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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1187–1188

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kozah, Mario

Titel/Untertitel:

The Birth of Indology as an Islamic Science. Al-Bīrūnī’s Treatise on Yoga Psychology.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2015. 228 S. = Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies, 97. Geb. EUR 101,00. ISBN 978-90-04-29029-7.

Rezensent:

Axel Michaels

Abū Rayn.ān Mun.ammad ibn An.mad Al-Bīrūnī (973 bis ca. 1048), mehr bekannt als al-Bīrūnī, gilt als einer der größten islamischen Universalgelehrten. Gotthard Strohmaier, Herausgeber und Übersetzer einer Auswahl seiner Werke (In den Gärten der Wissenschaft, Leipzig: Reclam 1991), bezeichnet ihn wegen der »Fülle seiner neuen Denkansätze und der Exaktheit seines Messens und Rechnens« sogar »als den bedeutendsten Wissenschaftler des ganzen islamischen Mittelalters«. Al-Bīrūnī lebte lange Zeit in Ghazni (Afgha-nistan) und reiste auch nach Indien, über das er eine Art Ge-schichte schrieb: Tarikh al-Hind (»Geschichte Indiens«, Originaltitel: Kitāb tan.qiq mā li’l Hind min maqūla maqbūla fi’l aql aw mardhūla). Neben den chinesischen Pilgern Xuanzang (Hsüan-tsang) und Faxian (Fa-hsien) gilt al-Birūnī für die Südasienforschung als einer der wichtigen frühen Indienreisenden, deren historische Angaben meist zuverlässiger sind als einheimische Quellen, bei denen sich oft mythologische, legendäre und historiographische Angaben mi­schen.
Der Tarikh al-Hind beruht auf ausgiebiger Lektüre von Sanskrittexten, die einheimische Wissenschaften ebenso umfassen wie religiöse Texte. Al-Bīrūnī weilte mehrere Jahre in Indien und sprach dort mit vielen einheimischen Gelehrten. Er war Astrologe am Hofe Sultan Man.mūd von Ghazna und konnte sich daher ausgiebig den Textstudien hingeben. In den 80 Kapiteln des Tarikh al- Hind befasst er sich mit vielen wichtigen Themen der indischen Geistesgeschichte, darunter Grammatik, Metrik, Astralwissenschaften, Kosmologien und Mathematik, aber auch mit mehr religiösen Themen wie Karma-Lehre, Wiedergeburt und Seelenwanderung, Befreiung sowie Ritualen wie Fastengelübde, Pilgerwesen und Feste. Ob die heiligen Kühe oder Āryabhaṭas Theorie der Erdrotation, die Zahl Pi oder die Geschichten vom Goldenen Zeitalter – kaum etwas entging seiner großen Aufmerksamkeit.
Dieses Werk sowie seine zeitlich vorgelagerte Übersetzung von Patañjalis Yogasūtra ins Arabische, Kitāb Bātanjal, bilden die Grundlage für Mario Kozahs lesenswerte Studie zur Methodologie und Theorie der Seelenwanderung und Yoga-Psychologie al-Bīrūnīs. Es handelt sich, wie K. sagt, damit um eine »contribution to comparative religion being one of the earliest Muslim scientific studies in the field of Indology« (2).
Das Buch beginnt mit einer Analyse der Prologe von drei anderen Werken al-Bīrūnīs, um in dessen Methode und Philosophie einzuführen (Kapitel 1: »Al-Bīrūnī: Prologues and Method«). In Kapitel 2 (»Hindu Metaphysics According to the Hind«) folgt eine Darstellung und Zusammenfassung des Inhalts des Tarikh al-Hind. Dabei hebt K. zu Recht hervor, wie sehr al-Bīrūnī in den ersten zwölf Kapiteln zum einen die indischen Religionen zu einer Einheit macht und zum anderen dabei die Metempsychose als charakteristisches Merkmal herausstellt. Kapitel 3–5 (»Al-Nafs: the Soul in Kitāb Bātanjal«, »Kitāb Bātanjal: The Preface and Sections I–III« und »Section IV of Kitāb Bātanjal: Liberation and Unification, a Read­ing«) behandeln das Kitāb Bātanjal, besonders die Seelenlehre, die Yogapraxis und die Befreiungslehren. K. arbeitet heraus, dass diese Kapitel weit mehr als eine bloße Zusammenfassung der arabischen Übersetzung der Lehren des Yogasūtra bilden. Das Hauptargument sei vielmehr »that the purpose of such a representation is ultimately realized in the Hind where al-Bīrūnī’s interpretation of Hindu psychology is used specifically to support his reading of Hinduism« (5). Dies greift er in Kapitel 6 (»Al-Nafs: the Soul in the Hind«) auf, indem er aufzeigt, dass al-Bīrūnī die indischen Seelenwanderungslehren mit anderen muslimischen Autoren neutral vergleicht, etwa mit De Anima von Ibn Sīnās Shifā’. Al-Bīrūnī zeigt sich damit auf der Höhe der philosophischen Debatten seiner Zeit. Er behandelt die Seelenwanderungslehre nicht als Häresie und kann sie daher wertfrei analysieren und erörtern. Das Buch enthält auch eine Übersetzung der Sektion IV des Kitāb Bātanjal (195–205).
K. fußt auf einer breiten und stringenten Lektüre arabischer Quellen. Seine Argumentationen können überzeugen. Allerdings ist der Titel des Buches missverständlich, weil »Indology« nicht im Sinne einer Disziplin aufgefasst wird, sondern eher als »Lehre von Indien«. Unter »The Birth of Indology as an Islamic Science« ist daher ein »methodological project of interpreting and defining Hinduism along Islamic lines« (85) zu verstehen, »whose motives are conditioned in part by the challenge of the contemporary philo­sophical debate within al-Bīrūnī’s cultural sphere« (ebd.). Bedauerlich ist, dass K. offensichtlich nicht die indischen Quellen im Original lesen kann. Anders sind die vielen Fehler in der Schreibung nicht zu verstehen. Dennoch handelt es sich um ein auch für die Indologie interessantes und lehrreiches Buch.