Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

528-529

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Frick, Eckhard, u. Andreas Hamburger[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Freuds Religionskritik und der »Spiritual Turn«. Ein Dialog zwischen Philosophie und Psychoanalyse.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2014. 200 S. m. 1 Abb. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-17-023065-1.

Rezensent:

Isabelle Noth

Was ist aus Freuds Religionskritik geworden, und wie verhält sie sich zu dem von religionssoziologischer Seite schon seit den 1980er Jahren konstatierten sogenannten »Spiritual Turn«? Dieser besonderen Fragestellung wollen sich die beiden Herausgeber des vorliegenden Bandes in Form eines Dialogs zwischen Philosophie und Psychoanalyse widmen. Leider tun sie dies mit wenig Rücksicht auf jene, denen der Band zugutekommen sollte, nämlich seinen Lesern: Verschiedene strukturelle und inhaltliche Mängel machen das Buch ziemlich leserunfreundlich und verhindern so, dass man sich auf die an sich interessante Fragestellung überhaupt einlassen kann.
Die Herausgeber entschieden sich, »statt eines Vorwortes« einen »Dialog« zwischen ihnen beiden abzudrucken, was völlig legitim wäre, würde dieser Dialog nicht voraussetzen, dass die folgenden Beiträge schon bekannt wären. So jedoch beginnt der hier zu rezensierende Sammelband eigentlich mit einem Nachwort und enthält seinen Lesern wichtige Informationen zum Verständnis vor. Zu diesen gehört z. B. jene, dass es sich um die gesammelten Vorträge eines interdisziplinären Symposiums handelt (dies erfährt man erst auf S. 157). Offen bleibt aufgrund des Fehlens einer dringend benötigten Einleitung auch der konzeptionelle Aufbau des Buches, denn: Weshalb ist z. B. vom »dritten Dialog« die Rede (157), wenn es gemäß Inhaltsverzeichnis der vierte ist? Unverständlich bleibt für die Leserin auch, weshalb überhaupt von »Bänden« gesprochen wird, wenn es sich um Kapitel oder Teile handelt. Wurde ursprünglich ein anderes Projekt verfolgt? Wieso wurde ein Beitrag über C. G. Jungs Subjektverständnis aufgenommen, und wie verhält sich dies zum Buchtitel? Das Fehlen eines Autorenverzeichnisses erschwert noch zusätzlich die Orientierung. Erst im zweiten Beitrag erfährt man, dass ein Dialog mit »Philosophen an einer Hochschule in kirchlicher Trägerschaft« (34) gesucht worden sei und zwar »einer von Jesuiten getragenen« (46). Letzteren gehört zwar der Mitherausgeber von psychoanalytischer Seite, Eckhard Frick, an, doch gibt es für dieses Vorgehen auch sachliche – z. B. spiritualitätstheoretische – Gründe?
Gibt man das Bemühen irgendwann auf, eine der Fragestellung angemessene Systematik in Aufbau und Konzeption des Buches zu erkennen, und lässt man sich von den erwähnten beträchtlichen Hürden dennoch nicht von der Lektüre abbringen, so scheint es vor allem der Beitrag der Zürcher Psychoanalytikerin Brigitta Boothe gewesen zu sein, der innerhalb des Dialogs für Diskussionsstoff sorgte. So meint Andreas Hamburger, sie hätte den »Ungläubigen recht provokativ die Leviten gelesen. Man fühlte sich als Agnostiker eigentlich schon einer gewissen Geistlosigkeit bezichtigt.« (12) Im Kurztext vor dem betreffenden Beitrag liest man, Boothe moniere die »Geistlosigkeit und Gleichgültigkeit der technokratischen, in-s­trumentellen Vernunft, welche die Metaphysik nicht einmal mehr als Problem bemerkt« (157). Nun ist jedoch von dieser Provokation bei der Lektüre ihres Textes wenig zu spüren. Das erwähnte Urteil bleibt von daher nicht leicht nachzuvollziehen. Boothe stellt zwar klar, dass Freud mit seiner wunschtheoretischen Herleitung von Religiosität einem Trugschluss unterlag, denn »die Fähigkeit zum Religiösen« ist nicht mit der menschlichen »Fähigkeit zur Evokation des Wunscherfüllenden« (164) gleichzusetzen, sondern ist »vielmehr eine Bewegung des Überschreitens der desiderativen Mentalität« (165). Dementsprechend ist Religiosität eben gerade nicht Ausdruck regressiv-infantilisierender Illusionen und intellektueller Selbstverkümmerung, sondern im Gegenteil der »Offen heit und de(s) Mut(s) zur unbefangenen Offenheit« (166). Dass diese Aussagen jedoch konfrontativ an die Adresse anwesender Agnos­tiker ge­richtet gewesen waren, erschließt sich dem Leser nicht von selbst. An diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr die grundsätzliche Problematik des Buches, nämlich der missglückte Transfer der Tagungsvorträge in einen für eine breitere Leserschaft gedachten Tagungsband.