Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2016

Spalte:

192-194

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Seebass, Horst

Titel/Untertitel:

Numeri (Kapitel 1,1–10,10).

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. X, 291 S. = Biblischer Kommentar Altes Testament, IV/1. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-7887-2547-1.

Rezensent:

Reinhard Achenbach

Mit dem Erscheinen des letzten Bandes seines Numeri-Kommentars hat Horst Seebass ein Werk vollendet, dessen Ausarbeitung ihn – zum Teil belastet durch schwere Krankheit – 19 Jahre in Anspruch genommen hat. Die Konzeption der Kommentarreihe erfordert eine Vertiefung in der Behandlung aller komplexen Traditionsprozesse der Entstehungsgeschichte des Buches und des Pentateuch, die besonders auch angesichts der massiven Umbrüche in der Pentateuchforschung während der letzten Jahrzehnte offensichtlich nur mit größter Ausdauer und Konzentration zu bewältigen ist.
Dass die ersten Faszikel mit dem Ende von Num 10 einsetzten, war seinerzeit sicherlich noch dem Umstand zu schulden, dass die Grundkonzeption sich den Arbeiten von Martin Noth verpflichtet fühlte, welche S. fortzuführen gedachte. Dabei drängte sich ihm angesichts der seit den 70er Jahren vermehrten Zweifel an der Konsistenz der traditionellen Urkundenhypothese die Notwendigkeit auf, einen neuerlichen, auf solideren Argumentationen beruhenden Nachweis über die Berechtigung der Nothschen Grundannahmen zu führen. Ausgangspunkt war und blieb eine Rekonstruktion einer Grunderzählung der Priesterschrift (Pg), die nach seiner Ansicht Teile von Num 1–4; 10; 13 f.; 20 und 27 umfasste. Der »Jahwist« (J) aus dem 8. Jh. v. Chr. ließ sich indes nur fragmentarisch rekonstruieren (in 10,29–32; 12*; 13 f.*; 16*; 20–25*; 32*), wobei S. zum Teil auch eigenwillige Perspektiven konstruierte, worin er kaum Gefolgschaft fand (so für Num 11*). Auch an der Annahme, dass in Num 22–24 ein Fragment des »Elohisten« (E) verarbeitet worden sei, hielt er fest. Spuren deuteronomistischer Redaktion aus dem 6. Jh. an J und E und die Verbindung mit Pg im 5. Jh. führten zum literarischen Grundbestand des Buches. Eine sukzessive Verteilung der übrigen priesterlichen Gebotstexte auf Folgegeschichten einer in sich unabhängigen Priesterschrift in der Linie von Elliger oder Noth (Ps, Pss usf.) wollte indes nicht gelingen.
Entscheidenden Einfluss auf eine neue Sicht der Dinge hatte die Arbeit von M. Douglas, In the Wilderness. The Doctrine of Defilement in the Book of Numbers, JSOT.S 158, 1993. Douglas erklärte den Aufbau des Buches, in dem sich erzählende Passagen (Num 1–4; 7–8; 10–14; 16–17.20–25.31–33*) mit vornehmlich auf die Heiligung, institutionelle Ordnung und Reinheit der Kultusgemeinde ausgerichteten Gesetzen abwechseln (Num 5–6; 9; 15; 18–19; 26–30; 33,50 ff.; 34–36), als das Ergebnis einer priesterlich-schriftgelehrten Komposition. Sie gab dem Numeribuch ein eigenes Gepräge im Sinne einer sich aufgrund ihres besonderen Erwählungsbewusstseins aussondernden Gemeinschaftsbewegung innerhalb des Ju­dentums. S. modifizierte diese These dahingehend, dass er für das Numeribuch als solches eine eigene »Numeri-Komposition« re­konstruierte. In ihr waren seiner Ansicht nach die von R. P. Knierim, Numbers, FOTL IV, 2005, aufgewiesenen Einzelüberlieferungen des Buches durch priesterliche Schriftgelehrtheit in eine selbständige Erzählung von einer »Heiligtums-geführten Kampagne aus der Sinaiwüste ins Land« (BK IV,1, 2) integriert worden. Der so etablierte neue Narrativ von einer Kampagne der israelitischen Kultusgemeinde lautete: »Diese scheiterte an der Glaubensverweigerung der Israeliten nach Num 13–14, so daß eine ganze Generation in der Wüste versterben sollte.« (2 f.*) Die folgende Generation erreichte lediglich die Vorbereitung der Landnahme. »Dabei ist u. a. bezeichned, daß zwar die neue Generation nicht ohne das Jahwe-Heiligtum hatte sein müssen […], aber nun nicht mehr unter Jahwes Führung stand.« (3*) – Der Kompositionsschicht aus der 1. Hälf-te des 4. Jh.s rechnet S. Num 5,5–6,21; 8,23–26; 10,1–10; 15,37–41; 18?; 19,1–22; 21,33–35?; 27,1–11; 28,1–30,17; 35,9–34 zu, mit späteren Er­gänzungen. Das Buch nimmt somit unter den fünf Büchern des Pentateuch eine gänzlich eigene Stellung ein. Selbst vom Leviticusbuch ist das Buch konzeptionell abgegrenzt: nach Lev 1,1 empfängt Mose seine Offenbarungen »vom Zelt der Begegnung« her, nach Num 1,1 aber vernimmt er sie »im Zelt«, das somit nicht allein zum Ort göttlicher Präsenz und des Kultus wird, sondern auch zum »Kommandostand Jahwes als Kriegsherr«. Erst nach seiner Eingliederung in den Chumasch seien Num 7,1–88; 9,1–14 und 31,1–54 als »kanonische Nachträge« hinzugekommen. So hat S. selbst im Verlauf der Kommentierung die klassische These einer von Gen bis Dtn reichenden »Priesterschrift« in großen Teilen aufgeben und grundlegend modifizieren müssen. Mit großer Eindringlichkeit und Liebe zum Detail geht er den Verästelungen der priesterlichen Konzeptionen nach. Diese betreffen keineswegs die institutionellen Ordnungen des priesterlichen und levitischen Dienstes, deren theologische Hintergründe, die Modifizierungen kultischer Präsenztheologie, die Symbolik der kultischen Gegenstände, die Ethik einer um Sakrifizierung des Alltags bemühten Kultusgemeinschaft, neue religiöse Lebensformen wie die des Naziräats, die besonderen theologischen Akzente des Aaronitischen Segens (hierzu 167–177).
Die Auslegung bemüht sich, die Perspektiven der jüdischen und der christlichen Rezeption der Texte zu würdigen und einzubeziehen. Zu einem der spätesten Texte, dem Gebot zur Anfertigung von Signal-Trompeten, beschreibt er deren kultische Bedeutung am zweiten Tempel und in Qumran und verweist abschließend auf die symbolische Bedeutung der sieben Trompeten in Offb 8,6–13; 9,1.13; 10,7, welche dazu bestimmt sind, »den Untergang der bösen Welt anzukünden, aber auch die siebte Trompete zur Anzeige des Christus/Messias-Sieges.« (BK IV,1, 243)
Am 12. April 2015 ist Horst Seebass in Ladbergen bei Münster verstorben.