiten (Strophen, Stanzen), nach Metaphorik und Pragmatik bis hin zu Beziehungen zwischen verschiedenen poetischen Einheiten (z. B. Psalmen innerhalb von Psalmengruppen) sind in Monographiestärke bearbeitet worden und haben die Interpretation der Psalmen und Weisheitsliteratur enorm bereichert und vertieft.
Wendet man sich durch derartige poetologische Fragestellungen sensibilisiert der Auslegung der Propheten zu, begegnen zwar viele Gemeinsamkeiten, doch stellen sich auch besondere Herausforderungen, die wohl nicht zuletzt in der Eigenheit prophetischer Texte begründet liegen. Dazu zählen die nicht selten vage Entscheidung, ob ein Text Poesie oder Prosa ist, Schwierigkeiten zu einer begründeten Segmentation von Zeilen zu kommen, Bestimmung von Umfang größerer poetischer Einheiten und deren Verhältnis zueinander und nicht zuletzt das Maß an Ein- oder Mehrdeutigkeit in den Aussagen.
Das hier anzuzeigende Buch von J. Blake Couey widmet sich genau solchen Fragestellungen und möchte damit die Bedeutung der Beachtung des poetischen Stils für die Interpretation prophetischer Texte herausstellen. Reading the Poetry of First Isaiah ist eine für die Drucklegung umfangreich überarbeitete Dissertation, die von F. W. Dobbs-Allsopp betreut und 2009 am Princeton Theological Seminary angenommen wurde. Wie der Titel anzeigt, konzentriert sich C. auf einige Abschnitte in Jesaja 1–39, die seiner Meinung nach auf den Propheten Jesaja zurückgehen, wobei er den Zusammenhang einzelner Texte innerhalb des Jesajabuches untereinander als sehr lose ansieht (ohne freilich andere Ansätze aufzugreifen oder zu diskutieren).
Neben einer Einleitung und abschließenden Zusammenfassung besteht die Arbeit aus drei Kapiteln. Jedes dieser Kapitel ist der Diskussion einer zentralen Frage der Poetik gewidmet, auf deren Basis jeweils beispielhaft ein Abschnitt in Jes 1–39 betrachtet wird.
Kapitel 1 behandelt Probleme der Verszeilenbestimmung (»The Line in First Isaiah«). Ausgehend von der Bedeutung der klaren Be­grenzung von Verszeilen in der Poesie einerseits und von einer in den Prophetentexten der Hebräischen Bibel fast völlig fehlenden Zeileneinteilung in den Manuskripten andererseits, hebt C. die Wichtigkeit der Bestimmung des Verszeilenumfangs und ihrer Abgrenzung hervor und diskutiert zentrale Marker für eine entsprechende Segmentation. Dazu zählen stilistische Kennzeichen (Parallelismus mit dem internen Parallelismus als besonderer Hera usforderung; Enjambement), Aspekte des Rhythmus und der Verszeilenlänge (Metrum kann für Segmentation nicht bestimmend sein; durchschnittliche Verszeilen bestehen aus drei bis fünf Worten bzw. Betonungen) sowie syntaktische Grenzen (in hebräischer Poesie werden syntaktische Regeln nicht außer Kraft gesetzt, weshalb das Ende von syntaktischen Einheiten für die Bestimmung von Verszeilenlängen herangezogen werden kann). Ein Re­sultat dieser Diskussion besteht für C. darin, dass Fragen der Segmentation zusammen mit der Interpretation einer Texteinheit verhandelt werden müssen. Diesen Versuch unternimmt er ab­schließend hinsichtlich Jes 22,1b–14 (die subtilen Wirkungen der Segmentation fügen sich zusammen mit der Spannung zwischen Klage und Jubel auf der Inhaltsebene).
In Kapitel 2 (»Structure and Movement«) thematisiert C. größere poetische Einheiten und das Wechselverhältnis der Verszeilen untereinander, wobei eine bestimmende Fragerichtung darauf zielt, den Gedankenfortschritt von Zeile zu Zeile wahrzunehmen (»to establish the perception of movement«, 68). Nicht nur hinsichtlich des Umfangs (70 Seiten), sondern vor allem wegen der darin versuchten Klärung der Charakteristika des Verszeilenpaares (hier vorrangig »Couplet« genannt, in anderen Veröffentlichungen »Bikolon«), das im Wesentlichen als Parallelismus oder als Enjambement vorkommt, bildet dieses Kapitel das Zentrum der Arbeit. Im Anschluss an die Diskussion um das für C. dominierende Cha rakteristikum hebräischer Poesie werden weitere Varianten des Zusammenhangs von Verszeilen diskutiert (Triplets, Quatrains, größere Ketten von Verszeilen; Single Lines) und Beziehungen von diesen auf höheren Ebenen einer literarischen Einheit angesprochen. Die Ergebnisse dieses Kapitels werden abschließend auf den Abschnitt Jes 3,1–15 angewandt.
Kapitel 3 (»Imagery and Metaphor«) ist schließlich dem Ge­brauch bildhafter Sprache und Metaphern gewidmet. Darin erklärt C. kurz die Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Turner, derzufolge eine Metapher aus einer Reihe von Beziehungen besteht zwischen zwei konzeptionellen Bereichen – der Quelle und dem Ziel –, wobei eine Metapher eine Bewegung vollzieht von der Quelle zum Ziel, und aus dieser Bewegung ein neues Wissen ermöglicht. Mit diesem Verständnis von Metapher richtet C. dann sein Augenmerk auf die Bildsprache der Landwirtschaft (Erntefreude; Landwirtschaft und Gericht; ausführliche landwirtschaftliche Bilder, wie Jes 5,1–7) und der Tiere (Tiere und zerstörte Städte; Nationen und Herrscher als Tiere; Gott als Tier) in Jes 1–39. Das Kapitel schließt mit einigen Bemerkungen zu Jes 1,2–20, wobei hier im Gegensatz zu den vorherigen Kapiteln der konkrete Bezug zur leitenden Frage nach der Metaphorik sehr oberflächlich bleibt und damit der Ertrag eher gering ist.
Als zentrale Fragestellung zeichnet sich im Laufe der Diskussion immer deutlicher die nach dem linearen Fortschritt des Gedankengangs ab. Sie deutet sich bereits an in der Aufnahme der Definition von Poesie als »the best words in the best order« (1, Samuel Taylor Coleridge zitierend) und bildet dann die vorwiegende Fragestellung in der Diskussion der Doppelzeilen (»couplets«) im 2. Kapitel. Darin greift C. vor allem die Arbeiten von James Kugel, Robert Alter und Adele Berlin auf und spitzt Kugels griffige For mulierung des Parallelismus als »A, what’s more B« auf narra-tive, nichtnarrative und nichtsemantische Entwicklung (»development«) im Parallelismus zu.
Diese Konzentration auf den Gedankenfortschritt findet ihre Fortsetzung in der Diskussion um höhere poetische Einheiten und dürfte nicht zufällig in der Metapher (!) von der Reise (»journey«) zwischen »Quelle« und »Ziel« als Wesen der Metapher im 3. Kapitel die Auswahl der entsprechenden Theorie beeinflusst haben. Was mit dieser Konzentration gelingt, ist die Erschließung assertiver Aspekte (d. i. der Aussagegehalt) poetischer Mittel in den ausgewählten Textbereichen. Hier vermag die Studie in konkreten Fragen der poetischen Interpretation von Texten aus Jes 1–39 wichtige Klärungen und Interpretationsansätze zu liefern, die nicht zuletzt durch die umfangreichen und gründlichen Register (Autoren-, Sach- und Bibelstellenregister) gut erschlossen werden können.
Allerdings dürfte diese Konzentration auf den Gedankenfortschritt auch eine erhebliche Beeinträchtigung sein, die mit der deutlichen Begrenzung hinsichtlich der verwendeten Sekundär­-literatur einhergeht. Gar nicht diskutiert oder gar plausibilisiert wird die Auswahl der Theoretiker zur (poetischen) Literaturwissenschaft: wie verhält sich dies zu Arbeiten von Roman Jakobson oder Umberto Eco? Wie verhält sich die Frage nach dem Gedankenfortschritt zur funktionalen Dimension der Wiederverwertbarkeit, zur zirkulären Rezeption von Poesie etc.? Wie ließe sich dieser Ansatz des Parallelismus als »Fortschritt« in Beziehung setzen zu dem Gedanken der »Stereometrie«, der stärker den Parallelismus als »Raum« bedenkt. Des Weiteren tauchen in der Diskussion der Hebräischen Poetik zwar die Klassiker, wie R. Lowth, Alonso Schökel, James Kugel, Robert Alter und Adele Berlin, auf, nahezu völlig unberücksichtigt bleiben jedoch Studien zur Poesie in den Psalmen oder in der Weisheit der letzten zwanzig Jahre. Sowohl hinsichtlich der poetologischen Studien als auch der Sekundärliteratur zur Jesajaforschung begrenzt sich der Autor nahezu völlig auf englischsprachige Literatur.
So bleibt es ein Desiderat, die neueren poetologischen Ansätze in der Psalmen-, Weisheits- und Prophetenforschung stärker miteinander ins Gespräch zu bringen und für die jeweilige Interpretation fruchtbar zu machen. Mit diesen Einschränkungen wird für zu­künftige Forschungen zur Hebräischen Poesie diese Studie unbedingt mit herangezogen werden können und für poetische Fragen in Jes 1–39 hilfreiche Dienste erweisen, auch wenn eine Vermittlung mit anderen Ansätzen noch zu leisten ist.