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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

795–796

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Falcke, Heino

Titel/Untertitel:

Einmischungen. Aufsätze, Reden und Vorträge aus 40 Jahren. Hrsg. v. V. Albrecht-Birkner u. H.-G. Stobbe.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 346 S. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-374-03739-1.

Rezensent:

Volker Gummelt

Im Jahre 1986 erschien in (West-)Berlin ein in beiden Teilen Deutschlands viel beachtetes Buch mit dem Titel »Mit Gott Schritt halten. Reden und Aufsätze eines Theologen in der DDR aus zwanzig Jahren«. Dieses Buch fasste wichtige Wortmeldungen von Heino Falcke, einem der damals prominentesten und zugleich auch profiliertesten ostdeutschen Theologen, zusammen und zählt heute fraglos mit zu den wertvollsten Zeugnissen theologischer Arbeit aus den letzten beiden Jahrzehnten der DDR.
Anlass für diesen neuen Sammelband war F.s Ehrenpromotion zum Dr. phil. im November 2012 an der Universität Siegen, die von den beiden Herausgebern des Buches initiiert wurde. Einleitend sind die dazu vorgetragenen Laudationes mit ergänzenden Anmerkungen wiedergegeben.
Die evangelische Kirchenhistorikerin Veronika Albrecht-Birk­ner, die selbst in der DDR aufwuchs, würdigt anhand von F.s Lebensweg das theologische und kirchenpolitische Wirken des langjährigen Erfurter Propstes in den Jahren der DDR, zur sogenannten Wendezeit sowie nach der deutschen Wiedervereinigung. Unter der Überschrift »An das Wort Gottes gebunden den Menschen verbunden« führt der römisch-katholische Systematiker und Friedensforscher Heinz-Günther Stobbe zusammenfassend in die Grundthemen von F.s theologischem Denken und in wichtige Handlungsfelder seiner Tätigkeit ein.
Die Auswahl der nachfolgend abgedruckten 22 Aufsätze, Reden und Vorträge ist von F. selbst vorgenommen worden. Die Wiedergabe untergliedert sich in fünf Abschnitte, denen jeweils eine kurze, von F. verfasste Einführung vorangestellt wurde.
In der ersten Abteilung »Der umstrittene Weg der evangelischen Kirche in der sozialistischen DDR« ist u. a. das berühmte und seinerzeit sehr umstrittene Hauptreferat »Christus befreit – darum Kirche für andere« wiedergegeben, das F. im Jahre 1972 auf der Synode des DDR-Kirchenbundes in Dresden gehalten hat. In diesem prägte er die später oftmals zitierte Wendung von »der engagierten Hoffnung eines verbesserlichen Sozialismus«. Höchst interessant liest sich F.s »Bericht eines Beteiligten« aus dem Jahr 2007 über die Vorbereitungen dieser Synode sowie deren Ablauf und die Erläuterungen zu seinem dort vorgetragenen Referat. Große Sachkenntnis zeigen die beiden Aufsätze von 2013 bzw. 2012 zur Rezeption der Theologischen Erklärung von Barmen und zur Bedeutung der Theologie Dietrich Bonhoeffers in den evangelischen Landeskirchen der ehemaligen DDR.
Wie schon in der ersten Abteilung verbinden auch im zweiten Abschnitt »Kirche des Schalom werden« die Beiträge, welche das Friedenszeugnis der Kirchen in den Zeiten des sogenannten Kalten Krieges thematisieren, eine zeitgenössische mit einer retrospektiven Wahrnehmung. So findet sich hier etwa neben F.s Vortrag »Die Feinde lieben«, den er 1985 auf dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf hielt, sein Aufsatz aus dem Jahre 1998, worin die Bedeutung und das Verständnis der Ökumenischen Versammlung der Kirchen in der DDR für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung von 1988/89 darlegt wird. Bei diesem nicht allein für die Kirchen wichtigen Prozess zu Ende der DDR-Zeit kann F. als ein entscheidender Programmatiker angesehen werden.
Im dritten Teil sind verschiedene »Wortmeldungen im politischen Umbruch« zusammengefasst. Die authentischen Zeugnisse von Oktober 1989 bis Januar 1991 dokumentieren, vor welchen tiefgreifenden Entscheidungen die evangelischen Kirchenleitungen im Osten Deutschlands angesichts der rasanten politischen Entwicklung in diesem Zeitraum standen.
Mit den Worten »Markierungen für den Weg im vereinten Deutschland« ist die vierte Abteilung überschrieben, in der Vorträge und Reden aus den Jahren von 1991 bis 2012 publiziert sind. Diese belegen, dass F. auch bis in die jüngste Vergangenheit hinein seiner sich gestellten Aufgabe als scharfer Analytiker der Situation von Kirche und Gesellschaft nachkommt und seine »Einmischungen« innerhalb und außerhalb des kirchlichen Raumes weiterhin Gehör finden.
Der Schlussabschnitt beinhaltet zwei Vorträge zu Gestalten der Theologiegeschichte, die laut F. als entscheidende »Vordenker auf dem Weg der (christlichen) Freiheit« anzusehen sind. So wird das im Jahre 2006 auf dem Bonhoeffer-Symposium der Theologischen Fakultät zu Jena gehaltene Referat mit dem provokanten Titel »›Mein‹ Bonhoeffer« wiedergegeben. In diesem berichtet F. sehr persönlich über den Einfluss, den Bonhoeffers Denken und Handeln auf sein eigenes Denken und Handeln gehabt hat. Zudem ist der Vortrag zu verschiedenen Freiheitstexten des jungen Luthers abgedruckt, den F. zu seiner Siegener Ehrenpromotion gehalten hat. Damit schließt sich der Rahmen, anlässlich dessen dieser Sammelband entstand.
Eine beigefügte ansehnliche Bibliographie – leider nur in Auswahl – führt eindrucksvoll die Vielfalt der theologischen Arbeit von F. in fünf Jahrzehnten vor Augen. Sie macht aber zugleich deutlich, dass F., der nach seiner Habilitation 1961 bewusst auf ein akademisches Lehramt verzichtete und sich für die kirchliche Tätigkeit entschied, zur Zeit der DDR im Gegensatz zu manch anderen ostdeutschen Theologen eine ganze Reihe von Publikationsmöglichkeiten im anderen Teil Deutschlands zur Verfügung standen. Bedauer-licherweise ist das abschließende Personenregister unvollständig und einige der Seitenangaben sind nicht korrekt angegeben, so dass dieses Register nur bedingt genutzt werden kann.
Jedoch tut dies dem unstrittigen Verdienst der Herausgeber keinen Abbruch, mit diesem Sammelband einige heute schwer zu­gängliche und zu einem großen Teil bisher nicht publizierte Beiträge F.s veröffentlicht zu haben. Vor allem aber liegt damit ein Buch vor, das gewiss für das Verständnis von Theologie und Kirche zur Zeit der deutschen Teilung einen hervorragenden Beitrag leis­ten wird.