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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

1013–1014

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Martin, Linkenbach-Fuchs, Antje, u. Wolfgang Reinhard[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Individualisierung durch christliche Mission?

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2014. 695 S. m. 1 Kt. u. 2 Tab. = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika), 24. Geb. EUR 118,00. ISBN 978-3-447-10141-7.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Der voluminöse Sammelband ist das Produkt einer vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt im April 2012 durchgeführten internationalen wissenschaftlichen Konferenz. Eine Vielzahl von Themen zur Missionsgeschichte, die dort diskutiert wurden, steht nunmehr einem breiten Leserkreis zur Verfügung. 41Beiträge von insgesamt 44 ausgewiesenen Wissenschaftlern sowie Nachwuchswissenschaftlern füllen diesen Band. Ausgangspunkt für die Einberufung der Tagung wie auch für die Zusammenstellung des Sammelbandes war die Ausgangsthese, dass »auf der einen Seite die Bedeutung des Individuums seine Begründung in der christlichen Heilslehre« findet und »sie auf der anderen Seite als Resultat eines im Kern philosophischen, säkularen Modernitätsdiskurses, der sich vom theologischen ablöst«, erscheint (13).
Die Autoren bemühen sich mit mannigfachen Fragestellungen in mehr oder minder hierauf fokussierten Beiträgen darum, die Hypothese zu untermauern, zu widerlegen oder zu korrigieren, dass christliche Mission weltweit Individualisierung und damit gewisse Aspekte der Modernisierung bewirkt hat. Der zeitliche Schwerpunkt liegt bei fast allen im 18. und 19. Jh. Die Geschichte der Mission des 16. bis 18. Jh.s wird nur gestreift.
Wichtig für das Verständnis des Dargebotenen, sowohl für die Fachwelt als auch für diejenigen, die sich aus breitem Interesse für Missionshistoriographie interessieren, ist die begriffliche Differenzierung von Individuum, Individualität, Individualisierung und Individualismus, um die oftmals nicht einfach verständlichen Fallstudien zu verstehen. Denn die gewählten Themen befassen sich mit so gut wie allen Weltregionen, in denen missionsgeschichtliche Forschungen betrieben werden. Es finden katholische wie evangelische Missionsunternehmungen Berücksichtigung.
Der Inhalt des Sammelbandes ist in zwei Teile gegliedert, die jeweils in vier bzw. fünf Komplexe unterteilt sind, unter deren Überschriften die einzelnen Beiträge abgedruckt sind. Auf alle einzugehen oder sie auch nur vorzustellen, ist nicht möglich. Deshalb seien nur einige – zugegebenermaßen durch die Interessen des Re­zensenten geleitet – herausgegriffene Studien genannt.
Der erste Teil enthält fünf Studien zu sogenannten Grundfragen. Es seien die der beiden ausgewiesenen Kenner der protestantischen bzw. der katholischen Missionsgeschichte hervorgehoben. Heinrich Balz referiert über »The Problem of Individualization through Christian Mission Activity as seen in Protestant Theology« und Mariano Delgado über »Individualisierung in der katholischen Mission der Frühen Neuzeit«. Im zweiten Komplex geht es sowohl um Buddha (Oskar von Hinüber), um lateinisch-christliche Mission des Mittelalters (Felicitas Schmieder) als auch um orthodoxe christliche Mission (Vasilios N. Makrides). Um schwedische Missionspublikationen und um die Bekehrung in Indien durch Basler Missionare geht es unter anderem im dritten Kapitel. Hervorgehoben sei die lesenswerte komarative Zusammenfassung der Forschungsergebnisse von Michael Sievernich.
Sechs Studien mit mehr oder minder biographischem Charakter werden sodann präsentiert. Deutlich wird in allen diesen Untersuchungen, welche Bedeutung den Frauen im Missionierungsprozess zukommt, sowohl als Missionierende als auch als Personen, die im Blickpunkt der zumeist europäischen Missionare oder Missionarinnen standen.
Die fünf Komplexe des zweiten Teils sind geographisch geordnet: Amerika, Ostasien (mit Schwerpunkt Japan), Südasien (fast ausschließlich zu Indien), Afrika südlich der Sahara sowie Südpazifik.
Unter allen diesen Präsentationen wissenschaftlich wertvoller Fallstudien befinden sich interessante, innovative und zum Nachdenken anregende Ideen, die unabhängig von den faktischen Darlegungen der missionsgeschichtlichen Forschungsergebnisse zu-kunftsweisende Anregungen vermitteln können.
Es ist den Herausgebern sowie den Autoren gelungen, so kann wohl das Fazit gezogen werden, die bislang als allgemeingültige Erkenntnis geltende Ausgangsthese, dass die Individualität an das Christentum und an die abendländische Moderne gebunden ist, durch vielfältige Studien überprüfen zu lassen. Der von den Herausgebern für den Cover-Text gewählten Einschätzung kann zugestimmt werden, die besagt, dass die gewonnenen Erkenntnisse belegen, dass die Ausgangshypothese den empirischen »Härtetest nur angeschlagen und stark differenziert« überlebt hat.