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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

702-704

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kirsner, Inge

Titel/Untertitel:

Kirchenbilder und Menschenbildung. Religionspädagogische Studien im Spannungsfeld von Medien, Bildung und Religion.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 287 S. = Studien zur Religiösen Bildung, 3. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03315-7.

Rezensent:

Thomas Klie

Das von Inge Kirsner in ihrer Paderborner Habilitationsschrift entworfene Programm einer religionspädagogischen Kirchentheorie ist didaktisch ebenso anspruchsvoll wie hermeneutisch riskant. Religion am Ort der Schule in Gestalt von Kirche vermitteln zu wollen, stößt bei Schülern wie Lehrern gleichermaßen auf wenig Gegenliebe. »Sinn und Geschmack für das Leben« will dem spätmodernen Subjekt eben eher emotional und ethisch einleuchten, weniger institutionell und organisatorisch. Religiöses Fragen und Fühlen findet didaktisch kaum Widerhall an kirchlichen Sozialformen. Dieser späte Sieg des Pietismus macht die Religion in den Köpfen und Herzen von Lernenden zu einer merkwürdig gestaltlosen Satzwirklichkeit. Diese typisch protestantische Institutionenallergie ist natürlich historisch hausgemacht. Hier den Kinofilm als »Bildungsinstrument« stark zu machen, ist darum methodisch sicher ein probates Mittel. Aber wie lässt sich eine Kirche des Wortes cineastisch sehen? In welchem Verhältnis stehen Auge und Ohr bei der Kommunikation des Evangeliums? Hier vor allem aber auch: bei der Theorie dieser Evangeliumskommunikation? Welches kybernetische Recht kann die Sicht auf Kirche gegenüber dem Hören des Wortes beanspruchen? – Um diese Fragen reflexiv einzuholen, sind mit Kirchentheorie, Medienkritik und Religionspädagogik bzw. kategorial: »Medien, Bildung und Religion« (6) gleich drei gewichtige Theoriefamilien im Spiel, die systematisch in einen deutenden »Vorgang« verknüpft werden wollen. Hierbei kommt der Ästhetik des zeitgenössischen Spielfilms – und das ist die fragile Pointe dieser Monographie – die Funktion eines kulturhermeneutischen Entdeckungszusammenhangs zu. Es geht um Kirchenbilder, darum, wie Kirche gezeigt wird, im wahrsten Sinne des Wortes um die populäre ecclesia visibilis.
K. schlägt mit dem Anfang des Johannesevangeliums eine erste hermeneutische Brücke: Die Geschichte des Sehens des Wortes erzählt die »Geschichte des ersten Gemeindeaufbaus« (18). In dieser Lesart – und hier trifft K. eine weitere voraussetzungsvolle Vorentscheidung – werden cineastische Artefakte im direkten Sinne des Wortes zu einem Vorschein des Reiches Gottes auf Erden: Im Film zeigt sich Kirche. »Das Lichtspiel, wie es im Johannesprolog geschildert wird, findet sich in profanisierter Form wieder in den Lichtspielen der Menschen, in ihren zahlreichen medialen und wissenschaftlichen Versuchen, diese Schöpfung zu wiederholen, nachzubessern, neu zusammenzusetzen oder gar zu übertreffen.« (15 f.)
K. gliedert ihren spannungsreichen Gedankengang in drei große Kapitel. Zunächst werden unter der (viel zu) weiten Überschrift »Kirchenbilder und Menschenbilder« (29–140) einzelne Facetten einer »religionspädagogischen Kirchentheorie« umrissen. Kurze Filmzitate bilden dabei das argumentative Grundgerüst des kirchentheoretischen Kaleidoskops, das einzelne Motive aus aktuellen Diskursen essayistisch reiht. Der Bogen reicht von einer knappen cineastisch-fundamentalkybernetischen Skizze (»Praktische Theologie im Spiegel des Films«) über die »Gestaltwerdung von Religion«, »Biblische Bilder« hin zu eher normativ ausgelegten Sequenzen über das »Gemeinschaftswerk Kirche« und zur religionspädagogischen »Medienkompetenz«. Auf den ersten Blick irritiert das permanente Changieren zwischen deskriptiven und normativen Passagen, metaphorischer und denotativer Rede, Theorie und Praxis, Deutungen und Deutungsdeutungen, Entdeckungs- und Begründungszusammenhängen. Wer auf strikte epistemische Differenzen setzt, wer die sensiblen Übergänge von beschreibenden und maßgeblichen Sätzen für praktisch-theologisch essentiell erachtet, wird hier auf ganzer Linie methodisch enttäuscht. Wer sich jedoch anregen lassen will, die eingetretenen Pfade kirchentheoretischer Üblichkeiten in Richtung eines kulturhermeneutisch »schrägen Blicks« (Waldenfels wäre als wichtiger Gesprächspartner aufzurufen) zu verlassen, der wird auf unerwartete Perspektivenwechsel stoßen.
Im zweiten großen Abschnitt (141–222) geht es unter der Überschrift »Kirchenbilder – Konkretionen« um Räume (»heilige und weltliche Räume« sowie Stadträume) und um Pfarrerbilder im öffentlichem Raum. Eine diese durchaus disparaten Phänomenbereiche grundierende Raumtheorie vermisst der Leser. Dafür wird er entlang von Zitaten, Spots und Plots durch die Erzählwelten populärer Mythen geführt; dabei ergeben sich immer auch wieder in-teressante Schnittstellen zu relevanten Theorieentwürfen. Von »Gotham City« (2008) und »City of God« (2003) zum spätmodernen urbanen Christentum, von der 4. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu »Vorsicht – keine Engel« (2002) bzw. »Emil und die Detektive« (2001), von den skandinavischen Pfarrerfilmen zur gegenwärtigen Pastoraltheologie.
Im dritten Kapitel »Menschenbildung – Konkretionen« (223–268) werden so unterschiedliche Thematisierungen wie »das Böse im Film«, »zwischen Supermann, Gottesknecht und Menschensohn« und »Religion« (in Kinder- und Jugendfilmen) gereiht. Selektionskriterien für diese drei Figurationen werden nicht diskutiert, in kybernetischer Perspektive wären auch noch andere Theoriezugriffe denkbar. Trotzdem: Es ist ein reizvoller Gedanke, das Nachdenken über Gemeinde-Bildung einzuleiten mit einer Sequenz über »das Böse«, dem »Lieblingsthema des Films« (224). Leider wird hier diese kritische Linie nur angedeutet und nicht konsequent durchdekliniert. Damit ist auch bereits das Kardinalgravamen be­nannt: Der Leser hat über weite Strecken das Gefühl, als würde das opulente Florilegium populärer Filme nur herangezogen, um das zu folgern, was man auch gut ohne sie hätte sagen können. Die Implementierung performativer Ansätze in Religionspädagogik, Homiletik und Liturgik ist auf eine filmtheoretische Relektüre schlicht nicht (mehr) angewiesen. Da, wo sie wirklich innovativ hätte greifen können, in einem zeitgemäßen performativen Ge­meindeentwicklungskonzept, da verlieren sich die Thesen in me-taphorischen Andeutungen. Hier hätte K. ihrem eigenen Ansatz ruhig mehr zutrauen können.
Und so mündet der knappe »Rück- und Ausblick« (269–271) in der doch sehr allgemeinen These: »Indem die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler [im Schulgottesdienst] einbezogen und so gefordert werden, werden diese zu religiösen Subjekten, die wie die Mitglieder einer Kirchengemeinde ihren Zugang zum Glauben praktizieren und reflektieren (oder überhaupt erst einen solchen gewinnen). Das performative gottesdienstliche Geschehen lässt Gestalt werden, wovon sonst nur die Rede ist.« (271)
Der Duktus des Buches ist über weite Strecken deskriptiv: Theorie wird beschrieben und Filmsequenzen werden fast ausschließlich zitativ herangezogen. Der gedankliche Progress kommt insofern weniger im Aufbau eines starken, kategorial geordneten Theoriegebäudes zum Ausdruck als vielmehr auf der syntaktischen Ebene, gleichsam narrativ. Wer filmische Großerzählungen so stark ins Zentrum theologischen Nachdenkens rückt, der entgeht selbst dort nur schwer einer narrativen Entfaltungslogik, wo Differenzierungen gefordert wären.