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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

731–733

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cline, Eric H.

Titel/Untertitel:

Warum die Arche nie gefunden wird. Biblische Geschichten archäologisch entschlüsselt. Aus d. Engl. v. M. Sailer.

Verlag:

Darmstadt: Theiss Verlag (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2016. 308 S. m. Abb. u. Ktn. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-8062-3385-8.

Rezensent:

Wolfgang Zwickel

Die Erwartungen vieler Menschen an die Archäologie sind in Bezug auf die biblischen Texte häufig sehr hoch. Gerade wenn man biblische Texte als heilige und nicht als altorientalische Texte versteht, erwartet man, dass archäologische Fakten eigentlich die Authentizität der Texte bestätigen müssen. Diese Erwartungshaltung findet sich nicht nur in Amerika und Israel, wo historisch-kritische Forschung von weiten Kreisen der Bevölkerung kaum wahrgenommen wurde, sondern inzwischen auch in Europa, wo man immer stärker den symbolischen Charakter vieler Texte betonte.
In sieben Abschnitten (Der Garten Eden; Die Arche Noah; Sodom und Gomorra; Mose und der Exodus; Josua und die Schlacht um Jericho; Die Bundeslade; Die Zehn Verlorenen Stämme Israels), ergänzt um einen Epilog, ein Nachwort über Biblische Mysterien und einen Abschnitt über den Kampf gegen die Pseudoarchäologie, geht E. H. Cline, Archäologie-Professor an der George Washington University in Washington DC, auf das Verhältnis von Archäologie und biblischen Texten ein. Mit dem fachlichen Hintergrund C.s wird auch seine spezielle Zugangsweise deutlich. Exegetische Fragestellungen wie Literarkritik, Formgeschichte oder Sitz im Leben eines Textes stehen nicht im Mittelpunkt seiner Fragestellungen. Er geht die Problematik mit den Argumenten und Methoden eines Archäologen und Altorientalisten an und hinterfragt die Historizität der biblischen Texte nicht mit exegetischen Methoden.
Dies zeigt sich an mehreren Stellen sehr deutlich, von denen drei hier kurz vorgestellt werden sollen. Bei der Diskussion um die Arche Noah wird zwar kurz darauf eingegangen, dass Bibelwissenschaftler schon vor längerer Zeit erkannt hätten, dass der biblische Text aus zwei zusammengearbeiteten Quellen bestehe. Dieser Argumentationsstrang wird dann aber nicht weiter aufgenommen, sondern es wird auf die verschiedenen Fassungen des Gilgamesch- und Atrahasis-Epos und auf deren Parallelen zur Noah-Geschichte aufmerksam gemacht. Die Texte weisen offenbar eine inhaltliche Abhängigkeit voneinander auf. Als Kern der Erzählungen vermutet C. »eine mündliche Überlieferung mit Anklang an das Ende der Eiszeit […], als ein Großteil des Eises, das Teile der Kontinente bedeckte, schmolz und den Wasserspiegel weltweit ansteigen ließ« (46). Es scheint dem Rezensenten aber höchst fraglich, ob solche Überlieferungen, die um 10.000 v. Chr. entstanden sein müssen, über viele Jahrtausende mündlich bewahrt wurden, bevor sie erstmals schriftlich fixiert wurden. Eher dürften lokale Überschwemmungen im Zweistromland aus viel späterer Zeit der Nucleus der Erzählungen sein, die dann in anderen Regionen teils stark übernommen, teils unter dem Einfluss von völlig anderen Lebensbedingungen und anderen theologischen Aussageabsichten abgewandelt wurden. Die verschiedenen Versuche, die Arche auf dem Berg Ararat zu finden, werden von C. allesamt (zu Recht) als gescheitert bezeichnet. Er betont zudem, dass sich die Arche, wenn es sie jemals gegeben hat, ohnehin nicht mehr erhalten hätte. Hier wäre nach Meinung des Rezensenten die Fiktivität der Erzählungsstränge viel stärker zu betonen. Selbst die größte Überschwemmung der Welt bedeckte nie einen 3898 m (kleiner Ararat) bzw. 5237 m (großer Ararat) hohen Berg! Die Arche hat im Kontext ihrer jeweiligen Texte eine sinnvolle erzählerische Rolle, aber sicherlich keine historische!
Bei Sodom und Gomorra listet C. einige skurrile Interpretationsversuche aus der Forschungsgeschichte auf. Diese sind bei Weitem nicht vollständig und könnten durch eine kurze Internetrecherche um noch fragwürdigere Thesen erweitert werden. C. setzt den historischen Abraham in die Zeit zwischen 2000 und 1800 v. Chr. an, u. a. weil er die Literarkritik der Abrahamgeschichten völlig unberücksichtigt lässt und P-Texte für alte Traditionen erachtet. Sodom und Gomorra setzt er mit den frühbronzezeitlichen Ausgrabungsstätten von Bab ed-Dra und en-Numeira am südöstlichen Rand des Toten Meeres gleich. Mit Abraham hätten sie aber dann keine direkte Verbindung! Vielmehr könnte es sich um ätiologische Erzählungen handeln, die die Ruinen dieser Stätten zum Kernpunkt hatten. Der Untergang der Städte sollte mit einer gött lichen Strafe erklärt werden, die erst später mit den Abraham-Erzählungen verbunden wurde.
Auch bei der Diskussion um Josua 6 spielt weder die Frage nach der Entwicklungsgeschichte des Textes noch nach der Entstehungszeit des Textes eine Rolle. Vielmehr wird – nach einem kurzen Überblick über die Ausgrabungsgeschichte – diskutiert, ob ein Erdbeben und ein Aufstauen des Jordans für die Zerstörung der Mauern von Jericho verantwortlich sein können, was allerdings abgelehnt wird. Stattdessen wird deutlich gemacht, dass der Autor von Josua 6 bei seiner Darstellung übertrieben habe. Die im Josuabuch angeblich eroberten oder belagerten Orte wurden, sofern überhaupt Ausgrabungsfakten vorliegen, nicht um 1200 v. Chr. erobert. Lachisch bestand bis in die Mitte des 12. Jh.s v. Chr. weiter, und bei Hazor lässt es sich nicht beweisen, dass Israeliten für den Untergang der Stadt verantwortlich waren. Damit verliert der Josuatext insgesamt an Glaubwürdigkeit und kann aufgrund der Grabungsergebnisse auch unabhängig von allen exegetischen Überlegungen als nicht historisch erkannt werden.
Das ganze Buch ist in sehr einfacher und allgemein verständlicher Sprache abgefasst. Dies könnte zu einer größeren Verbreitung führen. Allerdings ist die ganze Darstellung sehr auf die amerikanische Situation fixiert. Bei der Frage nach der möglichen Existenz der Arche findet man, um nur ein Beispiel zu nennen, keinerlei Hinweis auf den vor allem in Deutschland heftig geführten Babel-Bibel-Streit. Recht umfangreiche Endnoten bieten den Fachwissenschaftlern dann die entsprechende Literatur zu den einzelnen Themen. Allerdings ist auch dieser Teil, ebenso wie die abschließend angeführte weiterführende Literatur, völlig auf amerikanische Forschung konzentriert. Einen deutschsprachigen Beitrag zu den Forschungsthemen sucht man vergeblich, obwohl deutschsprachige Forscher zu manchen der Themenfelder nicht nur aus exegetischer, sondern auch aus historischer, altorientalischer und archäologischer Sicht grundlegende und die Forschung stark fördernde Beiträge verfasst haben.
Die Stärke des Buches ist sicherlich, dass es eine immer mehr um sich greifende »Pseudoarchäologie«, die vor allem über das Fernsehen und das Internet verbreitet wird, in ihren Grundzügen entlarvt. Die Schwäche ist, dass neben dem Dialog mit den sonstigen Altertumswissenschaften derjenige mit der Exegese vernachläs-sigt wird. C. verweist zwar ausgiebig auf eine Vielzahl von Texten, aber er diskutiert sie so gut wie nie bezüglich ihrer redaktionsgeschichtlichen Einordnung und ihrer Entstehungszeit. Sie werden von ihm vielfach, so scheint es, als historische Quellen erachtet, obwohl dies in vielen Fällen sicherlich nicht der Fall ist. Dies ist sicherlich auch dem amerikanischen Hintergrund des Buches geschuldet.
Der Kampf gegen vereinfachende, verflachende, in der Regel biblizistische oder schlichtweg fantastische oder höchst fantasiereiche Erklärungsmodelle biblischer Texte muss auf hohem wissenschaftlichen Niveau weitergehen, aber auch in einer Sprache, die allgemein verständlich ist. Ein Anfang ist mit diesem Buch gemacht. Um gegen einen vereinfachenden Popularismus vorzugehen, bedarf es jedoch noch einer Vielzahl weitergehender und auch die Exegese einbeziehender populärwissenschaftlicher Studien.