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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

406-409

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Marschler, Thomas, u. Thomas Schärtl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Dogmatik heute. Bestandsaufnahme und Perspektiven.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2014. 568 S. Kart. EUR 49,95. ISBN 978-3-7917-2582-6.

Rezensent:

Matthias Haudel

Angesichts weltanschaulicher Pluralisierungsprozesse und ökumenischer sowie interreligiöser Herausforderungen ereignet sich in der katholischen Dogmatik eine methodische und inhaltliche Ausdifferenzierung. Diese Entwicklung veranlasste zwei katholische Theologen der Universität Augsburg, Thomas Marschler (Dogmatik) und Thomas Schärtl (Philosophische Grundfragen der Theologie), einen Band herauszugeben, der eine Bestandsaufnahme katholischer Dogmatik der letzten drei Jahrzehnte bietet, um auf dieser Grundlage Desiderate, Herausforderungen und anstehende Transformationen zu erörtern. Die zwölf Beiträge des Bandes folgen der klassischen Traktateinteilung, so dass ein aktueller Einblick in das Verständnis zentraler dogmatischer Themen er­folgt. Die zumeist jüngeren katholischen Systematikerinnen und Systematiker aus dem deutschsprachigen Raum gehen in ihren Beiträgen von den maßgeblichen Diskursen katholischer Theologie in Deutschland aus, weitgehend unter Berücksichtigung des ökumenischen, interdisziplinären und internationalen Horizonts. Aufgrund der unterschiedlichen Akzentuierungen der Verfasser spiegeln die Texte »die faktische inhaltliche und methodische Pluralität katholischer Theologie in ihrer akademischen Gegenwartsgestalt wider« (16). Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis, ein Personenregister und eine Literaturauswahl am Ende jedes Beitrags erweisen sich als hilfreich – auch hinsichtlich der Wahrnehmung des ökumenischen und interdisziplinären Horizonts.
Hubert Filser beginnt seine Ausführungen zum Traktat »Theologisch-dogmatische Erkenntnislehre« mit dem Hinweis, dass die katholische Dogmatik erst in den letzten Jahrzehnten Ansätze einer ausgearbeiteten Erkenntnis- und Prinzipienlehre entwickelt habe. Auf der Grundlage dieser Ansätze und unter Berücksichtigung evangelischer Konzeptionen erörtert er die Interaktion maßgeblicher Bezeugungsinstanzen des Glaubens: Schrift und Tradition, wissenschaftliche Theologie und Glaubenssinn der Gläubigen, Lehramt. Die Heilige Schrift stellt er als »oberste und letzte konstitutive Norm ( norma normans non normata)« (29) heraus und folgert daraus, dass zukünftig die Differenz zwischen dem Wort Gottes und lehramtlichen Äußerungen deutlicher aufgezeigt werden müsse und die Gläubigen als Bezeugungsinstanz stärker einzubeziehen seien. Außerdem habe die dogmatische Erkenntnislehre dezidierter die Lebenswirklichkeit zu beachten und müsse »daher heute noch viel stärker interkulturell, interreligiös und perspektivisch ausgerichtet werden« (22).
Im zentralen Traktat über die »Trinitätslehre« entwickelt Thomas Schärtl vor dem Hintergrund der jüngsten katholischen und evangelischen trinitätstheologischen Entwürfe einen eigenen An­satz, mit dem er sich von den interpersonalen Ansätzen absetzt, welche die Gemeinschaft der trinitarischen Personen betonen. Diese sozialen trinitätstheologischen Analogien seien in ihrer Abkehr von der Substanzmetaphysik und den intrapersonalen psychologischen Analogien durch anthropomorphe Übertragungen zwischenmensch-licher Wunschvorstellungen geprägt. Ferner könne die in der personalen Relation begründete Einheit von den jeweiligen Personen abhängig werden, was die Wesenseinheit gefährde. Obwohl Schärtl die Konzeption des Verfassers der Rezeption positiv würdigt, die die Defizite einseitiger intra- oder interpersonaler Ansätze aufzeigt und die Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonaler Dimension in Gott herausstellt, hält er letztlich allein den intrapersonalen Ansatz für angemessen und bleibt so der alternativen Betonung einer der beiden Analogien verhaftet. Zur Wahrung der Einheit der einen Personalität Gottes bedürfe es der Hervorhebung der einen Substanz, die als Subjekthaftigkeit zu erkennen sei. Wie in Augustins Subjektmetaphysik erkenne sich der Mensch als vermitteltes Subjektsein: transzendentales, empirisches und intentionales Selbst. »Im Weg des Rückschlusses« könne »dieses Modell des sich selbst vollbringenden Selbst auf Gott übertragen werden« (96). Die den interpersonalen Analogien vorgeworfene anthropomorphe Übertragung vollzieht Schärtl bei seinem intrapersonalen Ansatz also selbst auch. Idealist-isch ausgerichtet spricht er von »personifizierender Selbstvermittlung« (vgl. 104 ff.), durch die Gottes Bewusstsein in drei Bewusstheiten existiere, als Konkretisierungen des einen Selbstbewusstseins: Vater als Be­wusstheit des Gründens, Sohn als Bewusstheit des Herkommens, Geist als Bewusstheit des Zusammenhangs beider Aspekte. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dieser rein intrapersonale Ansatz der biblischen Vorgabe »Gott ist Liebe« und der biblisch wahrnehmbaren Interaktion der trinitarischen Personen sowie der Gottebenbildlichkeit des Menschen gerecht wird. Denn der Mensch ist nicht nur von intrapersonaler Subjektivität geprägt, sondern auch von interpersonaler Gemeinschaft, die für das Verständnis von Liebe konstitutiv ist. Deshalb benutzten die Kirchenväter sowohl psychologische als auch soziale Analogien und betonten mit der neunizänischen Theologie (Grundlage für das Bekenntnis von 381) die Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonaler Dimension in Gott, um der biblischen Rede von der einen Personalität Gottes und von der Interaktion der trinitarischen Personen zu entsprechen. Es wurde deutlich, wie der dreieinige Gott im perichoretischen Zu­sammenspiel der trinitarischen Ursprungsbeziehungen und der weiteren ewigen Existenzbeziehungen als vollkommene Gemeinschaft der Liebe existiert: Jede Person existiert unter Beibehaltung ihres Spezifikums auf der Ursprungsebene ganz in jeder anderen.
Dabei beinhaltet die gegenseitige interpersonale Hingabe und Durchdringung zugleich die intrapersonale Wesenseinheit des In­einanderseins in der Vielfalt der ewigen Existenzbeziehungen. Der dreieinige Gott, der sich im Vater selbst Ursprung ist, der sich im geliebten und liebenden Sohn selbst Ziel ist und der im Heiligen Geist solche Liebe – auf einen Dritten ausgeweitet – selbst vollzieht, existiert also als intrapersonale Wesenseinheit der interpersonalen Relationen dreier Personen (Ineinander von psychologischer und sozialer Analogie). Daher ist Gott die vollkommene Gemeinschaft der Liebe, während der Mensch an diesen Dimensionen Anteil hat: Für die interpersonale Dimension ist der Mensch auf Gott und die Mitmenschen angewiesen. In Gott vollzieht sich die interpersonale Dimension im ewigen Prozess lebendiger Wesenseinheit, so dass die von Schärtl befürchtete Abhängigkeit der Einheit von den jeweiligen Personen nur auf die interpersonale Dimension unter Menschen zutrifft.
Im Beitrag zur »Schöpfungslehre« verweist Franz Gruber auf die dynamische Entwicklung des Schöpfungstraktats in den letzten Jahrzenhten. Angesichts naturalistisch aufgeladener naturwissenschaftlicher Weltbilder sowie ökologischer und ethischer Herausforderungen bedürfe es aber noch vielfacher Weiterentwicklungen, zumal die Theologie oft von einer soteriologisch-anthropozentrischen Engführung geprägt sei. Es bestehe die Aufgabe, im Dialog mit den Naturwissenschaften das Wirklichkeitsverständnis für Gottes Wirken offen zu halten, wofür etwa der evangelische Ansatz von Wolfhart Pannenberg stehe, der die Natur als Schöpfung des dreieinigen Gottes plausibel mache. Pannenberg findet auch im Beitrag von Ursula Lievenbrück zur »Theologischen Anthropologie« Berücksichtigung. Sie fordert in ökumenischer, interreligiöser und interdisziplinärer Ausrichtung katholische Konzeptionen dazu auf, unter Berücksichtigung evangelischer Entwürfe »die Sünde in ihrer Tiefe und Macht noch radikaler ernst zu nehmen« (227).
Bezüglich der »Christologie« kam es nach Karlheinz Ruhstorfer »in jüngerer Zeit sowohl zu einer Differenzierung, Pluralisierung, aber auch zu einer Schwächung der christologischen Ansprüche« (233). Letzteres könne vor dem Horizont der Kenosis Gottes in Christus (selbstgewählte Schwachheit) hermeneutisch sogar als Hilfe für das Verständnis des Verhältnisses Gottes zur Welt dienen. Dabei seien drei theologische Entwicklungsphasen mit ihren für das Christusereignis grundlegenden Dimensionen miteinander zu vermitteln: Die onto-theo-logische Phase, die in der Patristik und Scholastik bei der Gegenständlichkeit bzw. Objektivität Christi einsetze und in der Neuzeit bei der Subjektivität – und die viel-fach mit der noumenalen Dimension des göttlichen Gedankens verbunden sei (Fleischwerdung des Logos bzw. der Idee Gottes in Christus). In der bio-anthropologischen Phase (anthropologische Wende) spiele die phänomenale Dimension eine besondere Rolle (Weltlichkeit von Jesu Leben und Sterben), während in der postmodernen tele-semeio-logischen Phase die metaphorische Dimension der Sprache und Zeichen (Jesus wird zum Gegenstand des »symbolon«) in den Vordergrund trete. Im dann folgenden Beitrag zur »Soteriologie« entwickelt Nikolaus Wandinger vor dem Hintergrund bisheriger soteriologischer Modelle eine »Dramatische Erlösungslehre als integratives Modell« (290), das von der (dramatischen) Interaktion zwischen Gott und Mensch in der Heilsgeschichte ausgeht, um den Sinn unterschiedlicher soteriologischer Aussagen transparent werden zu lassen. So seien etwa Kreuz und Auferstehung vor dem Hintergrund menschlichen Handelns als Reaktion Gottes bzw. als neue Gestalt der Erlösung erkennbar.
Im Beitrag zur »Pneumatologie« stellt Bernhard Nitsche die umfassende Bedeutung der Pneumatologie und des dritten Glaubensartikels für Theologie und Kirche heraus, die er in der katholischen Theologie noch nicht genügend verinnerlicht sieht. Eine solche Verinnerlichung bedürfe der angemessenen trinitätstheologischen Zuordnung des Heiligen Geistes, die über die westliche Tradition hinaus im Rückgriff auf die kappadozische Theologie auch die aktive Personalität des Geistes wahrnimmt. Nitsche erörtert die ekklesiologischen Konsequenzen dieser trinitätstheologischen Besinnung sowie Fortschritte hinsichtlich der Filioque-Kontroverse. Hier ließe sich über die von ihm gezeigten Perspektiven hinaus darlegen, wie die Lösung des Filioque-Problems im Rückgriff auf die kappadozische Theologie durch die Wahrnehmung des differenzierten Zusammenspiels von innertrinitarischen Ursprungs- und Existenzbeziehungen möglich wird, was hier im Einzelnen nicht ausgeführt werden kann. Zum Traktat der »Gnadenlehre« gibt Ulli Roth einen Überblick über gegenwärtige Ansätze der Gnadentheologie in ihrer Anknüpfung an die verschiedenen theologischen Epochen. Er beobachtet, dass durch diese Anknüpfungen die wesentlichen Stationen der Theologiegeschichte mit ihren Ausprägungen präsent sind, woraus sich »für die heutige Gegenwart ein Zugleich des geschichtlich Ungleichzeitigen« (392) ergebe. Angesichts der aktuellen pluralen Herausforderungen seien die verschiedenen Ansätze mit ihren jeweiligen Möglichkeiten wahrzunehmen, unter Berücksichtigung ihrer gemeinsamen Zielrichtung, der »Zuwendung Gottes in Jesus Christus« (392). Der Beitrag zur »Mariologie« von Manfred Gerwin enthält einen Blick auf neuere Literatur zum Thema sowie den Versuch, auf biblischer und dogmengeschichtlicher Grundlage Perspektiven für die Ge­genwart zu finden.
Die »Ekklesiologie« steht laut Gregor Maria Hoff in der ka-tholischen Theologie an der Schnittstelle von Lehramt, wissenschaftlicher Reflexion und externen Diskursen (z. B. Kulturwissenschaften). In diesem Spannungsfeld wird die Befreiungstheologie ebenso erörtert wie die trinitätstheologisch begründete Communio-Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, und zwar in kritischer Auseinandersetzung mit Verlautbarungen der römischen Glaubenskongregation. Ferner werden die positiven ökumenischen Einflüsse und die durch externe Aspekte verursachten pluralen Modellierungen katholischer Kirchlichkeit bedacht (z. B. Säkularisierung, Migration), um vor diesem Hintergrund differenztheologische Umstellungen zu erörtern, die aus »der machtbasierten Religionsgemeinschaft Kirche […] eine kirchliche Pastoral gemeinschaft werden« (464) lassen. Diese gründe wie die anderen Konfessionen auf Schrift, Tradition und Kirchengeschichte, so dass sich alle dem gemeinsamen »Authentifizierungsprozess« (465) unterstellen können. Der Beitrag »Allgemeine Sakramentenlehre« von Stefan Oster entwickelt angesichts des dramatischen Einbruchs kirchlicher sakramentaler Praxis eine Theologie der Gabe, die Sakrament als »dialogisches Geschehen von Geben und Empfangen, von Wort und Antwort, von gegenseitiger Hingabe« (505) ver­steht. Allerdings endet der Beitrag in einer fragwürdigen mariologischen Zentrierung. Im abschließenden Beitrag zur »Eschatologie« betont Thomas Marschler, dass sich die Aufwertung der Eschatologie im Katholizismus nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil unter Rückgriff auf die fortgeschrittenere Entwicklung im Protes­tantismus vollzog. Entsprechend analysiert er aktuelle eschatologische Konzeptionen in ökumenischer Perspektive. Durch die trinitarische Entfaltung der Eschatologie (vgl. 519 ff.) tritt deren Vernetzung mit allen Feldern der Dogmatik hervor. Dabei un­terstreicht Marschler den Zusammenhang von präsentischer und futurischer Eschatologie, der etwa im Dialog mit naturwissenschaftlichem Wirklichkeitsverständnis bedeutsam sei, insofern als das Vollendungshandeln Gottes an Mensch und Kosmos nicht auf eine existentialistisch-anthropozentrische Perspektive reduziert werden dürfe.
Insgesamt bietet der Band mit seinen inhaltsreichen Beiträgen zu den zentralen theologischen Fragestellungen nicht nur einen differenzierten Überblick über die aktuellen Entwicklungen in der katholischen Dogmatik, sondern er gibt durch die ökumenische Orientierung auch einen Einblick in entsprechende evangelische Entwürfe und die gegenseitigen theologischen Einflüsse.