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Ausgabe:

September/2016

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Gemeinhardt, Peter, u. Tobias Georges [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie und Bildung im Mittelalter. Münster: Aschendorff Verlag 2015. 520 S. = Archa Verbi. Subsidia, 13. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-402-10231-2.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Die Internationale Gesellschaft für Theologische Mediävistik hielt 2014 eine Tagung zum Thema »Theologie und Bildung im Mittelalter« ab und legt die auf ihr gehaltenen Vorträge in diesem Band vor. Fachlich unterschiedliche Perspektiven wurden miteinander ins Gespräch gebracht und das Thema nicht nur aus christlicher, sondern auch aus jüdischer und islamischer Tradition heraus betrachtet. Während der Glaube nach christlicher Auffassung Ge­schenk Gottes ist, ist theologisches Denken kommunizierbar. Der Band gibt keine Gesamtdarstellung, vermittelt aber eine Fülle verschiedener Aspekte für eine solche und will zum Gespräch führen.
Zunächst wird in sieben Beiträgen Grundsätzliches zum Thema gesagt. Peter Gemeinhardt versteht das Erbe der Antike als Fundament für einen Aufbruch im frühen Mittelalter von Alkuin bis zu Anselm von Canterbury (13–44). Er stellt fest, dass um 1100 die abendländische christliche Theologie auf neue Weise zu denken begann – argumentierend, nicht mehr nur die Aussagen der Kirchenväter rezipierend: »Mit und an den Vätern […] lernte die abendländische Theologie um 1000 neu zu denken«. Berengar sah »im Vernunftgebrauch den Erweis der Gottebenbildlichkeit« (38. 22).
Jacques Verger stellt die Klöster, Schulen und Universitäten als Orte der Bildung dar, sowohl hinsichtlich der Unterschiede als auch der Gemeinsamkeiten (45–63).
Volker Leppin geht den Ursprüngen der Theologie als universitäre Disziplin im Paris des 13. Jh.s nach (65–92). Wenn es auch zunächst Universitäten (in Italien) ohne theologische Fakultäten gab, so gehörten diese doch seit dem 13. Jh. zu ihrem Standard. War zunächst keinem mit der Seelsorge beauftragten Kleriker das Artes-Studium erlaubt, wurde es bald zur Voraussetzung für das Theologiestudium. Theologie wird zur philosophia prima bzw. zur scientia divina. Ja, mangelnde Anwendung der ratio führte zum Häresieverdacht. Scientia und sapientia wurden einander zugeordnet. Doch: »Die Universität, mit ihren antihäretischen Wurzeln, ist auch rechtlich eine kirchliche Institution. Als solche aber gewann sie zunehmend auch eine Eigenständigkeit gegenüber anderen Instanzen.« (70)
Anna Sapir Abulafia untersucht an einigen Beispielen den mittelalterlichen Diskurs zwischen Juden und Christen hinsichtlich des Themas »Theologie und Bildung« (93–109).
Sebastian Günther widmet seine Ausführungen den Konzeptionen rationaler und spiritueller Bildung im Klassischen Islam (111–128). Außer dem Koran untersucht er die Schriften von al-Farabi, al-Ghazali und Ibn Ruschd. Bei allen Unterschieden ist ihnen gemeinsam, »dass sie die generelle Bedeutung der Bildung für die allseitige Entwicklung des Individuums und für das Wohl der Gesellschaft ausdrücklich hervorheben« (124).
Carolyn Muessig schreibt über das pädagogische Ideal bei den Nonnen der observanten Dominikaner und Franziskaner im späten Mittelalter (129–149) – vor allem bei der Franziskanerin Caterina Vigri und bei der Dominikanerin Tommasina Fieschi.
Christoph Burger untersucht grundsätzlich die »theologische Unterweisung im Spätmittelalter« (151–173). Er betont dabei, dass im Spätmittelalter »die in die Breite wirkende Vermittlung von Glaubenswissen innovativer als die auf den akademischen Raum beschränkte Theologie« gewesen sei. Er nennt vier Theologen, die »in hohem Maße über die Fähigkeit verfügten, sich auf die Interessen und intellektuellen Fähigkeiten ihrer Adressaten einzustellen« (154–157). Der Christ wurde in dieser Zeit durch Predigten, katechetische Texte, Lieder, Liturgie und Bilder mit den Glaubensinhalten vertraut gemacht.
Es folgen exemplarische Studien, so über bischöfliche Bildungskonzepte, über »Bildung zum Heil« (die Bildung zum Heil macht Hugo von St. Viktor zu seinem Programm), über das Emanzipationsstreben des Theologiestudiums in Oxford, über die Frauenklause als Ort der Bildung (oratio und lectio wurden »als Grundvollzüge des Lebens in der Frauenklause vorausgesetzt«, 232), über die Klosterschulen und über das Verhältnis von Theologie und Spekulation an der Pariser Universität.
Es werden »Medien und Methoden« untersucht, so die Spannungsfelder zwischen Theologie und Bildung in verschiedenen Handschriften, über das Erlernen der griechischen Sprache im Abendland im 12. Jh., über das Instrumentarium der nicht-akademischen Klerikerbildung und, welche Bedeutung der Sprachkenntnis bei der Bekehrung von Ungläubigen zukommt. Darauf legte vor allem Raimundus Lullus größten Wert. Danach werden »Interkulturelle Kontexte« in den Blick genommen.
Der Mitherausgeber Tobias Georges widmet sich der Rolle, welche die ratio im Islam bei Petrus Venerabilis und Petrus Alfonsi spielt. Beide betonen die Bedeutung der Vernunft der Muslime. Alfonsi geht in seiner »Disciplina clericalis« so weit, dass er Gedankengut aus dem Islam »zum Wegweiser für die Weisheit und Vernunft Gottes« erklärt (371). Mihai-Dumitru Grigori wehrt sich gegen den Mythos der ungebildeten, fortschrittsresistenten griechischen Mönche. Ganz im Gegenteil, bis zum Ende von Byzanz seien die großen Philosophen und Theologen hauptsächlich Mönche gewesen. Aber es gab auch solche, die »Bildung und ›säkulare‹ Bücher für ein Überbleibsel des Heidentums und für ein frommes, heilbringendes, christliches Dasein für vollkommen überflüssig« hielten (378.381). Auch Georgi Kapriev widmet sich dem Thema Bildung in Byzanz und betont »das göttliche Talent der Vernunft«. Dogmatik, Überlieferung und Konzilsbeschlüsse unterlagen keiner Diskussion, sie bildeten den Grund des Philosophierens im Bereich der Theologie, denn »die philosophische Theologie ist eine Sache der menschlichen Vernunft« (401–405).
Anschließend werden Beiträge der Christen auf den Gebieten der Astronomie und der Medizin im mittelalterlichen China behandelt. Am Schluss stehen Beiträge zu »Theologie im Diskurs«, umstrittene Denker werden dabei berücksichtigt, so Roger Bacon als Apologet der profanen Wissenschaft auch für Theologen, Marguerite Porete sowie Johannes Duns Scotus und Meister Eckhart (zum Thema Allmacht Gottes). Schließlich wird in zwei Beiträgen auf Thomas von Straßburg eingegangen. Auch für ihn gilt: »Durch die enge Verknüpfung der theologischen Bildungsinstitute mit der Institution Kirche […] dienten akademische Karrieren als geeignetes Sprungbrett, um eine höhere kirchliche Karriere einzuschlagen« (491). Sein Sentenzenkommentar war Teil der ordensinternen Schulbildung bei den Augustinereremiten, in dem er sich auch als ein moderner Denker profilierte.
Es ist nicht möglich, auf alle 26 Beiträge einzugehen, sie sind auch von unterschiedlichem Gewicht. Doch kann gesagt werden, dass in diesem Tagungsband ein sehr umfassendes Thema in ganz unterschiedlichen Richtungen exemplarisch ausgeleuchtet wurde. Ausdrücklich heißt es, der vorliegende Band sei »kein Schlusswort, sondern ein Gesprächsangebot« (7). Dieses sollte genutzt werden. Herausgebern und Autoren ist dafür zu danken.