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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1102–1103

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Blickle, Peter

Titel/Untertitel:

Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488–1531.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2015. 586 S. m. 21 Abb. u. 3 Ktn. Lw. EUR 34,95. ISBN 978-3-406-67501-0.

Rezensent:

Armin Kohnle

Georg Truchsess von Waldburg hatte als Oberbefehlshaber des Schwäbischen Bundes im Bauernkrieg entscheidenden Anteil an der Niederwerfung der Bauernhaufen in Südwestdeutschland. Dieser Rolle während der Aufstandsmonate des Jahres 1525 verdankt er bis heute seine Bekanntheit. Peter Blickle, emeritierter Lehrstuhlinhaber in Bern, der nicht nur als Bauernkriegs- und Reformationshistoriker, sondern auch als Landeshistoriker des schweizerisch-oberdeutschen Raumes einschlägig ausgewiesen ist, widmet dem »Bauernjörg« keine neue Biographie im eigentlichen Sinne, sondern konzentriert seine systematisch angelegte Untersuchung über weite Strecken auf das Epochenjahr 1525. Knapp die Hälfte des Buches sind dem südwestdeutschen Bauernkrieg gewidmet, die andere Hälfte wird auf die Regierung des Truchsessen in seiner oberschwäbischen Herrschaft Wolfegg, auf seine Zeit als Statthalter in Württemberg nach dem Ende des Bauernkriegs, auf seine Wirksamkeit auf den Reichstagen von 1526, 1529 und 1530 sowie auf die Rezeptionsgeschichte des »Bauernjörg« bis in unsere Tage verwendet.
Die im Mittelpunkt stehende Darstellung des Bauernkriegs insbesondere in der oberschwäbischen Heimat des Protagonisten sowie in Württemberg, Franken und im Allgäu ist gut lesbar und ausgesprochen detailreich; die zahlreichen Nachweise sind leserfreundlich im Anhang untergebracht. Georg Truchsess liefert zwar den personengeschichtlichen Fluchtpunkt, tatsächlich gilt B.s Interesse aber ebenso der Programmatik der Bauern, den sozialen und rechtlichen Verhältnissen, in denen sie lebten (Leibeigenschaft), der militärischen Organisation der Bauernhaufen und vor allem der Verlaufsgeschichte der gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diese an den Bauern, ihren Motiven und Anliegen ernsthaft interessierte Perspektive ist eine besondere Stärke des Buches, der Reichtum der Einzelheiten erweitert die Kenntnis der militärischen Abläufe nicht unerheblich. Die Darstellung ist mit Quellen reichlich unterfüttert und bietet aus bisher unbenutzten Archivalien manches Neue, auf das die Landesgeschichte dankbar zurückgreifen wird. Auf eine Metatheorie bei der Interpretation des Bauernkriegs verzichtet B. bewusst – als »Theoriesurrogat« dient ihm der Versuch, »den Obersten Feldhauptmann über seine Verflechtung in seinem Umfeld zu erfassen« (15).
Im Falle des Truchsessen von Waldburg bedeutet dies, dass sowohl die Situation in seiner oberschwäbischen Herrschaft als auch der weitere, höchst komplexe politische Kontext in den Blick genommen werden. Die gegen die Bauern zusammengeschlossenen Akteure: der Schwäbische Bund und die ihn tragenden Stände, die habsburgischen Regierungen in Vorderösterreich und Württemberg, die Reichsstädte und der lokale Adel zogen keineswegs immer an einem Strang. In Württemberg kam als weiterer Faktor hinzu, dass der vertriebene Herzog Ulrich die Situation zu nutzen versuchte, um seine angestammte Herrschaft zurückzuerobern. Dieses Interessengeflecht bildete den Hintergrund für das Agieren des »Bauernjörg«.
B.s Perspektive ist eine pro-bäuerliche oder zumindest anti-herrschaftliche. Die Legitimationsstrategie der Obrigkeiten (Landfriedensbruch) für ihr Vorgehen gegen die Bauern wird konsequent unterminiert. Auch die Weinsberger Bluttat, die eine Ausnahme blieb, rechtfertigt nach B.s Überzeugung das grausame Vorgehen der Obrigkeiten nicht. Nicht das Recht, sondern die Macht diktierte die militärische Unterdrückung der Bauern. Diese Auffassung kann man, muss man aber nicht teilen, wenngleich der Detailreichtum der Untersuchung plastisch und gelegentlich erschütternd vor Augen führt, welch brutale Strategie der Truchsess gegen die Aufständischen, ihren Besitz, ihre Unterstützer und Angehörigen verfolgte. Georg von Waldburg wird darüber zwar nicht zum Antihelden in B.s Darstellung, aber er wird auch nicht als positive Gestalt, als Retter des Reiches vor dem Untergang, wie es die Propaganda später wollte, präsentiert. Skrupel bei der blutigen Niederschlagung des Aufstandes und bei der Massakrierung der Bauern plagten den Truchsessen nicht. Seine Kriegsführung war überlegt und erfolgreich, aber mit einem ebenbürtigen Gegner hatte er es nicht zu tun. Die von B. gebotenen Zahlen sprechen für sich: Etwa 20.750 getöteten Bauern standen Verluste von nur etwa 100 Mann auf der Seite des Schwäbischen Bundes ge­genüber (vgl. 294). Die völlige Chancenlosigkeit seiner Gegner relativiert die militärischen Leistungen des »Bauernjörg« doch erheblich.
Wer sich für den Zusammenhang von Reformation und südwestdeutschem Bauernkrieg interessiert, findet in B.s Untersuchung viele verstreute Details. Dass Georg Truchsess nicht primär aus konfessionellen, das heißt antireformatorischen Motiven handelte, macht B. am Ende noch einmal deutlich. Für Georg war – anders als für den Kaiser und manchen altgläubigen Fürsten – der Bauernkrieg nicht einfach eine Folge der Reformation. »Bauernkrieg und Reformation treten bei ihm nicht paarig auf« (460). Nicht nur in dieser Hinsicht ist B.s Untersuchung auch für den Reformationshistoriker anregend. Sie wäre es noch mehr, wenn sich B. beim Umfang seiner teilweise doch weit ausgreifenden und an einigen Stellen redundanten Darstellung etwas größere Zurückhaltung auferlegt hätte.