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Ausgabe:

September/2016

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Porter, Stanley E.

Titel/Untertitel:

Linguistic Analysis of the Greek New Testament. Studies in Tools, Methods, and Practice. Grand Rapids: Baker Academic 2015. XVI, 432 S. Kart. US$ 40,00. ISBN 978-0-8010-4998-9.

Rezensent:

Carsten Ziegert

Der in Ontario lehrende Neutestamentler Stanley Porter hat seit 1989 mehr als 20 Bücher geschrieben, die sich vorrangig mit sprachlichen Aspekten des griechischen Neuen Testaments befassen. Das vorliegende Werk mit seinen 21 Kapiteln beruht zum größten Teil auf bisher nicht veröffentlichten Konferenzbeiträgen aus den letzten Jahren, die allerdings (nach eigener Aussage) nicht aktualisiert wurden, auch nicht in Bezug auf die verwendete Literatur (VII.11–12). Trotz der bei diesem Sitz im Leben wohl unvermeidlichen Redundanz und der unterschiedlichen Qualität der einzelnen Kapitel bietet P. eine Fundgrube an Material für weitere Forschungen. Ansatzweise entsteht, zumindest bis zum Beginn des zweiten Teils, der Charakter eines Lehrbuchs, der sich jedoch im weiteren Verlauf nicht durchsetzt.
Im ersten Teil (»Texts and Tools for Analysis«) beschreibt P. zu­nächst Internet-Ressourcen wie den »Thesaurus Linguae Graecae«, die »Perseus Digital Library« und das von P. mitverantwortete OpenText.org. Die Verwendung solcher Ressourcen ist sinnvoll, weil sich die Eigenschaften des neutestamentlichen Griechisch nur angemessen bestimmen lassen, wenn man ein größeres Textkorpus berücksichtigt (44). Ein weiterer Schwerpunkt dieses Buchteils liegt in der Lexikographie. Das Wörterbuch von Louw und Nida (Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains [1988]) wird ausführlich beschrieben. Hier wird der Wortbestand nicht alphabetisch, sondern nach semantischen Bereichen sortiert dargestellt. Grundsätzlich befürwortet P. einen solchen Ansatz, da auch im menschlichen Gehirn die Wörter nicht alphabetisch, sondern semantisch organisiert seien (73). An dem Wörterbuch sieht P. allerdings Verbesserungsbedarf, da die Kategorien Denotation, Konnotation und Referenz nicht klar unterschieden werden (50 f.). Auch das »traditionelle« Wörterbuch von Walter Bauer (englisch: A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literatur, trans. Arndt and Gingrich, rev. Gingrich and Danker [1979]) wird ausführlich mit seinen Vor- und Nachteilen beschrieben. In der Darstellung überwiegt dann die Kritik, vor allem diejenige, dass dieses Wörterbuch von den linguis- tischen Überzeugungen des 19. Jh.s geprägt sei, was zur Folge habe, dass sich eigentliche Bedeutungen der Lexeme mit metonymisch-metaphorischen bzw. theologischen Bedeutungen oftmals mischen (67). Insgesamt plädiert P. dafür, die neutestamentliche Lexikographie aufgrund der neueren Linguistik weiterzudenken, was sich z. B. in der Verwendung korpuslinguistischer Methoden niederschlagen könnte (78–80).
Der zweite Teil (»Approaching Analysis«) beginnt mit einem Plädoyer für die Anwendung moderner linguistischer Methoden auf die Interpretation biblischer Texte. In diesem Rahmen gibt P. eine sehr prägnante Einführung in die Bereiche Morphologie und Syntax, Semantik und Lexikographie sowie Textlinguistik (bzw. »Discourse Analysis«) nebst einer Fülle an Literaturhinweisen (83–92). Dieser Buchteil enthält auch drei Überblicksartikel zu den Themen »Soziolinguistik« und »Textlinguistik« (bzw. »Discourse Analysis«). In beiden Fällen sind die Ausführungen recht abstrakt und hätten um konkrete neutestamentliche Beispiele ergänzt werden können (113–158). Unter dem Stichwort »Textlinguistik« hätte man sich einen Hinweis auf den ausführlichen Abschnitt einer aktuellen deutschsprachigen Grammatik (von Siebenthal, Griechische Grammatik zum Neuen Testament [2011], §§ 297–354) gewünscht.
Der zweite Buchteil schließt mit drei Artikeln, in denen P. seine umstrittenen Thesen zum griechischen Aspektsystem verteidigt (159–215). P. hatte ja in seiner 1989 erschienenen Dissertation (»Verbal Aspect in the Greek of the New Testament, with Reference to Tense and Mood«) behauptet, die griechischen Tempus- bzw. As­pektstämme hätten nicht nur in den nichtindikativischen Formen, sondern auch im Indikativ lediglich eine Aspekt-, aber keine Zeitbedeutung. Die Auseinandersetzung kreist wie bisher um die Themen »Augment« und »historisches Präsens« und bringt in diesem Rahmen wenig Neues. Wichtig erscheint mir bei dieser Diskussion die folgende Beobachtung (vgl. von Siebenthal, Griechische Grammatik, § 193a): Wenn etwa das Imperfekt sowohl für Vergangenes als auch für Nichtwirkliches (dies meist mit εἰ oder ἄν) verwendet wird, dann ist das möglich, weil sprachliche Systeme Mehrdeutigkeit zulassen. Offensichtlich rechnet P. nicht mit solchen Mehrdeutigkeiten und ist deshalb gezwungen, eine zeitliche Bedeutung von Verbformen ganz abzulehnen. Diese Ablehnung von Ambiguität zeigt sich übrigens auch im Bereich der Lexikographie, da P. davon ausgeht, dass Polysemie nicht existiert; er rechnet vielmehr mit sehr abstrakten Wortbedeutungen, die eine Vielzahl konkreter Bedeutungen umfassen (51–53, vgl. 298–301).
Der dritte Teil des Buches (»Doing Analysis«) bietet eine Sammlung von Artikeln, die linguistische Methoden auf biblische Texte anwenden, aber auch einige Überblicksartikel, teilweise auch zu eher literarischen oder sozialgeschichtlichen als linguistischen Fragestellungen (277–306; 307–338). Insgesamt ist keine klare Trenn- linie zwischen dem zweiten und dem dritten Teil auszumachen. Zwei Artikel möchte ich hier hervorheben: Unter der Überschrift »Verbal Aspect and Synoptic Relations« (255–276) befasst sich P. mit der Frage, ob Unterschiede in der Verwendung des Aspekts Aufschluss über die Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der synop-tischen Evangelien geben können. Dazu stellt er zunächst fest, dass beim Zitieren alttestamentlicher Passagen im Neuen Testament und bei der Verwendung der Makkabäerbücher durch Josephus Verbformen zu einem weniger »markierten« Aspektstamm als in der Vorlage tendieren, also vom Perfektstamm zum Präsensstamm oder zum (unmarkierten) Aoriststamm. Bei diesem Vorgehen ist natürlich anzumerken, dass bei der Betrachtung von Septuagintazitaten im Neuen Testament zunächst nach der Vorlage und nach der Art der Wiedergabe (Zitat, Anspielung usw.) zu fragen ist (vgl. z. B. Stanley, Paul and the Language of Scripture [1992], 31–61). Unter der Voraussetzung, dass auch bei den synoptischen Abhängigkei­ten die Aspektveränderungen in dieselbe Richtung verlaufen müss­ten, stellt P. fest, dass sich die von den gängigen Theorien postulierten Abhängigkeitsverhältnisse auf diese Weise nicht be­stätigen lassen (276). Der kurze letzte Artikel »Hyponymy and the Trinity« (377–384) wertet die triadischen Formulierungen im Neuen Testament aus und versucht, linguistische Terminologie für eine theologische Fragestellung fruchtbar und die traditionelle Rede von der »Dreieinigkeit« plausibel zu machen.
Das Buch enthält eine ausführliche 37-seitige Bibliographie (mit fast ausschließlich englischer Literatur), einen Stellenindex, einen Autorenindex, aber leider keinen Sachindex. Bisweilen erscheint die Darstellung nicht kohärent genug. Bei so manchem Artikel ist der »Forschungsüberblick« mit 30–50 % des Gesamtumfangs etwas zu lang geraten. Dennoch liegt ein Buch vor, das sich für alle, die sich im Rahmen der Bibelwissenschaften mit linguistischen Fragen beschäftigen, als hilfreich erweisen kann.