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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

687–689

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Christine, u. Martin Schmidt-Kortenbusch

Titel/Untertitel:

Handbuch Dialogorientierter Religionsunterricht. Grundlagen, Materialien und Methoden für integrierte Schulsysteme.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 287 S. m. 16 Abb. u. 35 Tab. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-525-70218-5.

Rezensent:

Marion Keuchen

»Vergesset nicht es ist unsere gemeinsame Welt / […] die uns aufblühen lässt / die uns vernichtet.« (Rose Ausländer) Mit diesen Versen ermahnen und zugleich ermutigen die evangelische Lehrerin und Fachmoderatorin für Evangelische Religion an Gesamtschulen in Niedersachsen Christine Lehmann und ihr katholischer Kollege Martin Schmidt-Kortenbusch in ihrem ökumenischen »Handbuch Dialogorientierter Religionsunterricht« zum Dialog. Ihr Werk richtet sich an Lehramtsstudierende, Referendare und Religionslehrkräfte (besonders) in integrierten Schulsystemen. Diesen deutschlandweit unterschiedlich konzipierten Schulsystemen ist gemeinsam, dass sie verschiedene Schularten zu einer neuen eigenständigen Form integrieren, die sich aufgrund der besonders großen Vielfalt der Schüler und Schülerinnen durch eine umfassende Heterogenität auszeichnet. Das Fach Religion soll zum Bildungsauftrag solcher integrierter Schulsysteme beitragen und die einzelnen Persönlichkeiten der Kinder und Jugendlichen stärken. »Vielfalt braucht den Dialog« (10), den das Buch im Ansatz des dialogorientierten Religionsunterrichts entfaltet.
Das erste Kapitel ist ein Grundlagenkapitel und erläutert die Situation und Legitimation des Religionsunterrichts in Deutschland. Didaktisch sinnvoll reduziert arbeitet das Handbuch mit vergleichenden Tabellen, grau hinterlegten Thesen mit kurzen und einschlägigen Erläuterungen, die einen schnellen Überblick in die grundsätzliche Problematik und strittige Diskussionspunkte er­möglichen. Als Mitte des Kapitels und spezieller Fokus entwickeln die Autoren acht einschlägige, praxisnahe Thesen zu einem zu­kunftsfähigen Religionsunterricht, die gegen ein »Weiter so« mit einem konfessionell getrennten Religionsunterricht argumentieren. Vielmehr plädieren sie für einen Dialog zwischen Religionsunterricht und Alternativfach. Ihr erstes Kapitel mündet in ein konkretes Schulcurriculum für Religionsunterricht und Alternativfach, das u. a. an einem für den Beginn jeder Jahrgangsstufe 5 wichtigen Thema »Wie gehen wir miteinander um?« entfaltet wird.
Im zweiten Kapitel, als Herz des Handbuchs anzusehen, werden der konkrete Religionsunterricht und sein Bedingungsgefüge an integrierten Schulen entfaltet. Die Autoren konstatieren ein zunehmendes Wachstum von integrierten Schulsystemen, stützen ihre Wahrnehmungen jedoch ausschließlich auf ihre eigenen, aber weitreichenden Erfahrungen in der Lehrerfortbildung und als Lehrkraft (69). Als didaktische Besonderheit des Religionsunterrichts in integrierten Systemen entfalten sie die Arbeit in Teams und die hetero genen Voraussetzungen der Religionsunterrichts-Lehrkräfte. Sie be­tonen, dass der Religionsunterricht sich sowohl »von unten« weiterentwickeln wie auch Ansätze aus der wissenschaftlichen Reli-gionsdidaktik aufnehmen müsse. Das Handbuch zeichnet sich da­durch aus, dass es breit und differenziert aktuelle religionsdidaktische Zugänge entfaltet und die jeweiligen Chancen hervorhebt, ohne einen bestimmten Ansatz zu favorisieren. Durchgehende Stärken des Handbuchs sind die nachvollziehbare Parteinahme für integrierte Schulsysteme und die Kenntnis des pädagogischen Alltags, die sich in der Wahrnehmung der Realität der schulischen Praxis äußert: »Dies ist ein anspruchsvolles Unterfangen, das an manchen Tagen besser, an anderen weniger gut gelingt« (2). Das Handbuch ist eine Fundgrube für Lehrkräfte, exemplarisch der Hinweis auf einen Film (85, Anm. 71). Das Kapitel mündet in einer kritischen Reflexion eines inklusiven Religionsunterrichts in zwölf programmatischen und einschlägigen Thesen.
Im dritten Kapitel geht es um das Beziehungsdreieck Lehrkraft, Schüler und Eltern. Fachkompetenz und persönliche Glaubwürdigkeit spielen eine wichtige Rolle bei der Anbahnung religiöser Kompetenzen. Das Handbuch problematisiert die zunehmende Form des Religionsunterrichts in integrierten Schulen im Lern-büro, einer Form des individuellen und selbsttätigen Lernens. Als weiterer Schwerpunkt fordern die Autoren eine Positionalisierung der Lehrkraft im Religionsunterricht als Vertreter der Kirche wie auch als individueller Mensch. Um die Schüler in die Gestaltung ihres Unterrichts einzubeziehen, bieten sich Ich-Bücher mit »großen« Fragen und weitere Möglichkeiten der Selbstevaluation und Feedback an die Lehrkraft an. Die Autoren heben hervor, dass die Begleitung von Schüler-Prozessen durch die Lehrkraft nicht zuunguns­ten der fachlichen Begleitung gehen darf. Ein großer Teil des Kapitels erläutert die Konzeption von Ich-Büchern. Der Dialog (weder mit Mitschülern, wenn überhaupt der mit der Lehrkraft) steht hier nicht im Vordergrund, was in einem Handbuch für dialogorientierten Religionsunterricht erwartbar gewesen wäre.
Die Gestaltung von konkretem Unterricht ist der Mittelpunkt des vierten Kapitels im weiten Feld von grundlegender Beurteilung von Schulbüchern, zur Stellung der Bibel im Religionsunterricht, zu Formulierung von kompetenzorientierten Aufgaben mit Hilfe von Operatoren bis zu Chancen und Problemen von Projektunterricht. Positiv hervorzuheben sind grundlegende Thesen, die mit konkreten Beispielen erläutert werden, z. B. zwei Spiralcurricula für Judentum/Islam und Kirchengeschichte. Beide Themenfelder sind hier gerade im Hinblick auf den immanenten Dialog sinn-voll gewählt und zeigen das Spezifische dieses dialogorientierten Handbuchs.
Als Materialteil ist das fünfte Kapitel konzipiert, das an drei Themen (Schöpfung, Frieden, Nationalsozialismus) für verschiedene Jahrgangsstufen grundlegende Themen des Religionsunterrichts in leistungsdifferenzierten Praxisvorschlägen entfaltet. Nur das Schöpfungsmaterial für die Unterstufe wird dabei einem inklusiven Religionsunterricht gerecht. Die kirchengeschichtliche Reihe berücksichtigt die Heterogenität nur durch leistungsdifferenzierte Aufgabenniveaus, kaum durch unterschiedliche Lernzugänge (z. B. basal-rezeptiv). Nicht überzeugend ist im ganzen Ma­terialteil, dass das Material nur zum Teil abgedruckt oder auf Quellen verwiesen wird. Die konkreten Kopiervorlagen finden sich in einem weiteren Buch der beiden Autoren (192, Anm. 10). Hier wäre Down­loadmaterial erfreulich gewesen!
Die Autoren entfalten im sechsten Kapitel einen pädagogischen Leistungsbegriff, der auf einem Dialog z. B. durch Lernstandsberichte zwischen Schüler und Lehrkraft basiert. Konkrete Test- und Feedbackbögen zu den Einheiten aus Kapitel 5 zeigen anschaulich Praxisvorschläge in dem umstrittenen Bereich der Leistungsbewertung, -messung und -kontrolle.
Im siebten Kapitel nennt das Handbuch Religion als Gesprächspartnerin und als wichtige Themengeberin im Schulleben (gerade auch außerhalb von Schulgottesdiensten). Die Autoren zeigen be­eindruckende, dialogisch überaus gelungene, aber leider sehr aufwändige Projekte: religionsphilosophischer Studientag, Sozialpraktikum, Schulpartnerschaft zur »Dritten Welt«, Fairtrade-Schule.
Das mit 287 Seiten (plus Downloadmaterial) überschaubare Handbuch wird seinem eigenen Untertitel gerecht und erläutert »Grundlagen«, die es im Hinblick auf »Methoden« und unter Einbezug fachdidaktischen »Materials« konkretisiert. Dieser Aufbau schafft einen Dialog zwischen religionspädagogischer Fachwissenschaft, Religionsdidaktik und schulischer Fachdidaktik. Der Zu­gang wird durch eine verständliche Sprache und die pointierte Bündelung von Themenfeldern (wie z. B. Inklusion, Binnendifferenzierung) in Thesen, Tabellen, Schaubildern und konkreten Beispielen erleichtert. Das Werk nimmt integrierte Schulformen realitätsnah und wertschätzend wahr und macht so Lust, in dieser wachsenden Schulart Religionsunterricht zu erteilen. Das Handbuch ist sein Geld wert (nur 25,00 EUR/e-book 19,99 EUR) und zeigt anschaulich konkrete Wege in unserer gemeinsamen Welt.