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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1049–1050

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wrogemann, Henning

Titel/Untertitel:

Theologie Interreligiöser Beziehungen. Religionstheologische Denkwege, kulturwissenschaftliche Anfragen und ein methodischer Neuansatz.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. 478 S. m. 8 Tfn. = Lehrbuch Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft, 3. EUR 39,99. ISBN 978-3-579-08143-4.

Rezensent:

Rudolf von Sinner

Im dritten und letzten Band seines Lehrbuchs Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft wendet sich der Missions- und Religionswissenschaftler der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/ Bethel Henning Wrogemann nach der Interkulturellen Theologie und Hermeneutik (Bd. 1, 2012) und den Missionstheologien der Gegenwart (Bd. 2, 2013) nun einer Theorie und Theologie interreligiöser Beziehungen zu. Dahinter verbirgt sich ein Programm, das im Zeichen der Globalisierung und Pluralisierung nach der dafür notwendigen Art von (nicht nur christlicher) Religionstheologie, dem dafür unabdingbaren Grad an Selbstrelativierung und dem, was als (nicht nur intellektueller) Dialog zu verstehen ist, fragt. Obwohl auch hier immer wieder konkrete Begebenheiten erzählt und zum Teil mit Fotos unterlegt werden (zwischen 240 und 241) haben wir hier den theoretischsten und durchkonstruiertesten Band vor Augen, der den spezifischen Ansatz des Vf.s deutlich werden lässt und darum m. E. von besonderem Interesse ist. Ein großer Reichtum an Positionen, Literatur (vorwiegend deutscher und nordatlantischer Herkunft, 443–462) und Verweisen belegt das Entworfene und ermöglicht weitere Forschungen.
Mit dem stets präsenten Blick auf die konkrete, alltägliche Le­benswelt und zugleich einer multiperspektivischen theoretischen Vertiefung soll stets das im Blick behalten werden, »was aus der Perspektive Angehöriger anderer Religionsformationen als wesentlich erachtet wird« (31). Das klassische religionstheologische Dreierschema Exklusivismus-Inklusivismus-Pluralismus wird vom Vf. als Religionswissenschaftler tendenziell zu rational und als (christlich) religionstheologisch vorgeprägt kritisiert, als dass jene Perspektive ausreichend zur Geltung kommen könnte.
Das Buch hat insgesamt sechs Teile und 35 Kapitel. Nachdem schon in der Einleitung ältere, systematische Beiträge zu einer christlichen Religionstheologie erörtert worden waren (43–68), stellt der erste Teil (69–142) neuere Entwürfe christlicher Religionstheologien dar, die bereits eine intensivere praktische Dialogerfahrung voraussetzen. Der Vf. sieht dabei im Ansatz einer Theologie der Gastfreundschaft des Pfingsttheologen Amos Yong die größte Chance, weil er weder christliche Grundannahmen wie die Chris­tologie und Soteriologie nivelliert oder gar aufgibt noch anderen von vornherein eine gemeinsame Basis (etwa einer Einheit der Wirklichkeit) aufdrängt, sondern beide im Horizont von Gabe und Gegengabe versteht.
Der zweite Teil (143–209) stellt religionstheologische Positionen aus muslimischer und buddhistischer Perspektive dar, was eine wichtige Ergänzung zu den normalerweise auf christliche Religionstheologien beschränkten Darstellungen ist. Im Gegensatz zu westlich-christlichen Ansätzen zeigt sich Religion gerade nicht als Privatsache, sondern als etwas, das in seinen Geltungsansprüchen für den öf­fentlichen Raum in den Blick kommt und kommen muss.
Im dritten Teil (211–293) wird nun aus religions- und kulturwissenschaftlicher Sicht mit »Bausteinen« einer Theorie Interreligiöser Beziehungen der eigene Ansatz grundgelegt, der von den realen und nicht intellektuell-elitären Gegebenheiten ausgehen will. Namentlich geht der Vf. davon aus, dass Menschen nicht primär durch Gedanken und damit nicht vornehmlich durch ratio-nale Einsicht und entsprechende Übereinkünfte gesteuert werden, sondern in vielfältigen Bezügen handeln, die nicht unbedingt ge­genseitig ausschließend sind bzw. harmonisiert werden müssen. Damit betont er die Bedeutung der alltagsweltlichen religiösen Praxis. »Kultur- und religionswissenschaftlich muss es also darum gehen, das Feld interreligiöser Beziehungen als Bereich multipler Positionierungen von Identitäten wahrzunehmen, als durch Ambivalenzen einschließender und ausschließender Mechanismen be­stimmt, als Bereich, in dem polyvalente Relationierungen vor-genommen werden, also solche, in denen gleichzeitig und auf verschiedenen Ebenen Zuordnungen von Wertschätzung oder Zu­rückweisung vorgenommen werden, als Bereich, der durch unterschiedliche Räume beeinflusst und durch verschiedene Hintergrundannahmen mitbestimmt wird« (214). Dennoch entwirft der Vf. zunächst thetisch eine Theorie interreligiöser Beziehungen, die von konkurrierenden und damit mit bestimmter Eindeutigkeit identifizierbaren »Wir-Gruppen« ausgeht. Sie ist dann eine Wahrnehmungslehre, die nüchterne Analysen erfordert, durchaus mit kritischem Potential, das etwa implizierte Machtansprüche aufzudecken vermag. Identität wird dabei als Kohärenz verstanden, die unterschiedliche und gar widersprüchliche Aspekte zu integrieren vermag und sich nicht nur aus der eigenen Persönlichkeit, sondern durch die Interaktion mit anderen formiert. Ambivalenzen werden anerkannt und ausgehalten. Als Grundlinien einer Theorie interreligiöser Beziehungen kommen Multiperspektivität, Medien, Performanzen, Räume, Grenzen und Akteure in den Blick. Auch hier wird also eine Vielfalt von Zugängen und Blickwinkeln einbezogen, ohne deswegen in eine Beliebigkeit oder völlige Unbestimmtheit zu verfallen.
Der vierte Teil (295–334) erörtert das Dialogische in interreligiösen Beziehungen. Mit Blick auf konkrete Anlässe und die reale Verschiedenheit an Offenheit und Bereitschaft zu Wechselseitigkeit, wie sie in verschiedenen Religionen – etwa zwischen Christentum und Islam – gegeben sind, werden verschiedene Typen von Dialogen, Modalitäten von Dialog und Begegnung, Diskurse als spezifische – und oft fragwürdige – Wahrnehmungen anderer Religionen und die Repräsentativität ihrer im Dialog agierenden Vertreter hervorgehoben.
Im fünften Teil (335–411) wird nun nicht mehr beschreibend, sondern durchaus in normativer Absicht eine Theologie interre-ligiöser Beziehungen entwickelt. Dabei sollen auch und gerade sperrige Themen wie etwa der Zorn Gottes nicht ausgeklammert werden. So kann auch in Bezug auf Gottes Ausschließlichkeitsanspruch dessen befreiendes und gerade nicht konfliktträchtiges Po­tential in Anschlag gebracht werden, etwa wenn Gott allein Ahndungen zustehen und nicht menschlicher Rache. Biblisch vorhandene exklusive Aussagen werden nicht ausgeblendet oder ni­velliert, aber ihr positiver Bedeutungsgehalt für die bedrängten Gläubigen gegenüber den stets schwächeren Verurteilungen anderer betont.
Der sechste Teil schließlich (413–441) beschäftigt sich einmal mehr mit dem Fach Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft und Religionswissenschaft und seiner inhaltlichen Bestimmung.
Der das Buch durchziehende pragmatische und ethische Realismus und multiperspektivische Zugang ist wohltuend und ermöglicht einen unaufgeregten und ehrlich interessierten Dskurs interreligiöser Beziehungen. Systematisch drängt sich dem Re­zensenten freilich die Frage auf, was denn der tiefere Grund möglichen gegenseitigen Lernens ist – und hier kommt man um religionstheologische Vorannahmen, so einseitig und zugleich extrapolativ sie sein mögen, m. E. dann doch nicht herum. Hier wird das Ge­spräch mit dem Vf. und seinem Ansatz noch viel Fruchtbares hervorbringen.