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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

47–48

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Achenbach, Reinhard, Ebach, Ruth, u. Jakob Wöhrle [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wege der Freiheit. Zur Entstehung und Theologie des Exodusbuches. Die Beiträge eines Symposions zum 70. Geburtstag von Rainer Albertz.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2014. 230 S. = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 104. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-290-17768-3.

Rezensent:

Christoph Berner

Der Band versammelt Beiträge, die ihren Ursprung in einem Symposium haben, das im Mai 2013 anlässlich des 70. Geburtstags von Rainer Albertz in Münster abgehalten wurde. Die durchgängig deutschsprachigen Aufsätze decken ein breites thematisches Spektrum ab, wobei synchrone wie diachrone Perspektiven in gleicher Weise ihr Recht erhalten.
Den Auftakt bildet ein Beitrag von Jürgen Ebach (Die Wege und die Freiheit. Plural und Singular – grammatische Notizen und hermeneutische Erwägungen bei der Lektüre des zweiten Buches der Tora). Er meditiert, wie bereits der Untertitel andeutet, anhand einiger ausgewählter Textbeispiele das grammatische Phänomen von Singular und Plural, die mit ihm verbundenen Herausforderungen bei der Übersetzung und die sich hieraus ergebenden hermeneutischen Implikationen für ein Verständnis des Exodus im Horizont des jüdischen und christlichen Kanons. Helmut Utzschneider (Die Inszenierung Gottes im Buch Exodus. Beobachtungen zur literarischen und piktoralen Bildlichkeit Gottes) reflektiert ausgehend von einer narratologischen Analyse der Theophanie am brennenden Dornbusch (Ex 3,1–6), die er mit bildlichen Darstellungen der Szene aus der Kunstgeschichte ins Gespräch bringt, das Verhältnis zwischen literarisch-poetischer und piktoraler Bildlichkeit. Hiervon ausgehend kommt er schlaglichtartig auf weitere narrative Inszenierungen Gottes im weiteren Verlauf des Exodusbuches zu sprechen, die er über die Bildelemente zu einem erzählerischen Plot verbunden sieht.
Mit dem Beitrag von Reinhard Achenbach (Das Exodusbuch als Teil des Hexateuch und des Pentateuch) beginnt ein stärker literargeschichtlich fokussierter Teil des Bandes. Anders als der Titel erwarten lässt, konzentriert sich A. schwerpunktmäßig auf Jos 24 und entfaltet die von ihm im Anschluss an E. Otto vertretene These einer nachpriesterlichen Hexateuchredaktion. Das Exodusbuch (bzw. Teile desselben) kommt dabei immer wieder zur Sprache, geht allerdings in der äußerst dichten Argumentation unter zahllosen weiteren Bezugstexten tendenziell etwas verloren. Der knappe Beitrag von Thomas Römer (Mose und die Frauen in Exodus 1–4) hebt darauf ab, dass (ausländische) Frauen nach der Darstellung von Ex 1,15–22; 2,1–10; 4,24–26 einen entscheidenden Anteil an Israels Befreiung hatten. Dies ist hinlänglich bekannt. Die von Römer mit dem Befund verbundene These, die Frauengeschichten in Ex 1–4 und Jos 2 seien Ausdruck einer Uminterpretation von Exodus und Landnahme (85), wird dagegen bedauerlicherweise nicht weiter literargeschichtlich profiliert.
Jakob Wöhrle (Frieden durch Trennung. Die priesterliche Darstellung des Exodus und die persische Reichsideologie) formuliert in seinem Beitrag die (zuvor von ihm bereits monographisch entfaltete) These, dass das Thema des Landes eine bislang unterschätzte Rolle in der priesterlichen Geschichtskonzeption einnehme. Beeinflusst von der persischen Reichsideologie vertrete P die Vorstellung, dass in der göttlichen Weltordnung für jedes Volk ein eigenes Territorium vorgesehen sei. Die Ausbreitung der Israeliten in Ägypten laufe dieser Ordnung zuwider und mache daher eine Rückkehr nach Kanaan zwingend erforderlich. Die These ist bedenkenswert, obgleich die Auslegung des priesterlichen im Gegenüber zu »dem« nichtpriesterlichen Text recht holzschnittartig erfolgt und man sich eine stärkere literargeschichtliche Differenzierung im P-Bestand wünschen würde.
Der anregende Artikel von Thomas Krüger (Freiheit und Gesetz in der Hebräischen Bibel) widmet sich einer gerade für das Exodusbuch entscheidenden theologischen Grundsatzfrage, die anhand zentraler Textbeispiele in ihren verschiedenen Facetten durchgespielt wird (das Gesetz als Schutz der Freiheit, Kodifizierung und Innovation, normativer Charakter und Freiräume der Anwendung). Damit bietet Krüger zugleich eine Art Grundlegung für die folgenden Artikel des Bandes, die unterschiedlichen Aspekten des Gesetzes im Exodusbuch gewidmet sind. Christophe Nihan (Das Sabbatgesetz Exodus 31,12–17, die Priesterschrift und das Heiligkeitsgesetz. Eine Auseinandersetzung mit neueren Interpretationen) bietet eine ausführliche Analyse von Ex 31,12–17, mittels derer ihm der überzeugende Nachweis gelingt, dass der betreffende Abschnitt eine spätpriesterliche Fassung des Sabbatgebotes spiegelt, die die Konzeption des Heiligkeitsgesetzes nochmals weiterführt und revidiert, insofern der Sabbat nun »als privilegiertes Heiligungsmedium neben dem Tempel hervorgehoben wird« (146). Der Sabbat steht sodann auch im Zentrum des Beitrags von Rainer Albertz (Die Sabbatgebote des Dekalogs und ihre Bedeutung für die Komposition des Pentateuch). Albertz rechnet mit einer wechselseitigen Beeinflussung der beiden dekalogischen Fassungen des Sabbatgebotes (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15), wobei er der Version aus Dtn 5 grundsätzlich die literarische Priorität zumisst. Dagegen wird der vorliegende Text in Ex 20 auf eine pries?terliche Überarbeitung einer entsprechenden Vorlage zurückgeführt, die dabei verdrängt worden sei. Das Modell stellt einen beachtenswerten Beitrag zur kontroversen Diskussion um das Verhältnis der beiden Textstellen dar. Problematisch ist indes die Veranschlagung der Sabbatbelege in Gen 2,2–3; Ex 20,8–11; Ex 16 für die früheste Entwicklungsstufe des priesterlichen Textes. Hier dürfte ein spätpriesterlicher Ursprung aus verschiedenen Gründen naheliegender sein (vgl. Berner in ZAW 128/4).
Saul M. Olyan («Ihr sollt mir heilige Menschen sein«. Der wahrscheinliche Einfluss von Exodus 22,30 auf spätere Heiligkeitsideologien) versucht in seinem knappen Beitrag den Nachweis zu führen, dass Ex 22,30 »einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Heiligkeitsideologien des Deuteronomiums und der Heiligkeitstexte gehabt« habe (172), wobei er vor allem Dtn 14,21 und Lev 20,26 einer ausgiebigeren Betrachtung würdigt. Nun haben einfache Erklärungsmodelle unbestreitbar ihren Charme, dieses aber lässt deutlich zu viele Fragen offen, um überzeugen zu können – nicht zuletzt den literarischen Horizont von Ex 22,30 im Rahmen des Bundesbuches. Das Bundesbuch steht auch im Zentrum des Beitrages von Rüdiger Schmitt («Eine Hexe sollst Du nicht am Leben lassen» [Exodus 22,17]. Das Hexereistigma im Alten Testament und seiner Umwelt). Ausgehend von sozialanthropologischen Untersuchungen zum Hexereistigma im modernen Afrika sowie im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa wendet sich Schmitt den alttestamentlichen und altorien-talischen Befunden zu. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Ex 22,17 ein alt?vor- derasiatisches Hexenmuster spiegele, das auf der Marginalisierung von Frauen beruhe und zur Sicherung dieser Marginalisierung diene (184). Weitere Texte wie Ez 13 seien Ausdruck für die Verwendung des Hexereivorwurfs im exilisch-nachexilischen Diskurs um rituelle Autorität. Dabei handele es sich wie bei den späteren historischen Parallelen primär um ein Krisenphänomen. Rainer Kessler (Der Prophet als Fürbitter. Exodus 32–34 und die Visionen des Amos im Vergleich) erhebt in seinem Beitrag zunächst das jeweilige Eigenprofil von Ex 32–34 und Am 7–9 und nimmt auf dieser Grundlage einen Vergleich vor. Dabei zeigt sich, dass trotz gewisser thematischer Schnittmengen zahlreiche strukturelle und sprachliche Differenzen zwischen den Texten bestehen, deren Fürbittenkonzepte sich nicht einfach über einen Kamm scheren lassen. Während in Am 7–9 die Frage nach dem Schicksal des Nord- und der Zukunft des Südreiches drängend sei, thematisierten Ex 32–34 im Licht der Exilserfahrung die grundsätzliche Möglichkeit einer Fortexistenz des Gottesvolkes Israel. Damit wird die von G. Steins vertretene These einer Beeinflussung der Amosstellen durch Ex 32–34 in überzeugender Weise widerlegt.
Der Band findet seinen Abschluss mit einem erneut auf das Grundsätzliche zielenden Beitrag von Frank Crüsemann (Die Bedeutung des Exodus für die christliche Theologie). Nach einer theologiegeschichtlichen Einführung behandelt Crüsemann zunächst die Gestalt des Jitro als eines exemplarischen Nichtisraeliten, der in Ex 18 ausdrücklich in Verbindung mit dem Exodus gebracht wird. Er kommt sodann auf die Resonanzen des Exodusgeschehens in der Darstellung des Neuen Testaments zu sprechen und gelangt schließlich zur Folgerung, der Exodus sei »die prägende Gotteserfahrung beider Testamente« (218), freilich nur in dem Sinne, dass es neutestamentlich um eine dem Exodusgeschehen analoge Rettungserfahrung, nicht hingegen um seine exakte Wiederholung ginge. Die kanonorientierten Reflexionen Crüsemanns schlagen den Bogen zurück zum ersten Beitrag des Bandes und runden eine Aufsatzsammlung ab, in der sich manch Lesenswertes zur Genese und Theologie des Exodusbuches findet.