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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

694-695

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rothen, Paul Bernhard

Titel/Untertitel:

Auf Sand gebaut. Warum die evangelischen Kirchen zerfallen. 2. Aufl.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2015. 96 S. = Glauben und Leben, 66. Kart. EUR 10,90. ISBN 978-3-643-80188-3.

Rezensent:

Frank Weyen

Rundumschläge sollten gründlich sein. Zu einem solchen holt der Schweizer Theologe und reformierte Pfarrer Paul Bernhard Rothen in seinem Büchlein »Auf Sand gebaut. Warum die evangelischen Kirchen zerfallen. Wien, Zürich, Berlin, Münster (2014): LIT (Glauben und leben, Bd. 66)« aus, und trifft. Vielleicht nicht ins Schwarze, aber die reformierte und evangelische Kirche ins Mark und »ans« Bein. Schon der Buchtitel offenbart die scharfsinnige Analyse, die innerhalb des Buches mit dem Rekurs auf die Bergpredigt begründen wird.
»Offenbar will Jesus seinen Jüngern von Anfang an gesagt haben, dass sie es sich nicht zu einfach machen dürfen. Das Werk, in das er sie schickt, ist von mächtigen Fluten und Sturmwinden gefährdet. Sie müssen große Anstrengungen auf sich nehmen, um es so zu verankern, dass es Stand hält, auch wenn die Entwicklungen der Zeit das Fundament untergraben. Sonst verhalten sie sich leichtgläubig und dumm.« (26)
Als Folge dessen würden die Kirchenverantwortlichen um sich selbst kreisen, um ihre eigenen Probleme und ihren Glaubensverlust (1). Diese müssen daher, ganz im Duktus des Büchleins, offen aussprechen, was offen ausgesprochen werden müsse: Ebenso, wie es R. vormache. Scharfsinnig analysiert R., was vielen in der Kirche noch nicht klar zu sein scheint: Die Kirche ist eingebunden in gesamtgesellschaftliche Prozesse, die extra muros ecclesiae spielen, aber intra muros einen Veränderungsdruck hervorrufen (10).
Dann aber holt der promovierte Gemeindepfarrer aus Hinwil zu seinen erwarteten Rundumbetrachtungen aus. Die reformierte Kirche, die katholische Kirche, Schleiermacher, der sich grundlegend geirrt habe (!), Karl Barth, der immer schon Recht hatte (!), Pfarrpersonen, die mehr von Pipi Langstrumpf in der Predigt zu erzählen haben als die Bibel zu predigen, was dazu führe, dass die Kirchen orientierungslos und »zur Plattform für einen persönlichen Geltungsdrang« werden, mit widersprüchlichen Überzeugungen (15.17.18): All diese Phänomene seien der Kern des Übels. Aber auch die Politik (35–38), die Kirchenleitungen (38–39), die sich in Allgemeinplätze verlieren (32.33), der Pluralismus (42), die Theologischen Fakultäten (32), aber auch das Schweizer Volk und seine eidgenössischen Traditionen (45) tragen Mitverantwortung für die Misere, in der sich die Reformierte Kirche in der Schweiz befinde. Letztlich sieht R. aber den Grund für ihr Zerfallen in der Bibelvergessenheit sowie in der Auflösung des reformatorischen Schriftprinzips (24). So skizziert er vier vergebliche Rettungsversuche: Diese liegen allerdings auf der Beziehungsebene sozialen Verhaltens und weniger in einer genuin theologischen Positionierung, im kirchlichen Selbstruhm mit Hilfe einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit, im Ausbau eines kirchlich-administrativen Apparates oder in kirchenpolitischen Reformen begründet (45–53). Letztlich kennzeichnet R. als Konsequenz das Wachstum evangelikaler Ge­meinden in der Schweiz. Daraus leitet er nun strukturell die Verkleinerung von Kirchengemeinden ab, wie dies nach dem Vorbild evangelikaler Gemeinden auch für die Reformierte Kirche gelten solle (60.61). Auch die reformierten Kirchgemeinden sollen künftig ihre Gemeindeglieder aus der Region neigungsorientiert und damit transparochial aktivieren.
R.s Rundumschlag ist amüsant zu lesen. Seine Analysen hätten jedoch so manche kirchentheoretische und ekklesiologische Vertiefung vertragen können. So wäre sein Urteil an mancher Stelle vielleicht milder ausgefallen. Aber gerade diese Mischung aus berechtigter Kritik an dem, was dem geübten »Jägersmann« vor Kimme und Korn kommt, tiefergehender Analyse und teils polemischer Polarisierung macht den Reiz des Büchleins aus. Den Freunden einer deutlichen Sprache dürfte es nicht nur im süddeutschen Raume Freude bereiten, weniger jedoch den oberdeutschen »Eidesgenossen« R.s. Und so bleibt der Schluss: Ja, man kann sich an der Kirche ärgern. Aber sie ist, was sie ist, weil sie zeitlich ist, nicht ewig.