Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

610-611

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Riede, Peter

Titel/Untertitel:

Bilder der Vergänglichkeit. Studien zur alttestamentlichen Mottenmetaphorik.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2013. 80 S. = Forschung zur Bibel, 128. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-3-429-03634-8.

Rezensent:

Antje Labahn

Die kleine, noch in alter Rechtschreibung gehaltene Studie von Peter Riede analysiert die »Bilderwelt« der alttestamentlichen Mottenmetaphorik, indem von den biologischen Grundlagen herkommend eine Interpretation der Texte erfolgt. Zunächst wird die Lebensweise von Kleider- und Pelzmotten beschrieben. Der eigentliche Schaden der Insekten erfolgt nicht durch die späteren Schmetterlinge bzw. Falter, sondern durch deren Raupen. Sie nisten sich in Speicherräumen von Wohnungen ein und richten durch ihre sprichwörtliche Gefräßigkeit erheblichen Schaden an, weil ihnen mit den damaligen Mitteln allenfalls durch den Einfluss von Sonne, Luft und Wind beizukommen war.
R. interpretiert alle acht Mottenbelege des Alten Testaments. Die Präsentation der Interpretationen R.s folgt der Reihenfolge in der Studie. Im Bildwort Hi 4,19 wird die Vergänglichkeit des Menschen mit »Motten« verglichen – hier sind allerdings die späteren Schmetterlinge gemeint. Mit der Bedrohung, die in der Pulverisierung zu Staub, d. h. in der Auflösung in Grundbestandteile liegt, wird auf die Sterblichkeit des Menschen verwiesen. – Hi 13,28 be­zieht sich auf die Gefahr, dass Motten Kleidung zerfressen. Den Zerstörungsprozess bezieht R. auf Hiob selbst und deutet das Bild als Ausdruck für den Verfall, der Hiob trifft. – Dieses Bild wird auch in Jes 50,9 verwendet, wobei die Feinde des Gottesknechts der Vernichtung durch Fraß unterliegen. Der schleichende Prozess der Vergänglichkeit betont die Ohnmacht der Feinde als Strafe für deren Aggression. – Das gleiche Bild wird in Jes 51,8 rezipiert, wobei jetzt in einem Wortspiel beide hebräische Begriffe für Motten ( סס und שׁע) verwendet werden. Damit werden eine Totalität und eine Unausweichlichkeit des Verderbens zum Ausdruck gebracht, denen Jahwes Ewigkeit als Gegenbild gegenübersteht. – In Hi 27,18 wird der Bau einer Hütte mit dem Werk einer Motte verglichen. Der Bezugsrahmen hier sind die zerbrechlichen Gespinstfäden der Pelzmottenraupen, was die Fragilität und zeitliche Begrenztheit betont. – Einen anderen Vergleich entwickelt Sir 42,12 f., wo das Mottenbild in einem patriarchalischen Weltbild verankert ist. Die latente Bedrohung der Kleidung durch Mottenfraß stellt in Sir 42 den Zusammenhang zwischen Bösartigkeit und unverheirateten Frauen her. – In Hos 5,12 wird Jahwe mit einer Motte verglichen. Wie Mottenfraß wird er Judas Lebensraum über einen längeren Prozess hin langsam zerstören. Damit werden die Gebietsverkleinerungen im Zuge des assyrischen Vasalitätsprozesses theologisch interpretiert. – In Ps 39,12 stützt der Mottenvergleich die Aussagen zur menschlichen Vergänglichkeit, die den ganzen Psalm prägen. Das Bild unterstreicht »die grundsätzliche Brüchigkeit der menschlichen Existenz« (59), was sowohl den Körper als auch den Reichtum betrifft. Da dieser Prozess Gerechte und Frevler in gleicher Weise trifft, sieht R. darin »ein Bild eines zerstörerischen Insekts im Dienst der göttlichen Frohbotschaft« (63).
Abschließend wird das Ergebnis der Studie in sechs Thesen zur zerstörerischen Kraft des Mottenfraßes bzw. der Zerbrechlichkeit von Faltern präsentiert. Wenn Motten in Bildworten erscheinen, sind Aspekte von Vergänglichkeit berührt, mit denen die Begrenztheit von Personen oder Sachen im jeweiligen Kontext interpretiert wird.
Mit zahlreichen Zitaten und Literaturrezeptionen wird das schmale Werk zu einem Kompendium der Mottenmetaphern. Die Stärke der Studie liegt darin, den gesamten Lebenszyklus von Faltern einzubeziehen und den von Motten verursachten Schaden zu differenzieren. Größere Tiefe hätte ich mir bei einer methodischen Definition von »Bildwort« und »metaphorischer« Sprache gewünscht. Dass Bilder Wirklichkeit deuten oder Metaphern diese in Sprache fassen, eröffnet vielfältige Interpretationsmöglichkeiten, die den Sinngehalt der abgebildeten Wirklichkeit verändern. So lässt sich etwa aus konzeptionellen Metaphern ein anderer Sinngehalt gewinnen als aus bildlichen Vergleichen. Ein Sach- und ein Wortregister erschließen die Studie. Damit ist die Untersuchung eine Bereicherung für alle, die sich mit der Tiermetaphorik des Alten Testaments bzw. des Alten Orients beschäftigen.