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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

486-488

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Park, Sung-Ho

Titel/Untertitel:

Stellvertretung Jesu Christi im Gericht. Stu-dien zum Verhältnis von Stellvertretung und Kreuzestod Jesu bei Paulus.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2015. XII, 468 S. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 143. Geb. EUR 69,00. ISBN 978-3-7887-2896-0.

Rezensent:

Walter Klaiber

In den letzten Jahren ist eine ganze Reihe von Untersuchungen zum Thema Stellvertretung und Sühne im Neuen Testament und be-sonders bei Paulus veröffentlicht worden. Dabei ist vor allem das Verhältnis der hinter dem Sühnemotiv stehenden kultischen Vorstellungen zu dem aus dem politischen und sozialen Bereich stammen­den Stellvertretungsgedanken diskutiert worden. Welche Be­deutung das Ineinander von Aussagen über die Heilsbedeutung des Todes Jesu und denen über sein Eintreten für die Christen im Gericht hat, ist selten gefragt worden. Diese Lücke wird durch die Arbeit Sung-Ho Parks gefüllt. Das Buch ist die »stark [fast um die Hälfte!] gekürzte Fassung« einer von Hermann Lichtenberger be­treuten und von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenom­menen Dissertation.
P. mutet seinen Lesern und Leserinnen einen langen Anmarschweg zu. Nach einem knappen Forschungsbericht zu Arbeiten über Stellvertretung und Gericht bei Paulus (I: 1–33) folgen zwei Kapitel über Stellvertretung im Alten Testament und in den frühjüdischen Schriften (II: 34–91/III: 92–195). Im Alten Testament ist es vor allem die Gestalt des Gottesknechts in Jes 52/53, die eine stellvertretende Funktion ausübt. Dagegen ist der Befund in den frühjüdischen Schriften und vor allem in den Schriften von Qumran, die sehr detailliert und kundig untersucht werden, eher negativ. Ausnahmen sind 4Makkabäer und der Melchisedek-Midrasch von Qumran (11Q13).
Im umfangreichen Kapitel IV (196–400) geht es dann um Stellvertretung bei Paulus. Die Untersuchung erfolgt in drei Schritten: 1. Das Kreuz und seine Bedeutung für Paulus anhand von 2Kor 5,20 f. und Röm 3,21–26; 2. Das Gericht bei Paulus unter Berücksichtigung aller relevanten Texte und 3. Kreuz und Gericht (1Thess 1,9 f.; 4,14; 5,9 f. und als Ziel des Ganzen: Röm 5,8–10; 8,1–4.31–34).
Die Arbeit besteht im Wesentlichen aus sehr sorgfältig gearbeiteten Exegesen zu den relevanten Einzelstellen unter intensiver Beachtung der einschlägigen Literatur. An schwierigen Stellen bespricht P. die jeweiligen Lösungsvorschläge und trifft dann eine eigene Entscheidung. Er scheut sich aber auch nicht, Fragen offen zu lassen, wo eine Entscheidung schwierig ist. Das führt zu der typischen Form einer Qualifikationsarbeit mit ausführlichen An­merkungen und langen Zitationskatenen, die aber sehr gut und übersichtlich organisiert sind. Trotz der vorgenommenen energischen Straffung gegenüber der ursprünglichen Arbeit hat man aber den Eindruck, dass manche Einzeluntersuchung, die kein für das Thema relevantes Ergebnis bringt – insbesondere im Bereich der frühjüdischen Schriften – hätte weggelassen werden können, u.U. mit dem kurzen Hinweis auf die Fehlanzeige.
Im zentralen Teil der Arbeit (Kreuz und Gericht, 336–406) arbeitet P. das unauflösliche Ineinander einer letzten Verantwortung der Menschen im Gericht und der Bedeutung des stellvertretenden Sterbens Jesu Christi heraus. Dabei betrachtet er das Geschehen am Kreuz nicht als isoliertes Heilsereignis, sondern zeigt auch seine grundlegende Verbindung zum Ereignis der Auferweckung Jesu auf. Allerdings kann er an der entscheidenden Stelle der Arbeit, der Auslegung von Röm 8,34, nur auf eine Aporie hinweisen: Zu erklären »wie der Stellvertretungsvorgang im Gericht durch Christus konkret vorzustellen ist, ist sicher nicht einfach, vielleicht sogar unmöglich« (405). Denkbar ist, dass Jesus »Gott, den Weltenrichter, an sein ewig gültiges Kreuz erinnert«. Aber kann das nötig sein, angesichts der vorhergehenden Aussagen, dass Gott seinen einzigen Sohn nicht verschont hat und dass Gott es ist, der gerecht spricht (8,32 f.)?! Richtet sich Eintreten und Fürsprache Jesu nicht eher gegen mögliche Anklagen anderer Ankläger? Aber auf der Sachebene, jenseits der konkreten Vorstellungen, gilt sicher, was P. als Ergebnis festhält, nämlich, dass es beim Motiv »der Fürsprache im Gericht um den kontinuierlichen Gültigkeitsanspruch seines Kreuzestodes geht« (405).
Die Argumentation im Einzelnen ist in der Regel sehr gut nachvollziehbar, auch wenn es natürlich Stellen gibt, an denen man am Rand ein Fragezeichen setzt. Am unverständlichsten ist mir eine Aussage im Ergebnis der Untersuchung der paulinischen Gerichtsvorstellung geblieben: »Meist sind bei Paulus die Ungläubigen bzw. Nichtchristen im Blick« (335). Ich kann das weder in den paulinischen Texten noch in den Analysen von P. entdecken!
Auch formal ist das Buch sehr sorgfältig gearbeitet. Mir sind nur ganz wenige Druckfehler aufgefallen und fast keine sprachlichen Ungenauigkeiten, was heutzutage nicht einmal bei deutschsprachigen Autoren eine Selbstverständlichkeit ist. Lediglich die Aufteilung des Verzeichnisses der Sekundärliteratur in Monographien und Aufsätze erweist sich beim Nachschlagen der mit Kurztitel angeführten Werke als sehr unpraktisch.
Insgesamt ist die Arbeit eine wertvolle Ergänzung der Untersuchungen zu einem viel bearbeiteten Thema paulinischer Theologie, der viele Leser und Leserinnen zu wünschen sind.