Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

713-714

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Metropolit Serafim, Schoenauer, Hermann, u. Jürgen Henkel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Was ist der Mensch?« »Ce este omul?«. Theologische Anthropologie – ein lutherisch-orthodoxer Dialog. Antropologia teologica – un dialog ortodox-luteran.

Verlag:

Sibiu u. a.: Schiller Verlag 2013. 203 S. m. 13 Abb. = Deutsch-Rumänische Theologische Bibliothek, 5. Geb. EUR 15,00. ISBN 978-3-944529-23-3.

Rezensent:

Michael Weinrich

Das zweisprachige Buch dokumentiert auf Deutsch und Rumänisch die Dritte Theologische Konsultation zwischen der Diakonie Neuendettelsau und Vertretern der Rumänischen Orthodoxen Kirche, die vom 16. bis zum 19. Mai 2013 in Neuendettelsau unter dem Thema »Das Verständnis des Menschen als Ebenbild Gottes – Grundlage des ökumenischen Dialoges« abgehalten wurde. Ebenso wie die beiden vorausgehenden Konsultationen (2008 u. 2011) stand auch diese Konsultation im Kontext der nach der Wende von 1989 entwickelten und inzwischen ausgebauten und gefestigten Beziehungen zwischen den beiden Partnern, die erfolgreich auf eine Verbesserung der diakonischen Infrastruktur in Rumänien ausgerichtet ist.
Religionskulturell präsentiert sich der Band in deutlich orthodoxer Prägung mit den aus berufenen Mündern verlauteten Grußworten und reichlicher farbiger Bilddokumentation der geistlichen Repräsentanten und Referenten der Konsultation. Solche Konsultationen haben offenkundig auch eine Art protokollarische Bedeutung, die eben bereits mit der Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beginnt. Der Beitrag, in dem dankenswerterweise von Lucian Boloş die Geschichte der ökumenischen Be­­ziehung zwischen der Neuendettelsauer Diakonie mit der Rumänisch Orthodoxen Kirche in Erinnerung gerufen wird, scheint den Rektor der Diakonie Neuendettelsau Hermann Schoenauer gleichsam als ein Gegenüber zu einem orthodoxen Metropoliten zu stilisieren. Das akademische Gewicht dieses Bandes besteht aus sieben Vorträgen, die sich mit der theologischen Anthropologie, ihrer innerkirchlichen Reichweite und ihren ethischen Implikationen beschäftigen.
Der ökumenische Elan dieses Buches beruft sich vor allem auf den Umstand, dass die Anthropologie nicht zu den klassischen Kontroversthemen wie das Amtsverständnis oder die Ekklesiologie zählt, so dass ein besonders ergiebiger Dialog erwartet werden könne (46 f.; vgl. auch 154). Tatsächlich aber zeigt sich bei nüchterner Betrachtung, dass auch bei diesem Thema die gegenseitige Präsentation der jeweils sehr unterschiedlichen Zugänge und Explora-tionspotentiale im Vordergrund steht. Ökumene wird überaus zurückhaltend als gegenseitige Offenheit definiert (73). Die vorgetragenen anthropologischen Perspektiven widersprechen sich teilweise bis hinein in ihre Fundamentalaspekte. Bisweilen handelt es sich dabei jedoch nur um die zwei Seiten derselben Medaille. So wird die Gottebenbildlichkeit von lutherischer Seite eingezeichnet in die strickt zu wahrende Achtsamkeit hinsichtlich des fundamentalen Unterschieds zwischen Schöpfer und Geschöpf, während die orthodoxe Tradition den Akzent auf die besondere Verwandtschaft des Menschen zu Gott setzt, wobei von beiden die jeweils andere Seite durchaus auch gesehen wird.
Die ungebrochen emphatische Proklamation des freien Willens oder auch des dem Menschen einwohnenden Gewissens wirken in der ambivalenzempfindlichen Wahrnehmung einer dialektikgewohnten protestantischen Theologie beinahe etwas pathetisch. Dabei sind die einzelnen Beiträge in sich stimmig und durchaus pointenreich, aber sie bleiben alle gleichsam im Vorfeld dessen, was man tatsächlich einen Dialog nennen könnte. Da scheint dann schon eher der konservative Standpunkt ein verbindender Treffpunkt zu sein, dass es unter Berufung auf ein religiöses Apriori vor allem der Säkularisierungsflut entschlossen entgegenzutreten gelte, wie es in Deutschland insbesondere von Wolfhart Pannenberg annonciert wurde (122–124).
Allerdings findet sich immer wieder eine erfreulich entschlossene Bemühung um die biblischen Entdeckungshorizonte der jeweiligen theologischen Prämissen. Dabei kommen nicht nur die teilweise voneinander abweichenden biblischen Referenzen zum Vorschein, sondern vor allem auch der unterschiedliche Zugang zu und Umgang mit den jeweiligen biblischen Aussagen. Während der protestantische Zugang über die Geschichte Gottes mit dem Menschen erfolgt, steht für die orthodoxe Theologie eine ontologisch-doxologische Orientierung im Vordergrund. Da hätte sich ein interessanter Horizont für eine Anbahnung eines tatsächlichen Dialogs angeboten, indem die unterschiedlichen hermeneutischen Prämissen einmal zum Thema gemacht worden wären. Dazu kommt es aber nicht, ebenso wenig wie in anderen Dialogen mit den orthodoxen Kirchen. Das notorische Ausklammern von hermeneutischen und methodologischen Fragen steht auch hier der Fruchtbarkeit des Dialogs im Wege, so dass die Ergebnisse im Sinne von weiterführenden gemeinsamen theologischen Einsichten recht bescheiden bleiben. Die Bescheidenheit des Ergebnisses der Konsultation steht aber keineswegs auch gleich für ihre Bedeutung. Die Ausrichtung einer anspruchsvollen theologischen Be­gegnung wie dieser markiert bereits ein ekklesiologisches und öku menisches Signal, zumal sie in dem praktischen Kontext einer gelebten diakonischen Partnerschaft vollzogen wird.
Die Vorträge von Gunther Wenz mit einer interessanten, aber von der Konsultation nicht aufgegriffenen ökumenischen Offerte (90) und Hans G. Ulrich bieten auch für protestantische Leserinnen und Leser zahlreiche Pointierungen und Anregungen, die über eine Präsentation des Traditionsbestandes anregend hinausgehen. Die orthodoxen Beiträge sind für die protestantische Wahrnehmung eine Begegnung mit einer vor allem durch die Impulse von Du-mitru Staniloae beflügelten orthodoxen Tradition, wie sie für die rumänisch orthodoxe Theologie weithin prägend geworden ist. Gemessen an der globalen Situation, in der sich die deutlich schwieriger gewordenen Dialoge mit der Orthodoxie aktuell befinden, sind der hier dokumentierte Begegnung ein ökumenischer Geist und Perspektive zu bescheinigen, von denen zu hoffen bleibt, dass sie weiter auch gepflegt werden.