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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

887–888

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Edelman, Diana V., and Ehud Ben Zvi [Eds.]

Titel/Untertitel:

Memory and the City in Ancient Israel.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2014. VI, 372 S. Kart. US$ 54,50. ISBN 978-1-57506-315-7.

Rezensent:

Aaron Schart

Der Aufsatzband umfasst drei Teile: Der erste Teil »Opening the Gates« beinhaltet auch die Kurzvorstellung der Beiträge durch den Herausgeber Ehud Ben Zvi. Der zweite Teil »Crossing the Gates and Entering into the City (of Memory)« umfasst sieben Aufsätze zu typischen Orten innerhalb der Stadtmauern, nämlich Tore, Häuser, Paläste, Gärten, und Wasserinstallationen. Der dritte Teil »Individual Cities and Social Memory« beinhaltet Studien zu bestimmten Städten, nämlich zu Jerusalem, Samaria, Sichem, Mizpa, Ninive und Babylon.
Stéphanie Anhonioz »Cities of Glory and Cities of Pride: Concepts, Gender and Images of Cities in Mesopotamia and in Ancient Israel« (21–40) stellt fest, dass Städte sowohl in Mesopotamien als auch in Israel/Juda als weibliche Personen aufgefasst wurden. Aber nur in Mesopotamien wurden Städte auch als Göttinnen vorgestellt. Dagegen kommt nur im Fall von Jerusalem das ganze Leben einer Frau, von der Kindheit bis zur reifen Mutter, in den metaphorischen Blick (39).
Der zweite Teil des Bandes wird von Carey Walsh »Testing Entry: The Social Function of City-Gates in Biblical Memory« (43–59) eröffnet. Zum einen verwehrte das Tor dem feindlich Gesinnten den Zugang zur Stadt und war so auch ein symbolischer Ort der Sicherung der eigenen Identität. Zum anderen war es der Ort, wo die Dorfgemeinschaft ihre Rechtsfälle entschied.
Anne Katrine Gudme befasst sich in »Inside-Outside: Domestic Living Space in Biblical Memory« (61–78) mit einer Analyse des Hauses und der verschiedenen Tätigkeiten, die im Haus ausgeübt wurden. Dafür zieht sie auch archäologische Funde heran. Obwohl das Haus vor allem die Domäne der Frauen war, oblag es dem Familienvater, Fremde in das Haus einzuladen.
Francis Landy befasst sich in »Threshing Floors and Cities« (79–97) mit zwei Texten, in denen eine Tenne erwähnt wird (2Sam 24,16//1 Chr 21,15 und 1Kön 22,10//2Chr 18,9). In diesen markiert sie möglicherweise den »Wendepunkt zwischen Leben und Tod«.
Der Aufsatz »Palaces as Sites of Memory and their Impact on the Construction of an Elite ›Hybrid‹ (Local-Global) Cultural Identity in Persian-Period Literature« (99–114) von Kåre Berge befasst sich mit der Frage, welche Bedeutung die Erinnerung an den davidischen Palast in der persischen Zeit hatte, in der dieser vermutlich in Trümmern lag und die Herrschaft in den Händen des persischen Statthalters.
Diana Edelman schreibt in »City Gardens and Parks in Biblical Social Memory« (115–155) über die Assoziationen, die man in Juda mit Gärten verband. Auch YHWH wurde als Gärtner vorgestellt, so stellt schon der Garten Eden seine eigenhändige Pflanzung dar (Gen 2,15), auch Jerusalem soll YHWHs eigener Garten sein (Jes 51,3). Der Tempel enthielt viele vegetabile Ausschmückungen. Der Garten diente auch als Metapher für »a woman ripe for sexual enjoyment« (127).
Karolien Vermeulen befasst sich in »In Defense of the City: Memories of Water in the Persian Period« (157–175) mit dem lebensnotwendigen Wasser. Obwohl sich Wasser als Symbol für Leben anbietet, kommt es im untersuchten Textkorpus bemerkenswert selten in metaphorischem Gebrauch vor.
Hady Ghantous und Diana Edelman befassen sich in »Cisterns and Wells in Biblical Memory« (177–193) mit der Bedeutung von Zisternen und Brunnen innerhalb einer Stadt. Angesichts der langen Perioden ohne Regen ist die Wasserbevorratung lebensnotwendig. Von daher versteht sich auch der positive metaphorische Gebrauch. In Jer 2,13 wird YHWH selbst als Quelle lebendigen Wassers dem abgestandenen Wasser einer rissigen Zisterne entgegengesetzt. Weil Zisternen aber auch als Orte zweckentfremdet wurden, an denen man Menschen gefangen hielt (z. B. Jeremia, Jer 37,15–16; 38,6–13), verbinden sich mit ihnen auch negative Assoziationen (189). Auch die Existenz der Verstorbenen im Totenreich stellte man sich analog zu einem Aufenthalt in einer dunklen Zisterne vor.
Im Eingangskapitel des dritten Teils »Exploring Jerusalem as a Site of Memory in the Late Persian and Early Hellenistic Period« (196–217) schreibt Ehud Ben Zvi über die Konzepte, die sich mit Jerusalem verbanden: Jerusalem ist YHWHs Wohnort auf Erden, wird sogar als Tochter oder Ehefrau YHWHs (Jes 54,5–8) aufgefasst, die Gott glücklich machen kann (Jes 65,18–19). Als »Stadt Davids« ist sie Mittelpunkt gerechter Herrschaft und des reinen Kultes. Auch wenn die Stadt an ihrer Bestimmung scheiterte und für einige Jahrzehnte zerstört dalag, wird sie doch in Herrlichkeit wiedererrichtet werden.
Russell Hobson befasst sich in »The Memory of Samaria in the Books of Kings« (219–229) mit der Hauptstadt des ehemaligen Nordreichs. In persischer Zeit war Samaria mit dem YHWH-Kult auf dem Garizim verbunden. Aus judäischer Sicht setzte sich dadurch das Bild von Samaria als »Anti-Jerusalem« fort.
Yairah Amit befasst sich in »How to Slander the Memory of Schechem« (231–243) mit der Stadt Sichem. Diese war in der vormonarchischen Zeit offensichtlich ein bedeutendes religiöses Zentrum (vgl. den sogenannten »Landtag zu Sichem«, Jos 24). Jerusalem hat aber Sichem in der kollektiven Erinnerung abgelöst. Nachdem, in persischer Zeit, auf dem nahe Sichem gelegenen Garizim ein samaritanisches Heiligtum erbaut wurde, wurde Sichem sogar bewusst mit negativen Erinnerungen verknüpft, namentlich mit der Vergewaltigung Dinas und der nachfolgenden Ermordung der Sichemiten (Gen 34).
Daniel Pioske »Mizpah and the Possibilities of Forgetting« (245–256) geht davon aus, dass die Archäologie zeige, dass Mizpa an Stelle des zerstörten Jerusalem, in der Zeit der babylonischen Herrschaft und bis weit in die persische Zeit hinein als Verwaltungszentrum diente. Dass Mizpas Bedeutung in der Bibel trotzdem in keiner Weise zum Ausdruck kommt, muss Ergebnis eines bewussten Vergessens sein (254).
Philippe Guillaume befasst sich in »Dislocating Jerusalem’s Memory with Tyre« (257–266) mit Tyrus, einer nicht-israelitischen Stadt von sagenhaftem Reichtum, die z. B. in Ez 28 zugleich als Ort der Hybris gezeichnet wird.
Steve W. Holloway befasst sich in »Nineveh as Meme in Persian Period Yehud« (267–292) mit der Stadt, die wie keine andere die grausame Seite einer imperialen Großmacht verkörpert. Dem biblischen Bild stellt der Vf. die außerbiblischen Quellen über Ninive gegenüber (279–292).
Ulrike Sals geht in »Babylon Forever or How to Divinize What You Want to Damn« (293–308) auf die Bedeutung der Stadt ein, von der die traumatische Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 ausgegangen ist. Einen knappen, aber humorvoll-eindrücklichen Überblick über die Verfahren, wie das Alte Testament Babylon zum großen Gegenspieler YHWHs aufgebaut hat, gibt die Zusammenfassung (307–308).
Carla Sulzbach arbeitet in »Building Castles on the Shifting Sands of Memory: From Dystopian to Utopian Views of Jerusalem in the Persian Period« (309–320) heraus, dass sich in persischer Zeit an die in Trümmern daliegende Stadt utopische Entwürfe von einem neuen Jerusalem heften konnten.
Der Sammelband behandelt das Thema »Stadt im Alten Testament« umfassend. Dabei geht es durchgehend um memory, worunter am ehesten die Konnotationen und Konzeptionen zu verstehen sind, die sich bei den perserzeitlichen Lesern der Texte mit dem Phänomen »Stadt« verbanden. Archäologische Befunde kommen gelegentlich auch vor. Insgesamt ein sehr lesenswerter Band für alle, die sich mit dem Phänomen »Stadt« als eines religiösen Vorstellungskomplexes auseinandersetzen wollen.