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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

488-490

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bucer, Martin

Titel/Untertitel:

Briefwechsel – Correspondance. Vol. IX (September 1532 – Juni 1533). Hrsg. u. bearb. v. R. Friedrich, B. Hamm u. W. Simon in Zusammenarbeit m. M. Arnold u. Ch. Krieger.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. CXV, 408 S. = Studies in Medieval and Reformation Traditions, 179/9. Geb. EUR 163,00. ISBN 978-90-04-26526-4.

Rezensent:

Christopher Spehr

Die Herausgabe des Martin-Bucer-Briefwechsels schreitet voran! Nach dem achten Band 2011 legte die Bucer-Forschungsstelle unter Leitung des mittlerweile emeritierten Erlanger Kirchenhistorikers Berndt Hamm Ende 2013 Band 9 vor. Das für Frühneuzeit-Editionen erfreuliche Tempo materialisiert sich in dem vorgelegten Band, der erneut beeindruckt. Dank seines Detailreichtums und seiner Facettenhaftigkeit erfüllt er zudem eine doppelte Funktion, eignet er sich doch sowohl als unverzichtbares Nachschlagewerk innerhalb des Bucer-Gesamtbriefwechsels als auch als venerabele reformationshistorische Einzelpublikation.
Band 9, der dem bewährten Aufbau der Edition folgt, verzeichnet die Korrespondenzen von September 1532 bis Juni 1533 unter den Nummern 628 bis 709. Insgesamt versammelt er 81 Briefe, von denen 38 Bucer als Absender haben und 43 an Bucer gerichtet sind. Dank der in der ausführlichen Einleitung vorangestellten Statistik lassen sich weitere Details eruieren: Von den 38 Briefen Bucers sind sechs als Gemeinschaftsbriefe mit den Straßburger Kollegen verfasst. 12 Briefe sind in deutscher, 69 in lateinischer Sprache formuliert. Intensiven Briefkontakt pflegt Bucer in dem Zeitraum mit seinen Freunden Ambrosius Blarer (10) und dessen Schwester Margarethe Blarer (7) in Konstanz, mit Martin Frecht in Ulm (6), Heinrich Bullinger in Zürich (6) und Simon Grynaeus in Basel (4). Gegenüber früheren Korrespondenzen ist der Kontakt mit dem Theologen Johannes Schwebel in Zweibrücken (10) signifikant gestiegen. Das Korrespondenznetzwerk erstreckt sich entsprechend Bucers oberdeutsch-schweizerischen Einflussbereichs vornehmlich auf die Orte Konstanz (15), Zweibrücken (12), Zürich (7), Basel (6), Ulm (6), Bern (4), Augsburg (3), Bieberach (3) und Lindau (2). Rückgängig ist der Kontakt nach Augsburg und Esslingen, nachdem Ambrosius Blarer dort nicht mehr wirkt.
Inhaltlich stehen neben zahlreichen Einzelanliegen zwei Haupt­­themen im Zentrum der Korrespondenz: die Auseinandersetzung mit den »Dissenters« (die Bezeichnungen »radikale Reformatoren«, »Täufer«, »Spiritualisten« u. ä. werden von den Herausgebern weitestgehend vermieden) und Bucers Vermittlungsbemühungen im Abendmahlsstreit. Während Bucers Reise in die Schweiz von Ende März/Anfang April 1533 bis Mitte Mai 1533 im Zusammenhang mit letzterem Thema steht, befasst sich die Straßburger Synode vom 3. bis 14. Juni 1533 mit den Dissenters, die zu einer wachsenden Herausforderung im oberdeutschen Raum werden. Beide Themenfelder seien hier anhand der Korrespondenz exemplarisch etwas näher entfaltet.
Der umfangreiche Kontakt mit dem Zweibrückener reformatorischen Hofprediger Johannes Schwebel hat zum Hintergrund den Streit um die Taufe, der durch den im Frühjahr 1532 nach Ernstweiler bei Zweibrücken durch Bucer vermittelten Hilfsprediger, den Hagenauer Georg Pistor, verstärkt wird. Pistor unterstützt die örtlichen Täufer, die gegen Schwebel und die Säuglingstaufe opponieren und Unruhe in der Zweibrückener Gemeinde verursachen (Nr. 633). Nach Intervention Bucers und der Straßburger Prediger gelingt offenbar eine Verständigung zwischen Schwebel und Pistor in der Frage der Säuglingstaufe, die ihren Ort wie in Straßburg im sonntäglichen Gottesdienst haben sollte (Nr. 631–633.635.642). Ein neuer Streit entbrennt im Frühjahr 1533 um die Praxis des von den Täufern abgelehnten Taufexorzismus. Pistor unterlässt ihn, Schwebel praktiziert ihn nicht durchgängig, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Säuglinge seien Besessene (Nr. 692.702). Bucer interpretiert den Ritus des Taufexorzismus als eine Bezeugung der Erbsünde, welcher aber verzichtbar sei, da er liturgiehistorisch nicht an die Taufe gebunden gewesen und auch in lutherischen Ordnungen nicht durchgängig festgeschrieben sei. Der vormundschaftlich über Zweibrücken regierende Pfalzgraf Ruprecht beendet schließlich den Streit, indem er den Taufexorzismus anordnet (Nr. 702 f.). Außerdem sorgt er nach dem Tod Herzog Ludwigs II. dafür, dass eine reformatorische Kirchenordnung im Herzogtum unter Schwebel eingeführt wird. Bemerkt sei, dass Bucer beim Tod des Herzogs am 3. Dezember 1532 Schwebel empfiehlt, die Trauerfeierlichkeiten nach Kursächsisch-Wittenberger Vorbild zu gestalten (Nr. 642).
Durch die Korrespondenz wird ebenfalls die Straßburger Situation verlebendigt. Angesichts der wachsenden Zahl an Dissenters beklagt Bucer, dass nur noch eine Minderheit dem rechten Glauben anhänge (Nr. 634.703). Aufgrund dieser das Gemeindeleben destabilisierenden Situation beruft der Straßburger Rat auf Drängen der Prediger im Juni 1533 eine Synode ein, die von Bucers Korrespondenten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Neben einer von Bucer verfassten Grundordnung der Straßburger Kirche diskutiert er auf der Synode mit Melchior Hoffmann, Kaspar Schwenckfeld und weiteren Vertretern der Dissenters. Statt Sanktionen zu ergreifen, richtet der Rat eine Kommission ein.
Den zweiten Themenblock bilden Bucers Vermittlungsbemühungen in der innerprotestantischen Abendmahlskontroverse, die durch seine Reise in die Schweiz befördert werden. Neu angeheizt wird die Diskussion durch Luthers Anfang 1533 gedrucktes »Sendschreiben an die zu Frankfurt am Main« (WA 30/3; 554–571), das im oberdeutsch-schweizerischen Raum für große Empörung sorgt. Aus Sorge vor unkalkulierbaren politischen Konsequenzen und aus Respekt vor Luthers Glauben und Erfolg sieht Bucer von einer direkten Replik ab. Stattdessen entschuldigt er Luthers kontraproduktives Verhalten mit Einflüsterungen aus dessen Umfeld (Nr. 659–661). Während ein Schreiben Bucers an Luther und Melanchthon sowie die Antwort Luthers vom März 1533 als verloren gelten müssen, ist ein Brief Melanchthons vom Frühjahr 1533 erhalten geblieben (Nr. 675; MBW T 5 Nr. 1315). Darin bekräftigt Melanchthon Bucer seine freundschaftliche Gesinnung und mahnt ihn, den Streit nicht zu befördern, sondern deeskalierend zu wirken. Im Herbst 1532 hatte Bucer zuvor versucht, im Kemptener Abendmahlsstreit (Nr. 644.646) zwischen den an Luther orientierten Predigern Johannes Rottach und Johannes Seeger und dem zwinglianisch-oberdeutsch orientierten Jakob Haistung zu vermitteln. Neben einer umfangreichen Stellungnahme empfahlen Bucer und seine Straßburger Kollegen den Kemptener Predigern, Gott zu suchen, auf der Schlichtheit der Bibel zu beharren, einander zu vergeben und auf alle Selbstliebe zu verzichten (Nr. 647). Durch Ambrosius Blarer erfährt Bucer den weiteren Verlauf der Kontroverse (Nr. 648.659.667), die am 31. Januar 1533 mit einer Entlassung der lutherischen Prediger durch den Kemptener Rat endet.
Wie bei vorangehenden Korrespondenzen gewährt Bucer auch in diesem Band nur wenige Einblicke in sein Privatleben. Seine Frau Elisabeth und einige Kinder sind im September 1532 an Fieber erkrankt (Nr. 629). Am 5. Februar 1533 wird Bucers Tochter Irene geboren (Nr. 659). Margarethe Blarer unterstützt Familie Bucer mit der Übersendung von 20 Goldgulden, um die durch die Schweiz-Reise entstandenen Schulden zu tilgen. Allerdings schickt Bucer die Hälfte des Geldes wieder zurück, während er fünf Gulden für die Operation des Venezianers Bartholomeo Fonzio und den Rest zum Bücherkauf verwendet (Nr. 694.696.704.709). Ärger bekommt Bucer zudem mit seiner Frau, als sie erfährt, dass ihr Mann in Konstanz zwar keine Zeit hatte, ihr einen Brief zu schreiben, gleichwohl aber dort predigte (Nr. 704).
Die fundierten Einführungen und Regesten, die allesamt in französischer und deutscher Sprache verfasst sind, bieten ebenso eine rasche Orientierung wie der Personenindex und die umfangreichen Register, die nichts zu wünschen übrig lassen. Nach der erquicklichen und informativen Lektüre von Band 9 bleibt zu hoffen, dass Band 10 in Bälde erscheinen wird.