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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

747–749

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Eckhardt, Benedikt

Titel/Untertitel:

Ethnos und Herrschaft. Politische Figurationen judäischer Identität von Antiochos III. bis Herodes I.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2013. IX, 458 S. = Studia Judaica, 72. Geb. EUR 149,95. ISBN 978-3-11-030895-2.

Rezensent:

Michael Tilly

In seiner von Linda-Marie Günther betreuten, im Sommersemester 2011 von der Fakultät für Geschichtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum angenommenen und für die Drucklegung überarbeiteten Dissertationsschrift untersucht Benedikt Eckhardt die unterschiedliche Ausübung, Legitimation und Rezeption von – wiederholt wechselnden – Herrschaftsformen im antiken Judäa. Er fragt dabei sowohl nach ihrer jeweiligen Begründung durch bestimmte Eigenschaften des judäischen Ethnos als auch nach ihrem erkennbaren Einfluss auf die variierenden Konstruktionen seiner Identität.
Ein einleitender erster Hauptteil der althistorischen Untersuchung (1–25) präzisiert das ihr zugrunde liegende flexible Ethnoskonzept, skizziert seine unterschiedlichen Deutungen in der jüngeren und aktuellen Forschung, bietet einen knappen Überblick über die herangezogenen literarischen Quellen und erläutert den Aufbau der Arbeit. Der zweite Hauptteil des Buches (27–151) thematisiert zunächst den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Formen antiker Herrschaftsrepräsentation und der mit diesen Formen jeweils einhergehenden Ethnos-Figuration. Grundsätzlich sei der Terminus »Ethnos« für die Seleukiden weder ein allgemeingültiger noch ein kontextunabhängiger Begriff gewesen (38). Während sein ältester Beleg in den untersuchten Quellenschriften allein im Kontext der Ausübung und Legitimation seleukidischer Herrschaftsrechte begegne und dabei die prinzipielle Loyalität der unterworfenen Judäer voraussetze, habe ihre vermeintliche Treulosigkeit unter Antiochos IV. eine neue (außenperspektivische) Ethnos-Figuration provoziert, welche nun ihrerseits auch die Wahrnehmung spezifisch judäischer Gebräuche, Ritualgesetze und Kultformen durch die Syrer impliziere: »Judäische ›Identität‹ wird selektiv beobachtet und an die Erfordernisse von Herrschaftsrepräsentation angepasst.« (60)
Als wesentliche Kennzeichen der »unabhängigen« Hasmonäerherrschaft ließen sich sodann sowohl die Umdeutung traditioneller bzw. die Einführung neuer dynastischer Feste als auch die (binnenperspektivische) Wahrnehmung der Geschichte und die erhöhte Relevanz von Ritualen für die Zugehörigkeit zum judäischen Ethnos erkennen. Der deutlichen Abgrenzung von zeitgenössischen seleukidischen Konfigurationen dienten die Akzentuierung der kultischen und politischen Einheit (und Eindeutigkeit) und das besondere Souveränitätskonzept des jüdischen Herrscherhauses, die offizielle Verwendung der hebräischen Sprache als mediale Repräsentation seiner Selbstwahrnehmung, sowie die auffällige Vermeidung des heiklen Begriffs der »Freiheit«. Als Innovation sei die Wahrnehmung einer Zuständigkeit der hasmonäischen Dy-nastie auch für die judäische Diaspora (speziell im ptolemäischen Ägypten) zu betrachten. Indes habe dieser generelle »Prozess der Normierung judäischer Identität« (126) seinerseits eine interne Diversifikation provoziert, welche in die Entstehung kultureller und religiöser Sondergruppen mündete. Hinsichtlich der Herrschaftsrepräsentation des Herodes d. Gr. lasse sich zwar festhalten, dass sie sich vor allem auf den bewussten Anschluss Judäas an das Imperium Romanum orientierte. Zugleich sei aber auch zu beachten, dass die verfügbaren Quellen (insbesondere das um »Entschärfung« traditioneller jüdischer Freiheitsrhetorik bemühte Werk des Flavius Josephus) einen elitären Blickwinkel repräsentieren und spätere Deutungen in ihre retrospektive Darstellung der Vorgänge und Verhältnisse einzeichneten (148).
Der dritte Hauptteil (153–258) nimmt die politischen Ordnungskonzepte Judäas in den Blick und spannt dabei den Bogen von der nachexilischen Zeit bis zum herodianischen Königtum. E. merkt an, dass die Personalunion von Hohenpriestertum und höchster politischer und militärischer Autorität, mittels derer die Syrer eigentlich beabsichtigt hatten, die Jerusalemer Eliten in die bestehende seleukidische Verwaltungshierarchie einzugliedern und deren – zunächst als loyal betrachteter – Administration Judäas interne Autorität zu verleihen, auch nach der Befreiung des Landes von der fremden Oberherrschaft beibehalten worden sei und nunmehr der eigenen Machtkonsolidierung der unter Simon und Hyrkanos I. entstehenden hasmonäischen Dynastie gedient habe (184). Die Wiedereinführung des Königstitels durch Aristobulos I. sei vor diesem Hintergrund »nur eine konsequente Weiterentwicklung bereits bestehender Strukturen« (197). Die verbreitete Annahme, gerade die hasmonäische Verbindung von politischer und re- ligiöser Autorität habe eine antimonarchische Gegenbewegung in­nerhalb der judäischen Bevölkerung ausgelöst, verneint E. unter Hinweis entweder auf die mehrheitlich nachhasmonäische Herkunft (228) oder auf die nicht polemisch, sondern paränetisch motivierte, »deuteronomistische« Intention (231) der hierbei üblicherweise herangezogenen Textbelege (1QSa; PsSal). Das der Herrschaft der Hasmonäer folgende Klientelkönigtum des Herodes d. Gr. habe keine Fortführung ihrer priesterköniglichen Ideologie erlaubt und bilde zugleich die Kulisse ihrer retrospektiven Neubewertung nach dem Maßstab des idealen Königtums Davids (254).
Im abschließenden vierten Hauptteil (259–343) geht es um das Problem der Zugehörigkeit zum judäischen Ethnos während der Hasmonäerzeit. E. unterstreicht zunächst, dass das seinerzeit etablierte Hauptkriterium der judäischen Herrschaftslegitimation, nämlich die Genealogie, von den Hasmonäern (bzw. ihren Parteigängern) durch das Kriterium des konkreten Erfolgs ihres militä-rischen und politischen »Eifers« ersetzt wurde (305). Er betont so­dann die von den Hasmonäern betriebene Verdrängung der genealogischen Herkunft als maßgebliches definitorisches Merkmal der Ethnizität durch das favorisierte Integrationsritual der Beschneidung, »das aus Nichtjudäern Judäer machte« (339). Eine konzise Zusammenfassung der Einzelergebnisse und einen Ausblick bietet der Schlussteil (345–350). Drei Anhänge enthalten eine kritische Auseinandersetzung mit Nadav Sharons »nichtterritorialer« Deu tung von Josephus, Ant. XIV 195 (351–356), Erwägungen zum angeblichen »zadokidischen« Charakter einiger Qumrantexte (357–367) sowie eine kurze, aber instruktive Zusammenschau der Verwendung der Begriffe ἔθνος, λαός und δῆμος im 1. und 2. Makkabäerbuch (369–372). Ausführliche Register verzeichnen herangezogene Quellen und Sekundärliteratur (373–422), moderne Autoren (423–430), Namen, Sachen (431–437) und Stellen (438–458).
Die ebenso gründliche wie materialreiche Untersuchung, die in gelungener Weise philologische, althistorische, judaistische und bibelexegetische Methoden und Kompetenzen miteinander verknüpft, stellt einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der makkabäischen Erhebung und der ihr folgenden Hasmonäerherrschaft dar. Insbesondere die durchgehende Einbettung der untersuchten literarischen Texte in ihre historischen Kontexte und die kritische Berücksichtigung sowohl der partiellen Fiktionalität als auch des intentionalen Charakters ihrer Erzählinhalte führen – unbeschadet einiger inhaltlicher Redundanzen – zu beachtenswerten historischen Analysen und diskussionswürdigen Interpretationen, die weit über eine Darstellung der variablen Formen und Funktionen des Ethnosbegriffs im antiken Judentum hinausgehen.