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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1253–1255

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hailer, Martin

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 228 S. = UTB 4183. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-8252-4183-4.

Rezensent:

Johannes Grössl

Martin Hailer bettet die klassischen Themen der Religionsphilosophie in eine Auseinandersetzung mit der Negativen Theologie ein. Erstere finden sich in Teil 2: Gottesbeweise und die Auseinandersetzung mit dem Atheismus, Theodizee, das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften, Religionstheorien. Teil 1 (»Grundbedingung der Religionsphilosophie: Der entzogene Grund«) und Teil 3 (»Gibt es Wissen vom entzogenen Grund?«) bilden fast ein eigenständiges Werk: eine kritische Erkenntnistheorie der Theologie, mit Positionierung für eine anti-metaphysische Herangehensweise an religionsphilosophische Fragestellungen.
Der klassische Teil der Arbeit bearbeitet zentrale Inhalte der Religionsphilosophie unter Einbeziehung historischer, kontemporär-kontinentaler und analytischer Autoren. Im Kapitel »Gottesbeweise« (77–90) werden empirische Ursachen- und Zielargumente und rationalistische Argumente unterschieden. Auf Pascals Wette wird von H. Bezug genommen (83 f.), diese sollte aber eher in einem eigenen Bereich »Rationalität religiösen Glaubens« diskutiert werden. Im Kapitel über »Religionstheorien« (91–107) wird der Religion anhand von Schleiermacher ein eigener Erfahrungsbereich zugewiesen: Religion falle weder unter die Metaphysik noch unter die Ethik, sie sei eine »eigene Herangehensweise an die Welt« (95 f.). Mit Otto erörtert H. den Begriff der religiösen Erfahrung; ein rein funktionalistischer Religionsbegriff wird hinterfragt. Das Theodizeekapitel (107–125) beinhaltet Argumente von Leibniz und Jonas, u. a. die Idee des Allmachtsverzichts Gottes (115). Schließlich werden die natural law und free will defense erörtert, wobei im Detail hier einige Ungenauigkeiten in der Darstellung zu finden sind (z. B. Definition des Anthropischen Prinzips; Unterschlagung des Zufalls bei der biochemischen »Determiniertheit« des Gehirns; keine Definition von Willensfreiheit).
Mit seiner Kritik will H. dafür argumentieren, dass es keine rationale Theodizee geben kann: Der Bereich des »philosophischen Argumentierens [werde] verlassen« und »das theologische Sprachspiel aufgerufen«; ›warum‹ sei keine beantwortbare Frage angesichts von Leid (123). Dies verfehlt allerdings die Aufgabe der Theodizee: die Begründung, warum der Glaube an einen allmächtigen und barmherzigen Gott rational verantwortbar ist vor dem Hintergrund des Ausmaßes an Leid in der Welt. Im Atheismus-Kapitel (125–141) setzt sich H. mit Begründungsversuchen gegen die Exis­tenz Gottes auseinander. Die naturalistische Argumentation wird von ihm als unplausible »Setzung« (131) zurückgewiesen; ein Hinweis auf die Selbstwidersprüchlichkeit und mögliche Erklärungslücken des Naturalismus hätte diese Zurückweisung besser nachvollziehbar gemacht. Allerdings kritisiert H. Strategien der naturalistischen Reduktion mit den Mitteln der Hirnforschung (131–133). H. gelingt es, die Einseitigkeit der Argumentation einiger Religionskritiker, z. B. Sloterdijk, aufzuzeigen.
In Kapitel 8 kritisiert H. die analytische Religionsphilosophie. Akkurat wird die Entstehung dieser Strömung aus der ursprünglich metaphysikkritischen analytischen Philosophie unter Wiedereinbeziehung der Metaphysik aufgezeigt (144 f.). »Sie verbindet das Ideal der Klarheit und Präzision mit einer Erneuerung begrifflicher Rede von Gott« (145). Allerdings ist sie trotz methodischer Uniformität kein einheitlicher Block und umfasst auch heute noch metaphysikkritische Positionen. Exemplarisch stellt H. diese Methode anhand von Swinburnes probabilistischem Gottesbeweis (146–151) und Plantingas reformed epistemology (151–155) dar. H.s Kritik einer petitio principii in Plantingas Theorie ist möglicherweise berechtigt (154 f.). Im abschließenden Kapitel des zweiten Teils (158–176) behandelt H. die Theorie der natürlichen Religion, religionstheologische Modelle sowie die neuere Methode der komparativen Theologie. Um Fundamentalismus vorzubeugen, benötige jede Religion sowohl Selbstkritik von innen als auch Kritik von außen. Am Ende steht allerdings nur die Erkenntnis, dass die Wahrheit von Religionen nicht rational entschieden werden kann (176).
Im ersten und dritten Teil, sowie punktuell innerhalb des zweiten Teiles, argumentiert H. erkenntniskritisch. Auf der Grundlage des Neuplatonismus und unter Verweis auf Kant nennt er Gründe für die Unerkennbarkeit Gottes. Es sei »aus prinzipiellen Gründen unmöglich, eine Theorie über Gott aufzustellen oder eine, die sich Gott – wie vorsichtig auch immer – nähert« (25 f.), der Versuch einer solchen Theoriebildung sei ein »sinnloses Unterfangen«. »Immanuel Kant [habe] der bis dahin gängigen rationalen Theologie das Lebenslicht ausgeblasen«. Der Gegenstand der Religionsphilosophie sei nicht Gott, »sondern der Mensch, weil und sofern er religiös ist« (26). Bei der Behandlung der klassischen religionsphilosophischen Argumentationsmuster wird fast immer die Kritik Kants von H. vorbehaltlos übernommen; diese sei ein knock-down-Argument gegen alle empirischen Gottesbeweise (82). Kants Kritik am ontologischen Argument wird ebenfalls unhinterfragt übernommen (86). Was für die Existenz von Weltdingen gelte, habe Kant »unwidersprochen [!] klar gemacht« (87). Nach Kant sei auch jede Art »doktrinaler Theodizee« überflüssig (113). Swinburnes Kritik an Kant weist H. ohne genaue Erläuterung der Gegenposition zurück: »Freilich [!] ist es unumgänglich, Swinburnes Zurückweisung selbst als Fehler zu betrachten.« Zudem hätte sich H. mit stärkeren Gegnern (analytischen Kant-Kritikern) als Swinburne auseinandersetzen können, wie z. B. Frege und Kripke.
Nachdem H. am Ende des 2. Teils zum Schluss gelangt, dass »Wahrheitsansprüche von Religionen nicht oder nicht nur satzförmig« (176) und die Wahrheitsfrage zwischen Religionen »philosophisch ununterscheidbar« seien, möchte er im 3. Teil ergründen, wie Religionsphilosophie im Lichte einer negativ-theologischen Erkenntnistheorie noch möglich und sinnvoll ist. H. erkennt die Gefahr, dass negative Theologie zu einer »inhaltlichen Verarmung« oder gar »völlige[r] Aussagelosigkeit« führen kann. Dalferth wird mit seiner Einschätzung zitiert, dass Negative Theologie zum Ende der Theologie führen kann. Dies versucht H. zurückzuweisen. Mit Bezugnahme auf Rentschs »transpragmatische Sinnbedingungen« nennt er als Inhalt religiöser Rede diejenigen Bereiche des Lebens, die zwar unser Leben bestimmen, wir aber nicht zureichend in Begriffe fassen können (183). Was genau die »Ränder des Lebens« (184) sind, als die er diese Bereiche expliziert, bleibt allerdings schwammig: Religionsphilosophie müsse Negativität und Sinn verbinden, um den genannten Vorwürfen zu entgehen (184). Aufgabe einer Theorie der Religion sei demnach zu beschreiben, wie »die von der Negativen Theologie beschriebenen Erfahrungen zu sinngenerierenden Erfahrungen werden« (186), und dabei eine Engführung auf das Subjekt zu vermeiden. Religion sei als Lebens- und Sprachform immer von einer Gemeinschaft getragen. Religion diene als »Verstehensrahmen für die negativ-theologische Erfahrung« (190); H. betont hier, dass man religiöse Erfahrungen verstehen, deren Inhalte aber nicht begründen kann (190).
Religionsphilosophie könne schließlich dazu dienen, echte von unechter religiöser Erfahrung zu unterscheiden. Religiöse Sätze seien »mit ethisch-normativen Orientierungen verwoben«, dennoch sei die Autonomie und Irreduzibilität religiöser Wahrheitsansprüche gewahrt (193 f.). Hier verschiebt H. das Begründungsproblem der Religion auf die Ethik, ohne jedoch zu hinterfragen, mit welchem Recht er bestimmte ethische Kriterien als objektive Standards festsetzt bzw. warum er Menschen mit anderen »Intuitionen« hier implizit Unreife unterstellt.
Im letzten Kapitel argumentiert H. mit Wittgenstein und Putnam für einen internen Realismus, um einerseits einen Subjektivismus und Antirealismus zu vermeiden, andererseits um die gesetzten Erkenntnisgrenzen zu wahren (213). Mit Kant und Dalferth plädiert er für eine Einordnung des religiösen Sprachspiels in den Bereich der Urteilskraft, d. h. religiöse Aussagen sind weder Aussagen im Bereich der theoretischen (Erkenntnis) oder praktischen (Ethik) Vernunft, sondern (nicht rein subjektive) Sinn- und Ge­schmacksurteile (211). H. sieht die Gefahr der Selbstabschottung (215), sieht diese aber nur durch einen »Ausfall von Kommunikation« gegeben, welcher zu Gewalt führen kann. Ein »aufgeklärter interner Realismus« hingegen neige überhaupt nicht zu Selbstabschottung, da er um seine erkenntnistheoretische Begrenztheit weiß.
Trotz formalem Realismus-Anspruch tendiert H.s Ansatz stark in den Bereich der non-kognitiven Umdeutung religiöser Rede, nach der religiöse Sätze non-kognitive Inhalte wie »Ausdrücke eines Lebensgefühls bzw. einer Grundeinstellung zur Wirklichkeit, oder Ausdrücke einer Hoffnung, Handlungsanweisungen, moralische Ge­bote, Bekenntnisse zu einem bestimmten Lebensstil« wie­dergeben; diese Extremposition wird aber nicht einmal Wittgenstein gerecht, der »auch kognitive Aspekte religiöser Überzeugungen« affirmierte (Löffler, Winfried, Einführung in die Re­ligionsphilosophie, Darmstadt 2006, 123). M. E. werden damit viele religiös sprechende Menschen nicht ernst genommen, die reflektiert am extern en Realismus festhalten. Tatsächlich umfassen religiöse Tatsachenbehauptungen in den meisten Fällen kognitive (also mit An­spruch auf eine Entsprechung in der Realität propositional ausdrückbare) sowie nicht-kognitive Inhalte. Somit kann der Teilbereich, der erfasst werden kann, in widerspruchsfreien Modellen prädikatenlogisch ausgedrückt werden, auch wenn die immer bestehende Vorläufigkeit dieser Modelle anerkannt werden muss.
Insgesamt führt H. eine kantische Religionsphilosophie im Sinne Wittgensteins plausibel fort, versäumt allerdings, sowohl Kants als auch Wittgensteins Erkenntnistheorie einer kritischen Prüfung zu unterziehen und deren Kritiker ausreichend zu Wort kommen zu lassen. Da viele Religionsphilosophen ein anderes Verständnis von Methode und Inhalt von Religionsphilosophie vertreten, wäre die Einbeziehung anderer Perspektiven, nicht nur inhaltlich, wie in Teil 2 geschehen, sondern auch erkenntnistheoretisch wünschenswert gewesen. H. gelingt es in seinem Werk, den Ansatz der Negativen Theologie umfangreich und detailliert auszuführen. Gerade für Analytiker, die ihre epistemologischen Voraussetzungen nicht immer offenlegen, ist es interessant, einmal diesen diametral entgegengesetzten und als fremd empfundenen Blickwinkel einnehmen zu können und die Konsequenzen dieses erkenntniskritischen Ansatzes für die Themen der Religionsphilosophie zu entdecken.