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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

559–561

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Davidsson, Tommy H.

Titel/Untertitel:

Lewi Pethrus’ Ecclesiological Thought 1911–1974. A Transdenominational Pentecostal Ecclesiology. Foreword by W. K. Kay.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2015. 278 S. = Global Pentecostal and Charismatic Studies, 19. Kart. EUR 55,00. ISBN 978-90-04-30407-9.

Rezensent:

Giovanni Maltese

Das Buch basiert auf einer von Allan Anderson (University of Birmingham) betreuten Dissertation und steht im Kontext eines zunehmenden Interesse an pfingstlichen Ekklesiologien. Sein Autor, Tommy H. Davidsson, ist bestens mit der Pfingstbewegung vertraut und lehrt Kirchengeschichte an der Norwegian School of Leadership and Theology. Das Ziel der Arbeit ist es, historisch- und systematisch-theologische Ansätze zusammenzuführen und aus der Analyse der Kirchenlehre des schwedischen Pfingstpioniers, Megakirchenleiters, Publizisten und Parteigründers Lewi Pethrus eine Methode zu entwickeln, mit der eine pfingstliche transdenominationale Ekklesiologie erarbeitet werden kann.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Dazu kommen eine Zeittafel zur Vita Pethrus’ sowie ein Namen- und Sachregister. Im Kapitel 1 legt D. den Forschungsstand dar und skizziert folgendes Problem: Bisherige pfingstlich-theologische Ekklesiologien redeten meist an der empirischen Realität vorbei, weil sie (a) nur von abstrakten, theologischen Kategorien ausgingen oder (b) nur englischsprachige Denominationen, nicht aber konkrete Schlüsselpersonen untersuchten. Zudem finde sich (c) selten eine Kontextualisierung der untersuchten Themen oder Institutionen. Das Ergebnis seien »Ekklesiologien von oben« (11): Entwürfe, die etwa von hochelaborierten Trinitätskonzepten ausgingen und daher nicht von der pastoralen Leitungsebene und der Gläubigenbasis rezipiert würden. Dies führe auch zu einer Verzerrung mit Blick auf die Pluralität der Pfingstbewegung. Eine »diachron arrangierte« (10) Un­tersuchung, die eigens Pethrus’ Ekklesiologie rekonstruiert, würde eine wichtige Forschungslücke schließen. Weiterhin er­mögliche sie es, die Frage nach einer adäquaten Beschreibung von Diversität und Einheit der Pfingstbewegung und einer ihr eigenen Kirchenlehre zu beantworten, was wiederum dem »normativen« und »apologetischen« Anspruch der Theologie diene (13).
Kapitel 2 bietet zunächst eine abstrakte Erörterung der wich-tigs­ten »formativen Kontexte«, die D. als ausschlaggebend für Pethrus’ Theologie hält: ekklesiologische Traditionen (u. a. Pietismus und Herrnhuter), »Restaurationismus«, die »pfingstliche Er­weckung« um 1900, »Pragmatismus«, »persönliche Erfahrungen« und »Dispensationalismus« (16). D.s These ist, dass diese es möglich machen, Pethrus’ auf ersten Blick widersprüchlich erscheinende Ekklesiologie zu kategorisieren. Die jeweilige Art, wie Pethrus auf sozial- und kirchenpolitische Ereignisse reagiert habe, ermögliche es, die Konstanten seiner Theologie zu erkennen und unveränderliche »Kernwerte« zu identifizieren. An ihnen zeige sich dann die »innere Logik« seiner pfingstlich-restaurationistischen, transdenominationalen Kirchenlehre.
Erst jetzt setzt D.s Analyse der Schriften Pethrus’ ein, die sich über die Kapitel 3–5 erstreckt. Hierzu wertet D. Quellen des Stockholmer Nationalarchivs aus, die er zu drei Perioden aggregiert: von 1911–33, 1934–58 und 1959–74. Auf eine kompakte Schilderung des zeitgeschichtlichen Kontexts folgt jeweils eine systematische Be­sprechung ekklesiologischer Topoi. Zunächst sei Pethrus’ früher Kirchenbegriff identisch mit Ortskirche gewesen. Vor dem Hintergrund seines eigenen Ausschlusses von der Schwedischen Baptistengesellschaft und der Notwendigkeit, die Gründung seiner unabhängigen Filadelfiagemeinde in Stockholm zu legitimieren, habe er Kirche nicht als corpus permixtum, sondern als geistliche Gemeinschaft Geistgetaufter verstanden. Glaubenstaufe, Heiligungsethik und Kirchenzucht hätten hierbei eine zentrale Rolle eingenommen. Für Organisationen neben und über der Ortskirche habe diese Ekklesiologie keinen Ort vorgesehen. Ab 1943 hätten die Etab-lierung und das Wachstum der Filadelfia neue Einflussmöglichkeiten eröffnet und zu einer Relativierung des besagten Exklu­sivismus geführt: Pethrus’ Kirchenlehre sei vom Expansionsgedanken und dem »sozialen Transformation[sauftrag]« (99) bestimmt ge-wesen und von einer Offenheit für Kooperationen mit lokalen Freikirchen. Eine dritte Verschiebung beobachtet D. ab Pethrus’ Emeritierung. Frei von der pastoralen Hauptverantwortung habe dieser ab 1959 eine Ekklesiologie vertreten, die nun die weltweite Ökumene in den Blick nahm. So finde sich bei ihm fortan eine beachtliche Offenheit für die katholisch-charismatische Erneuerung, obwohl Pethrus’ Ökumenepraxis weiterhin von Lokalinitiativen her dachte (252). Kirche habe er nun als »globale Gemeinschaft von Heiligen« (158) verstanden und als inhärent erneuerungsbedürftiges corpus permixtum.
Kapitel 6 arbeitet »Kernwerte« heraus, die das einende Moment von Pethrus’ widersprüchlicher Ekklesiologie darstellten. Im Hintergrund steht hier die Theologiemethode des Jesuiten Roger Haight, die versuche, durch historische und vergleichende Analysen sämtlicher Kirchen »zur historischen und qualitativen Substanz, die die Kirchen als Kirchen verbindet, durchzustoßen«, um eine »transdenominationale Ekklesiologie« zu formulieren (12). Als Kernwerte bestimmt D. »Liebe für Gott und den Nächsten«. In Verbindung mit Pethrus’ »pfingstlicher Spiritualität« (215) machten diese »die innere Logik« seiner Ekklesiologie aus (223 f.). Damit versteht sich die Studie auch als Korrektiv zu Arbeiten, die Pethrus als »machthungrigen, manipulierenden Diktator« (2) zeichnen.
Dieses Ergebnis dient im Kapitel 7 als Konstruktionsprinzip für eine globale pfingstlich-theologische Ekklesiologie. »Pethrus’ ›pfingstliche‹ Ekklesiologie« wird als »mikrokosmisches Modell für eine makrokosmische transdenominationale pfingstliche Kirchenlehre« operationalisiert (226). Die »innere Logik« von Pethrus’ Ek­klesiologie wird zum Definitionskriterium der Pfingstbewegung. Die diversen Ausdrucksweisen der im Rahmen einer pfingstlichen Spiritualität gelebten Kernwerte Pethrus’ (Liebe für Gott und den Nächsten) verhielten sich, mit Wittgenstein gesprochen, wie »Fa­milienähnlichkeiten« (228). Als »moderate Ekklesiologie von unten« bezeichnet D. diesen Ansatz, weil er sich aus der historischen und empirischen Untersuchung gelebter pfingstlicher Ek­klesiologien speist, ohne jedoch sein normatives Potential zu verlieren (251).
D.s Anspruch an eine konsequente Kontextualisierung ist lobenswert, weil er das Gewordensein der von ihm untersuchten Ekklesiologie sowie den »geistlichen Utilitarismus« und »Pragmatismus« Pethrus’ deutlich macht (48). D.s Versuch, die Widersprüchlichkeit nicht als solche stehen zu lassen, sondern eine ihr zugrunde liegende »innere Logik« zu finden, die dann auch noch pars pro toto für die weltweite Bewegung gelten soll, scheint diesen (Selbst-)Anspruch jedoch zu unterminieren. Dies liegt nicht nur an der methodischen Entscheidung, die »formativen Kontexte« (Kapitel 2) abstrakt zu behandeln. Hier wäre es zielführender gewesen, theologische Einflüsse im Direktvergleich mit Zeitgenossen zu diskutieren, mögliche Rezeptionslinien nachzuzeichnen und diese in Pethrus’ Vita zu verorten. Es liegt auch an der Bestimmung des For schungsgegenstands selbst, die D. zugrunde legt. Eine Bestimmung der Bewegung, die im Rückgriff auf das »Familienähnlichkeiten«-Paradigma erfolgt, kommt nicht um die Notwendigkeit herum, Einzelaspekte zu benennen, die entweder so abstrakt sind, dass sie redundant wirken. Oder sie sind so konkret, dass eine daraus hergeleitete Ekklesiologie dem gleichkommt, was D. als »Ekklesiologie von oben« kritisiert. Dies ist auch dann der Fall, wenn die »Kernwerte« im Sinne einer polythetischen Klassifikation (Needham) operationalisiert werden.
Gerade darin liegt jedoch der besondere Wert des Buches: Neben den materialen (Neu-)Erkenntnissen zur Geschichte von Pethrus’ Theologie regt es dazu an, ein analytisch schärferes Instrumentarium zum Umgang mit dem Universalismus/Partikularismus-Problem innerhalb der Pentekostalismusstudien zu erarbeiten und Darstellungsformen zu finden, die der Komplexität des Forschungsgegenstands gerecht werden.