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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

416-418

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Moody, Katharine Sarah

Titel/Untertitel:

Radical Theology and Emerging Christianity. Deconstruction, Materialism and Religious Practices.

Verlag:

London: Routledge (Ashgate) 2015. 286 S. Geb. £ 67,99. ISBN 978-1-4094-5591-2.

Rezensent:

Friederike Rass

Katharine Sarah Moody fragt in ihrer 2015 erschienenen Monographie »Radical Theology and Emerging Christianity. Deconstruc-tion, Materialism and Religious Practices« nach den Konsequenzen einer »radikal« gedachten Theologie für die religiöse und kirchliche Praxis. Hierfür stellt sie – was sich auch in der klaren zweiteiligen Gliederung ihrer Untersuchung widerspiegelt – die Ansätze zentraler Vertreter einer sogenannten radikalen Theologie dem Phänomen der Emerging Church, insbesondere in Großbritannien, ge­genüber.
Es gelingt ihr dabei zweierlei: Zum einen ermöglicht sie vermittels ihrer detaillierten Analyse einen präzisen Einblick in die An-sätze zentraler Vertreter dieser beiden Strömungen. Mit John D. Caputo und Slavoj Žižek auf der Seite der radikalen Theologie sowie Peter Rollins und Kester Brewins als Repräsentanten der Bewegung der Emerging Church eröffnet sie ein Spektrum, das die wesentlichen Merkmale dieser Denkrichtungen aus jeweils zwei prägenden, sich wechselseitig ergänzenden Perspektiven er­schließt. Zum anderen verbleibt M. dabei nicht auf der theoretischen Ebene, sondern widmet sich der konkreten Analyse möglicher lebensweltlicher Entsprechungen radikaler Theologie. Es gelingt ihr so, die ideengeschichtlich noch sehr jungen Ansätze einer radikalen Theologie auf ihre tatsächliche religionspragmatische Tragfähigkeit hin zu befragen und konstruktiv mit in diesem Kontext bereits existierenden Phänomenen religiöser Praxis in Beziehung zu setzen.
M. stellt sich damit der Herausforderung, auf konstruktive Weise den inhärenten Anspruch einer Theologie des »Ereignisses« weiterzuführen, diese im selben Zug an ihrem eigenen praktischen Anspruch zu messen sowie Diskrepanzen aufzuzeigen. Ihre Untersuchung stellt sich damit neben dieser konkreten Analyseebene zugleich der Herausforderung, vor den hohen Anforderungen der gegenwärtigen, (post-)säkular geprägten Wirklichkeit an theolo-gische Reflexionsbemühungen nicht bleibend in den trennscharf ab­gesicherten Raum abstrakten Denkens auszuweichen. So an­spruchs­voll es ist, so notwendig ist es auch, das theoretische Nach-denken über die vorfindliche Wirklichkeit dieser schließlich auch wieder auszusetzen und sie nicht zum reinen Denkanstoß zu reduzieren. M. macht sich diese Rückbindung explizit zur Aufgabe.
Im ersten, der theoretischen religionsphilosophischen Grundlegung gewidmeten Teil zieht M. John D. Caputo als Vertreter des primär dekonstruktivistisch geprägten Fokusses einer radikalen Theologie heran. Als Referenz für den materialen Aspekt widmet sie sich den Überlegungen Slavoj Žižeks. Dabei behandelt sie beide Denker nicht isoliert voneinander, was den ganzheitlichen An­spruch beider Ansätze verfehlen würde, sondern fragt konkret nach der Beziehung dieser beiden prominenten Ansätze einer radikalen Theologie. Ihre diese Verhältnisbestimmung leitende These ist es dabei, »that a Caputian a/theism is the proper framework for a Žižekian fighting collective« (1). Beide Ansätze lassen sich ihrer Ansicht nach wechselseitig ergänzen: So ermöglicht es Caputos Vorschlag eines strukturellen Glaubensverständnisses jenseits von Theismus und Atheismus ihres Erachtens, Žižeks Konzept einer politisch ausgerichteten Glaubensgemeinschaft um eine dekonstruktiv verankerte Tiefendimension zu bereichern. Žižeks Beto-nung der notwendigen innerweltlichen Gemeinschaftlichkeit kompensiert hingegen Caputos bisweilen solipsistisch bleibende Neubestimmung von Glauben in seiner Betonung der inhärent nötigen sozio-kulturellen Dimension.
Innerhalb der Auswahl der Referenzpersonen ihrer Untersuchung trifft M. dabei eine deutliche positionelle Entscheidung, welche sie jedoch auch konsequent und nachvollziehbar als solche ausweist, auch wenn es gute Gründe geben kann, sich für eine andere Bewertung dieser Positionen zu entscheiden. Dies wird insbesondere an ihrer Darlegung der direkten Auseinandersetzung zwischen Caputo und Žižek über den Stellenwert der Neubestimmung des »Ereignisses« vom Tod Gottes her deutlich. In beiden Ansätzen steht Nietzsches Ankündigung des Todes Gottes dabei für die Ablösung der vermeintlich »einen« absoluten Wahrheit, jedoch mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung.
Hier argumentiert sie klar für Caputos Perspektive, der auch selbst insistiert, an dieser Stelle von Žižek falsch verstanden zu werden: M. kritisiert verschiedentlich Žižeks zentralen Vorwurf, Ca­puto denke den Tod Gottes nicht radikal genug und versuche, über einen starken Ereignisbegriff eine neue (krypto-)metaphysische Kategorie einzuführen. Sie klassifiziert diesen Einwurf Žižeks dabei als »misreading« der Ereignistheologie Caputos (vgl. 27.67 ff.) mit dem Ziel, die so doch mögliche Vereinbarkeit beider Ansätze in dieser Hinsicht zu betonen.
In ihrer Verhältnisbestimmung der beiden religionsphilosophischen Entwürfe zur Bewegung der Emerging Church Großbritanniens wendet sich M. im Folgenden dann gegen die These Kevin DeYoungs und Ted Klucks, diese sei »too fluid to classify, let alone assess« und setzt auf eine diskurstheoretisch geleitete Analyse. Sie folgt Graham Wards Ansatz, Diskurs nicht auf gesprochene oder geschriebene Kommunikation zu beschränken, sondern darunter vielmehr jede soziale Aktion zu verstehen, die als expressiver Akt gedeutet werden kann (15). Ihre sorgfältige empirische Erhebung der Emerging Church Bewegung bildet den zweiten Teil des Buches. Dabei beleuchtet M. in der Untersuchung der soziologischen Di­mension der Emerging Church deren möglichen inneren Zusammenhang mit einer dekonstruktiv verstandenen Theologie des Ereignisses. Die Religionspraxis der Emerging Church bildet für M. die lebensweltliche Entsprechung eines neuen Glaubens- und Gemeinschaftsverständnisses, wie es von Caputo und Žižek auf religionsphilosophischer Ebene nach der Ablösung eines metaphysisch verstandenen Gottesverständnisses durch das bleibend de­konstruktiv geprägte Ereignis gefordert wird.
Insgesamt betrachtet legt M. mit ihrer Untersuchung eine pointiert zugespitzte, konsequent durchgeführte und ideengeschichtlich abgewogene Arbeit vor. Der Umgang mit den von ihr herangezogenen Referenzen zeugt von ihrer analytischen Kompetenz, die es ihr ermöglicht, sehr eigenständige Denker und Akteure, die sich in ihrem Denken und Handeln gerade nicht kategorial verorten lassen wollen, für den akademischen Diskurs zu öffnen und nutzbar zu machen, ohne den wesentlich widerständigen Aspekt ihrer Ansätze außer Acht zu lassen. Deutlich wird dabei von der ersten Seite an, dass der Fokus ihrer Arbeit nicht auf der rein analytischen Ebene liegt, sondern im Dienst der konstruktiven Weiterführung und praktischen Kontextualisierung einer radikalen Theologie steht. Auch wenn ihre Arbeit bisweilen auch in Hinsicht auf ihre dekonstruktivistisch geprägte Terminologie durch eine recht voraussetzungsreiche Bezugnahme auf die herangezogenen Ansätze geprägt ist, gelingt es ihr damit, auf einem hohen Ni­veau einen diskursiv ausgewiesenen Vorschlag für eine konstruktive, im Wechselspiel von Theorie und Praxis verortete Weiterführung dekonstruktiven Denkens für die theologische Praxis vorzulegen.