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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

815–817

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schneider, Michael

Titel/Untertitel:

Theologie des christlichen Gebets.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2015. 389 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-429-03840-3.

Rezensent:

Thomas Fries

Gibt es derzeit etliches an spiritueller Ratgeberliteratur wie auch spezifisch christliche Gebets- und Meditationsanleitungen, wird das christliche Gebet aus grundlegend theologischer Sicht jedoch eher selten umfassend bedacht. Michael Schneider, dem Jesuitenorden angehöriger Professor und Leiter des Instituts für Litur-gie- und Dogmengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, versucht mit vorliegender Studie Einwänden gegen die Praxis des Gebets, die sich im Horizont der neuzeitlichen Philosophie ergeben, insbesondere unter Bezugnahme auf unterschiedliche Positionen zeitgenössischer Denker zu begegnen. Er entwickelt einen betont »personalen Ansatz« und begründet das christliche Gebet gegenüber sonstigen Gebetsweisen von seiner trinitarischen Bestimmung und seiner spezifischen anthropologischen Grundlegung her. Es geht ihm dabei nicht um die Darlegung einer Gebetstheorie, sondern um die überzeugende Erörterung der Bedeutung des betenden Vollzugs, dessen anthropologische Basis im christlichen Sinne inkarnatorisch begründet liegt. Das persönliche Gebet, so wird S. nicht müde zu betonen, ist der »Grundakt christlicher Existenz« (18).
Dieser Gedanke des Inkarnatorischen im christlichen Gebet und in der Nachfolge Jesu wird besonders deutlich in der Aussage: »Gottes Wort sucht sich im Leben des Menschen zu inkarnieren«, denn es gibt »kein Gebet ohne den Leib« (235). Die vorgelegte Gebetstheologie ist – für einen Jesuiten als Autor nicht überraschend – ignatianisch geprägt, was sich anhand mehrerer Aspekte feststellen lässt. Zum einen stützt S. sich in seinem Entwurf u. a. auf theologische Überlegungen zum Gebet von Karl Rahner (anthropologische Aspekte) und Hans Urs von Balthasar (trinitarische Grundlegung). Zum anderen kommt wiederholt der Bezug zu den ignatianischen Exerzitien zur Sprache, in denen der Mensch allein vor Gott in Freiheit und Verantwortung steht. S. stellt wiederholt die »rechte Absicht« des Gebets heraus: Es geht nicht um den Mehrwert des Gebets für den Betenden, sondern um »die größere Ehre dessen, dem sich der Beter hingeben will« (10). Die trinitarischen Voraussetzungen und die anthropologische Grundlegung werden mit der christologischen Begründung verbunden und in konkreten Bezug zu praktischen Fragen, das christliche Gebet betreffend, gestellt; der Betende, der sich in der Nachfolge Christi sieht und mit den Worten Christi betet, weiß sich hineingenommen in das Geschehen der Liebe zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn im Heiligen Geist. Das innertrinitarische Geschehen der Liebe und des Gehorsams des Sohnes zum Vater wird als vorbildhaft für den Beter erachtet.
Die hier benannten Grundlinien durchziehen die gesamte gut lesbare Studie und bestimmen ihren Aufbau. Im I. Kapitel (»Problemanzeigen in der Neuzeit«) werden aufbauend auf dem Gebetsverständnis mittelalterlicher Theologen – insbesondere wird Thomas von Aquin mehrfach hervorgehoben – Positionierungen zum Gebet unterschiedlicher neuzeitlicher Autoren, darunter Immanuel Kant und Ludwig Feuerbach, vorgestellt. Daraufhin kommen im II. Kapitel (»Problemanzeigen in der Gegenwart«) vier verschiedene zeitgenössische theologische und philosophische Denker zur Sprache (neben Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar werden ins- besondere die philosophischen Überlegungen zum Gebet von Richard Schaeffler und Abraham Joshua Heschel berücksichtigt). Die so herausgearbeitete Bedeutung des Gebets wird im III. Kapitel, das den Hauptteil darstellt, mit der »trinitätstheologischen Be­gründung des christlichen Gebetsvollzugs« weiter vertieft. Um die Eigenart christlichen Betens gegenüber Gebets- und Meditationsformen anderer Religionen zu benennen, erfolgen im IV. Kapitel Ausführungen zu den »Spezifika des christlichen Betens«. S. zeigt auf, dass der persönliche Bezug zur Schrift wie auch die Feier der Liturgie spezifischer Ausdruck der christologischen und pneumatologischen Begründung des christlichen Gebets sind und mit dem immerwährenden Beten, dem Kapitel V gewidmet ist, in Verbindung stehen. Das Stundengebet, mit dem sich Kapitel VI beschäftigt, wird als exemplarische Zusammenführung der wesentlichen Aspekte des christlichen Gebets vorgestellt. Kapitel VII stellt schließlich eine Synthese wichtiger theologischer Überlegungen der Studie dar.
Die Grundidee des Buches wird von Beginn an verdeutlicht und der Argumentation ist gut zu folgen. Der Rückbezug auf neuzeitliche Positionen zum Gebet (vor allem Kapitel I) erlaubt es, die von S. artikulierten Anfragen an den Gebetsvollzug und die Gedanken der erwähnten zeitgenössischen Autoren zum Gebet klar nachzuvollziehen (Kapitel II). Eine Überbeanspruchung der menschlichen Vernunft in der Neuzeit, die Gottesglauben und Offenbarung überflüssig erscheinen lässt, wird wiederholt als Kontrastfolie für eine in die Tiefe gehende zeitgenössische Gebetstheologie angeführt, die den Menschen in seiner existentiellen Bestimmung und seinem Entworfen-Sein auf Gott sieht. Dabei werden die »Problemanzeigen« und neuzeitlichen Einwände gegen das Gebet knapp und pointiert dargestellt. Thematisiert wird immer wieder das Zusammenspiel zwischen der Vorsehung Gottes und der Freiheit des Menschen, wobei dies insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach der Gebetserhörung wichtig erscheint. Als positiv wird von S. bewertet, dass die neuzeitlichen Anfragen an das christliche Gebet und an die theologische Vorstellung von der Vorsehung Gottes dazu führten, dass im 20. Jh. eine intensive und sogar vertiefende theologische Auseinandersetzung mit diesen Themen stattfinden konnte. Für die gesamte Darstellung im Buch gilt, dass der Katholizismus und die Orthodoxie im Blickfeld stehen und insbesondere in Kapitel V stark auf die monastische Spiritualität Bezug genommen wird, wogegen Diskurse aus dem evangelischen Raum keine weitergehende Beachtung finden. Inhaltliche Redundanzen innerhalb der Kapitel IV, V und VI erschweren teilweise die Lektüre.
S. selbst nimmt wiederholt Bezug auf das biblische Gottes- und Menschenbild, um der philosophischen neuzeitlichen Kritik am Gebet und am Gottesglauben eine Korrektur entgegenzuhalten. Wichtig erscheint der Einwand gegen jeden Vorwurf psychologischer Projektionen oder Solipsismen im Gebet. Im Gebet blicke der Mensch nicht auf sich, sondern auf Gott wie auch auf die endgültige Erfüllung seiner Existenz in Gottes Ewigkeit. Dabei ist das Gebet, so stellt S. es bereits in Kapitel I klar, als ein Lernprozess zu verstehen, in dem es um die Einübung von Anbetung und Hingabe gehe, verstanden als ein Einfinden in die Grundhaltung des in Freiheit entlassenen Menschen (vgl. 41) vor Gott. Das Gebet verändert den Beter und ist ein, wenn nicht der grundlegende existentielle Akt des Christen, wie S. wiederholt festhält. Auf biblischer Grundlage und mit Thomas von Aquin betont er, dass der Mensch zum Beten der Hilfe des Heiligen Geistes bedürfe; das Vaterunser wird als Gebetsanleitung für den im Geiste Christi Betenden vorgestellt. Sinnvoll ist es, dass die Gebetsvollzüge (Klage, Bitte und Dank, aber auch Schweigen), nicht nur benannt werden, sondern einen biblischen Bezug erhalten und teils durch erfahrungsgesättigte Beispiele belegt werden. Dies ist nötig, um aufzuzeigen, wie die Theologie in der Tat in der Gebetserfahrung ihren »verleiblichten« Bezug erhalten kann. S. möchte das Gebet als locus theologicus verstehen und regt dazu an, die theologische Rede mit der Lebenspraxis des Theologen in Übereinstimmung zu bringen; die dogmatische Re­flexion soll in der Praxis der Christus-Nachfolge wie auch in Gebet und Meditation verankert sein. Das christliche Leben selbst soll zum Gebet und einer »unablässigen Liturgie« (274) werden.
Auch für Nicht-Kenner der angeführten Theologen und Philosophen ist das Buch dank der Kommentierung der jeweiligen Ge­dankengänge gut verständlich; der häufige Bezug auf die Liturgie setzt gewisse Vorkenntnisse dieses Gebetsvollzugs voraus. Zahlreiche Fußnotenverweise helfen aus, um weiterführenden Literaturhinweisen nachgehen zu können. Ein belustigender Rechtschreibfehler ist auf S. 237 zu finden, wo von Jahwe die Rede ist, der Mose angehalten habe, »seine Skandalen auszuziehen«.