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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

534-535

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Köhnlein, Manfred

Titel/Untertitel:

Passion und Auferstehung Jesu. Dimensionen des Leidens und der Hoffnung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2015. 320 S. m. 8 Abb. Kart. EUR 34,99. ISBN 978-3-17-023393-5.

Rezensent:

Walter Klaiber

Dies ist der letzte von sechs Bänden einer Reihe »Szenen aus dem Leben Jesu«, die Manfred Köhnlein, emeritierter Professor für Evangelische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, seit 1999 veröffentlicht hat. Die Reihe richtet sich vor allem an Religionslehrer und behandelt das Wirken Jesu nach thematischen Schwerpunkten.
Exegetische Informationen über die unterschiedliche Darstellung in den vier Evangelien sind verbunden mit dem Versuch, die ursprünglichen Aussagen Jesu zu rekonstruieren, aber auch mit dem Blick auf entsprechende Themen in anderen Teilen des Neuen Testaments und mit der Frage, wieweit sich Phänomene heutigen Lebens in den Erfahrungen Jesu widerspiegeln. Der letzte Band behandelt die Ereignisse am Ende des Wirkens Jesu am Leitfaden von Mt 21–28. Den beiden Hauptteilen I. Die Passion Jesu und II. Die Auferstehung Jesu fügt K. am Ende noch einen Teil III. Symbole der Hoffnung hinzu, der Hoffnungstexte aus Altem und Neuem Testament behandelt.
Das Buch ist in sehr lesbarer Sprache geschrieben und bietet eine Fülle von Sacherklärungen zu den Texten und den dort beschrie-benen Ereignissen. Die Auslegung verläuft auf drei Ebenen: 1. die Ebene der theologisch geprägten Berichterstattung durch die Evangelisten. Ein methodisches Problem besteht darin, dass K. vom Matthäustext ausgeht. Ein deutlicherer Rekurs auf die Markus­priorität hätte der Darstellung der unterschiedlichen Positionen der Evangelien ein klareres Profil gegeben. Aber die unterschiedlichen Akzentsetzungen kommen doch deutlich zum Ausdruck, vor allem in der Darstellung des Sterbens Jesu. Nur dass Matthäus das Wort höher einschätzt als die Tat (57), kann man angesichts von Mt 7,21–27; 12,50 oder 25,31–46 wohl schwerlich sagen.
2. Die zweite Ebene gilt einer historischen Rekonstruktion des Handelns und der Verkündigung Jesu. Auffallend ist, wie stark dabei psychologische Erwägungen eine Rolle spielen. Die Endzeittexte finden sich unter der Überschrift »Der psychische Kummer«, große Teile der Passion in dem Abschnitt »Die soziale Vereinsamung« und Jesu Kreuzigung unter dem Titel »Die religiöse Anfechtung«. K. versucht die seelische Verfassung Jesu auszuloten. So stellt er als Ergebnis der Gethsemane-Erfahrung Jesu fest, dass dieser »in seiner Depressivität psychisch die Gewissheit ›Adonai ist mein Abba‹ zurückgewann, die ihm bei seiner Taufe geschenkt wurde« (149). Allerdings hat er nach K. diese Gewissheit im Sterben wieder verloren. »Jesus starb am Karfreitag zunächst unerlöst« (215). Dennoch bleibt seine Treue im Leiden unauslöschliches Vorbild.
3. setzt sich K. kritisch mit der Darstellung der Evangelisten bzw. verwandter Traditionen im Neuen Testament auseinander. So hält er ein Verständnis des Todes Jesu als sühnendes Opfer für nicht mehr vertretbar und kämpft gegen Vorurteile bei der Darstellung des jüdischen Volks und seiner Führer oder gegenüber der Gestalt des Judas.
Allerdings kommt es methodisch nicht selten zu einer Vermischung der Ebenen. So wird z. B. der Matthäuskommentar von U. Luz mehrfach kritisiert, er teile die Vorurteile gegen die jüdischen Führer, wobei dieser an den entsprechenden Stellen nur den Befund bei Matthäus referiert (254). Auslegung des Texts und kritische Auseinandersetzung mit ihm sind nicht immer klar getrennt. Es ist richtig, auf die Wirkungsgeschichte der antijüdischen Tendenzen der Matthäuspassion in ihrer Vertonung durch Bach zu verweisen. Aber der Vorwurf, Bach habe »das Matthäusevangelium kritiklos als Libretto« benutzt (186), wirkt doch anachronistisch. Es ist auch nicht immer klar, welche Worte und Handlungen Jesus selbst zugeschrieben werden und welche den Evangelisten oder ihrer Tradition. So konstatiert K. anlässlich der Geschichte vom verdorrten Feigenbaum zunächst, dass auch der ›Gottessohn‹ Emotionen hatte und sich gelegentlich abreagieren musste, was dann besser eine Pflanze anstelle von Menschen getroffen habe, stellt aber dann doch fest, dass die Geschichte historisch nur Gemeindebildung sein könne (51).
K. weist auch auf die unterschiedliche Datierung des Todesdatums Jesu bei den Synoptikern und Johannes hin. Hier unterlaufen ihm aber leider gravierende Fehler. Dass die Verspottung Jesu auf Golgota »nach Matthäus kurz vor Anbruch des Passah […] stattgefunden haben« müsste (108), ist so nicht richtig. Das würde für Johannes zutreffen. Aber auch dass Johannes »Jesus bereits am Nachmittag des Gründonnerstags gekreuzigt werden lässt« (125), stimmt nicht. Für alle Evangelisten ist der Todestag Jesu der Freitag, nur ist bei Johannes dieser Tag der 14. und bei den Synoptikern der 15. Nisan.
Positiv ist, wie klar K. die grundsätzliche Bedeutung der Auferstehungshoffnung hervorhebt: »Der Glaube an die Auferstehung Jesu von den Toten ist der Kern des Christentums« (242). Sehr schön macht er an der ganz unterschiedlichen Darstellung der Auferstehungswirklichkeit in den verschiedenen Evangelien deutlich, dass dieser Glaube nicht an einer bestimmten Vorstellung vom »Wie«, sondern an der Gewissheit des »Dass« des Handelns Gottes hängt.
Davon ist dann auch die Auslegung der »Hoffnungstexte« aus Altem und Neuem Testament bestimmt. Zwar kommt es auch hier gelegentlich zu Unklarheiten. So sieht K. in Jes 43,1 eine Zusage der »Erlösung« am Ende des irdischen Lebens, um daraus sogleich das Verbot abzuleiten, Vernichtungswaffen herzustellen und zu verkaufen (312). Einerseits erklärt er, »dass die Bejahung eines Wiedersehens [nach dem Tod] illusionär ist«, meint aber andererseits, dass sie »manchen bitter Leidenden eine letzte Kraft des Ausharrens geben« könne (314). Aber vielleicht sind solche (scheinbaren?) Wi­dersprüche gerade der seelsorgerlichen Haltung geschuldet, die das Buch zweifellos auszeichnet. Dieser seelsorgerliche Ansatz dürfte auch manches exegetische Urteil beeinflusst haben, etwa wenn K. dekretiert: »Jesus hat niemals seine Mitmenschen unter Glaubensdruck gesetzt« (52). Das macht das Buch sympathisch und – trotz der geäußerten Anfragen – lesenswert. Dass ein israelischer Künstler Illustrationen beigesteuert hat, gibt ihm noch eine weitere berührende menschliche Note.