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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

618-620

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heilmann, Jan

Titel/Untertitel:

Wein und Blut. Das Ende der Eucharistie im Johannesevangelium und dessen Konsequenzen.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2014. XII, 398 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament. Elfte Folge, 204. Kart. EUR 54,99. ISBN 978-3-17-025181-6.

Rezensent:

Klaus Scholtissek

Die an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Bochum im Som­mersemester 2013 angenommene Dissertation von Jan Heilmann lenkt insbesondere mit dem Untertitel die Aufmerksamkeit auf sich. Die dort formulierte Hauptthese H.s wird auf anspruchsvollem Niveau und in beeindruckender Konsequenz vorgetragen.
Bevor sich H. der johanneischen Verwendung von »Wein« und »Blut« zuwendet, ordnet er seine Studie in die aktuelle Johannesforschung sowie die neuere ritual- und sozialgeschichtliche Forschung zu den frühchristlichen Mählern ein. In der Johannesforschung gibt es seit der These von R. Bultmann (»In Wahrheit sind für ihn [scil. den Evangelisten] die Sakramente überflüssig«; Zitat übernommen von H., 2) eine kontroverse Debatte, die H. im Sinne R. Bultmanns, aber mit neuen Argumenten beantworten möchte. Dazu rekurriert H. auf die im deutschsprachigen Raum insbesondere von M. Klinghardt (Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft, Tübingen 1996) vorgetragene These, »dass die rituellen Formen und die Gestalt frühchristlicher Gemeinschaftsmähler sich mit einem idealtypisch rekonstruierbaren Modell des antiken Gemeinschaftsmahles deckten« (13). Damit werden andere auf die frühchristlichen Gemeinden bezogene Referenzen neutestamentlicher (Abend-)Mahlperikopen ausdrücklich ausgeschlossen. Dazu gehören für H.: »ein Paradigma paganen Einflusses«, »Analogien zu vermeintlich singulären Mahltypen des antiken Judentums« sowie »eine Symbolhandlung des historischen Jesus« (ebd.). Allein das hellenistische Gemeinschaftsmahl komme als außertextlicher Bezugspunkt in Betracht. Die sogenannten neutestamentlichen Einsetzungsworte und Einsetzungsberichte seien als »ein Textphänomen anzusehen«; sie seien keine Kultätiologien; sie spiegelten demzufolge keinen liturgischen Gebrauch im frühen Christentum, ein solcher sei erst mit der Traditio Apostolica im 3. Jh. n. Chr. zu verifizieren (vgl. auch seinen Exkurs zu den Ignatianen sowie zu weiteren altkirchlichen Zeugnissen in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s; 209–231). Das Attribut ›sakramental‹ oder ›eucharistisch‹ für die neutestamentlichen Zeugnisse verbiete sich daher. Die »neuere Mahlforschung« verstehe die Annahme, die neutestamentlichen »Einsetzungberichte« spiegelten eine frühchristliche liturgische Praxis, als »anachronistische Projektion« (21 u. ö.).
Im Kapitel über die »semantische Fülle der Weinmotivik in der antiken Kultur« kommt H. für das Alte Testament zu der Schlussfolgerung: »Der Bund wird also weder durch ein Opfer noch durch ein Blutritual in Kraft gesetzt, vielmehr wird im geschilderten Ritual selbst Gemeinschaft (untereinander und mit Gott) inszeniert und symbolisch erfahrbar gemacht« (52). »Weinberg und Weinstock (werden) als Sinnbilder für das Verhältnis zwischen Gott und Gottesvolk und als Sinnbilder für Wohlsein und göttlichen Segen in einer eschatologischen Ausrichtung« (53) verstanden. Im hellenistischen Kulturraum sei die Weinmotivik besonders mit dem Dionysoskult verbunden: »Die wichtigste Funktion des Symposions, als dessen Hauptgott Dionysos galt, war das gemeinschaftliche Zusammenkommen bzw. die Konstituierung von Sozialität« (57). »Es ist festzuhalten, dass die Trink- und Libationspraxis mit Wein beim symposion untrennbar mit der Sozialdimension verbunden ist. Sie korrespondiert mit den zentralen Werten, die der Institution des Symposions im antiken Diskurs zugeschrieben wird, steht aber zugleich in Spannung zur sozialen Realität, in der durch die Sitzordnung und ritualisierten Formen des Zutrinkens Sozialbeziehungen sichtbar werden« (67). Im Ergebnis hält H. fest, dass sich weder für das Alte Testament noch für die Antike die oftmals angenommene semantische Nähe von Wein und Blut bestätigen lassen. »Wein als Grundnahrungsmittel (ist) eng mit der Alltagskultur der Menschen in der Antike verbunden. Von der Vielfalt seiner ihm zugeschriebenen Funktionen und seiner Polyvalenz als Zeichen ist besonders die gemeinschaftsstiftende sowie einheits- und identitätsstiftende Dimension hervorzuheben« (79).
Für die Auslegung der Vorkommen von »Wein« in den neutestamentlichen Abendmahlstexten bei den Synoptikern und bei Paulus rekurriert H. erneut maßgeblich auf M. Klinghardts These, dass ausschließlich das antike Gemeinschaftsmahl als »kulturelles Erfahrungswissen« (86) zur Deutung herangezogen werden könne. Das Paschamahl z. B. komme dafür nicht in Frage (vgl. 87). In der markinischen und matthäischen Fassung der Erzählung vom letzten Mahl werde »nicht der Wein […] als Blut Jesu gedeutet, sondern der gemeinschaftlich getrunkene Becher, also das durchaus mit Wein vollzogene Ritual wird als Bundesblut qualifiziert. […] Nicht durch das Blut bzw. den Wein, sondern durch das gesamte Ritual wird der Bund geschlossen. Sowohl der markinische als auch der matthäische Jesus stiften einen Bund, der nicht durch ein Blutritual, sondern durch ein Trinkritual als messianischer ›Weinbund‹ konstituiert wird« (89 f.). Auch die vielfach angenommenen Bezüge zum Kreuzestod Jesu (und dessen Deutung als stellvertretende, sühnende Lebenshingabe) in den Abendmahlserzählungen (sowohl bei den Becherworten als auch bei den Brotworten) missverstehen – folgt man H. – den ursprünglichen Textsinn. Das Motiv der Sündenvergebung sei ausdrücklich nichtkultisch zu verstehen und auf die durch das Trinken des Bechers konstituierte Gemeinschaft bezogen, die sich gegenseitig die Sünden vergebe (vgl. 90–94.104–106).
Auf der Basis dieser Thesen und von diesem Ansatz geprägt wendet sich H. der Einzelauslegung der folgenden johanneischen Passagen zu: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana in Joh 2,1–12 und hier insbesondere der Wein wird als »Ausweis von Jesu Messianität und der von ihm geschenkten Fülle und Freude« (122) gedeutet. Anspielungen bzw. Bezüge zum Abendmahl seien hier nicht gegeben; der Wein in Joh 2 beziehe sich nicht symbolisch auf das Blut Jesu (vgl. 121). Dazu setzt sich H. insbesondere mit der These auseinander, der Tod Jesu habe im JohEv stellvertretenden bzw. sühnenden Charakter: Diese Deutung weist er als nicht textgemäß zurück. Die Bezeichnung Jesu als »Lamm Gottes« (Joh 1,29.36) im unmittelbaren Kontext von Joh 2,1–12 ziele darauf, »die Sünde als verkehrt zu entlarven« (121). H. deutet (wie eine Reihe Ausleger vor ihm) Joh 2,1–12 auf dem Hintergrund der antiken Dionysostraditionen, mit deren Hilfe der Evangelist (im Sinne seiner »Inkulturationsstrategie«) die Inkarnation des Logos, die messianische Heilsfülle sowie die Neukonstituierung der familia dei veranschauliche (vgl. 126–143).
Es überrascht nicht, dass H. die Brotrede in Joh 6 durchgehend und ausschließlich metaphorisch auslegt und davon die vielfach in der Forschung auf das Abendmahl bzw. die Eucharistie bezogenen Verse 6,51–58 nicht ausnimmt (vgl. 144–240). Im gesamten Kapitel 6 gehe es dem Evangelisten darum, die »konzeptuelle Metapher«: »ESSEN/TRINKEN IST ANNAHME VON LEHRE« zu etablieren (nachdem diese in Joh 4 schon präfiguriert wurde). »Das Brot, das der johanneische Jesus geben wird, ist der ›Glaubensgegenstand‹ oder die Glaubenslehre, dass er sterben und weggehen muss […], dass sein Weggehen notwendig ist, damit der Geist kommt […], dass er dennoch Gottes Sohn ist, auch wenn die Welt ihn nicht erkennen und den Geist nicht empfangen kann (Joh 16,15), und dass die Jünger dem Hass der Welt ausgesetzt sind (Joh 15,18–16,4)« (202).
Die Stärken seiner Auslegung finden sich (a) in der konsequent synchronen Auslegung von Joh 6, (b) im Rekurs auf Weisheitstraditionen sowohl in der johanneischen Christologie als auch in der johanneischen Metaphorik des Essens und Trinkens, (c) in der These von einer kreativen Aufnahme des schon in der markinischen Vorlage bei den Brotwundern vorfindlichen Missverstehens der Jünger durch den vierten Evangelisten sowie (d) der ekklesiolo-gischen (und nicht nur christologischen) Relevanz von Joh 6. Da H. da­von ausgeht, dass es in den ersten christlichen Gemeinden eine liturgische, »sakramentale« Feier eines Abendmahles Jesu nicht gegeben habe, rechnet er damit, dass »die Rezipienten des JohEv ein Gemeinschaftsmahl als normale Versammlungsform am Abend abgehalten haben« (173).
Nach den bisherigen Ausführungen überrascht es nicht, dass H. Joh 15 mit starkem Bezug zum Symposiengespräch auslegt (vgl. 241–280). Hilfreich sind die Ausführungen zur johanneischen Metaphorik in Joh 15, die sich schwerpunktmäßig auf J. van der Watt beziehen, sowie die Berücksichtigung des alttestamentlichen Bildhintergrundes. Ertragreich, aber auch kritisch zu diskutieren ist die innovative Deutung der Abschiedsrede(n) auf der Folie eines Symposiengesprächs mit vier Implikationen: der Sinnlinie Fruchttragen als Klammer zwischen Joh 12,24 und 15,1 ff.; der Beziehung zwischen Joh 13 (Fußwaschung) und Joh 15; der Freundschafts- und Liebesthematik sowie des Verhältnisses der Bildrede zu Jesu Tod (vgl. 258–278). Die Verwendung von Blut und Wasser in der Kreuzigungsszene Joh 19,34 deutet H. wie folgt: »Blut« sei als eine »Allusion auf das Blut des ägyptischen pascha zu verstehen« (287), »Wasser« sei »als Verweis auf den Geist zu verstehen« (288).
Aufgrund seiner exegetischen Ausführungen spricht H. ausweislich seines Untertitels vom »Ende der Eucharistie im Johannesevangelium«. Seinen eigenen Ausführungen folgend kann je­doch nicht wirklich vom »Ende der Eucharistie« gesprochen werden, da es aus seiner Sicht nie einen verifizierbaren Anfang ›der‹ Eucharistie im ersten christlichen Jahrhundert gegeben hat. Vielmehr müsse die von ihm angenommene anachronistische Interpretation neutestamentlicher Texte einer sachgemäßen Auslegung der herangezogenen neutestamentlichen Zeugnisse weichen. Dazu möchte H. einen weiterführenden Beitrag im Blick auf das JohEv leisten. So sehr viele kenntnisreiche Textauslegungen zum JohEv und eine breite Rezeption der Sekundärliteratur festzustellen sind, so wenig vermag die Hauptthese zu überzeugen.
Der Rekurs auf den methodischen Ansatz der Ritualforschung bzw. auf das antike Symposion (und die zugehörige Symposienliteratur) ist eine erkennbare und nachvollziehbare Erweiterung exegetischer Forschung. In dieser Studie wird diesen Ansätzen jedoch eine viel zu große Last aufgebürdet. Die Ritualforschung kann als Methode auch auf (früh-)jüdische Mahlformen (z. B. die Paschafeier) angewendet werden und muss sich nicht ausschließlich auf das antike Symposion beziehen. Darüber hinaus ist dringend zu unterscheiden zwischen dem Symposion als Rezeptionshorizont auf Seiten der Adressaten der neutestamentlichen Schriften und der Hypothese, frühchristliche Mahlgemeinschaften und die ihnen zuzuordnenden frühchristlichen Textpassagen könnten bzw. dürften ausschließlich im inhaltlichen Deutehorizont der antiken Symposien (mit den zentralen Wertvorstellungen: Gemeinschaft, Einmütigkeit, Freundschaft, Gleichheit; vgl. 271) ausgelegt werden. Damit ist eine methodische und inhaltliche Engführung verbunden, die in keiner Weise begründet ist.
Eine für die johanneische Theologie zentrale Frage stellt sich auch im Blick auf die Inkarnationsaussage in Joh 1,14, die H. in Joh 6 wie folgt ausgelegt sieht: »Nur wer Jesu Lehre gleichsam in seiner Fleisch und Blut gewordenen Form trinkt und kaut, also den inkarnierten logos in Form seiner Lehre aufnimmt, kann Teil der von der Welt […] abgegrenzten Glaubensgemeinschaft werden« (302). Zugespitzt formuliert: Geht es dem Evangelisten im Kern darum, für die »Aufnahme« der »Lehre Jesu« zu werben oder für die »Aufnahme« des fleischgewordenen göttlichen Logos in persona?