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Ausgabe:

März/2016

Spalte:

187-189

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ben Zvi, Ehud, and Christoph Levin [Eds.]

Titel/Untertitel:

Thinking of Water in the Early Second Temple Period.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. XVI, 485 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 461. Geb. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-034882-8.

Rezensent:

Sara Kipfer

Der Sammelband geht auf einen Workshop zurück, der vom 7. bis 11. Mai 2012 in Edmonton stattfand; er wurde durch die Katholische und Protestantische Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und das Department of History and Classics sowie das Programm of Religious Studies an der Univer-sity of Alberta organisiert. Die in diesem Rahmen gehaltenen Vorträge wurden durch zusätzliche Beiträge ergänzt.
Wasser ist die Grundlage allen Lebens auf der Erde. Nicht erst heute – angesichts von Klimaveränderungen und Bevölkerungswachstum – ist das Thema der Wasserversorgung eines der zen-tralsten der Menschheit geworden. Im semiariden Klima Israels spielte Wasser immer eine zentrale Rolle – so Christoph Levin in seiner Einleitung des Bandes (Introduction, 1–10). Warum sich der vorliegende Band auf die persische und den Beginn der hellenis-tischen Zeit konzentriert, sei auch eher ein pragmatischer Entscheid (»guided by practical considerations«, 1 f.) und weniger in­haltlich begründet.
Ehud Ben Zvi nennt in seiner »Exploration« (Thinking of Water in Late Persian/Early Hellenistic Judah: An Exploration, 11–28) zwei mögliche Zugänge, sich dem Thema des Sammelbandes zu nähern: Zum einen wäre dies die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis (»social memory«, 12) und entsprechend die Beschäftigung mit zentralen Gewässern (Meeren, Flüsse, Quellen) und Ereignissen, zum anderen die Annäherung über Metaphern, in denen Wasser eine zentrale Rolle spielt – etwa Jhwh als Quelle lebendigen Wassers oder Jhwh als Regen. In beiden Fällen geht es dabei um die Rekonstruktion der Bedeutung von Wasser »that existed within the general social mindscape of the relevant communities and the social and cognitive roles associated with ›thinking of water‹« (13). Ehud Ben Zvi nennt hierfür ein paar Beispiele, und Samuel I. Thomas untersucht in seinem Beitrag weitere Metaphern in Texten aus Qumran, in denen Wasser eine Rolle spielt (Living Water by the Dead Sea: Some Water Metaphors in the Qumran Scrolls, 375–392). Sonya Kostamo (Imaging Water: The Overflowing Stream in Isa 66:12, 149–164) greift ein Charakteristikum des Wassers, nämlich das »Strömen«, »Überfluten« (ףטש), heraus und zeigt die damit verbundenen positiven und negativen Konnotationen auf. Reinhard Müller (Adad’s Overflowing Scourge and the Weather God of Zion: Observations on Motif His-tory in Isa 28:14–18, 257–277) knüpft (implizit) daran an und fokussiert insbesondere auf den machtpolitischen Faktor des Wassers. Um Machtpolitik und Propaganda kreist schließlich auch der Beitrag von William S. Morrow (Water Control and Royal Propaganda: Sennacherib’s Boast in 2 Kgs 19:24 [= Isa 37:25], 317–337).
Martti Nissinen (Sacred Springs and Liminal Rivers: Water and Prophecy in the Ancient Eastern Mediterranean, 29–48) und Stéphanie Anthonioz (Water[s] of Abundance in the Ancient Near East and in Hebrew Bible Texts: A Sign of Kingship, 49–75) gehen von altorientalischen Texten aus und weisen auf die ambivalente Bedeutung des Wassers, seine schöpferische und zerstörende Kraft hin. Ein noch allgemeinerer religionsgeschichtlicher Überblick findet sich bei James R. Linville (The Fluid Boundaries of Life, the Uni-verse and Yahweh, 393–407), der mit Verweisen auf Tao Te Ching, Claude Lévi-Strauss, Victor Turner u. a. zum vereinfachten Schluss kommt, dass »Yahweh himself represents a significant mode for thinking about water«. (Dieser Artikel passt schon allein aufgrund seines Stils nicht so recht in den Sammelband. Auf Seite 401 referiert Linville ausführlich Ehud Ben Zvi, meint wohl aber Christoph Levin.)
Kåre Berge (Polluted, Bitter, and Sweet Water as a Matter of Ethnic Identity-Formation in Persian Yehud, 103–121) und Ian Douglas Wilson (The Song of the Sea and Isaiah: Exodus 15 in Post-monarchic Prophetic Discourse, 123–147) widmen sich der Auslegung von Ex 1–15. Der Gewinn für das Thema »Wasser« ist in diesen beiden Beiträgen allerdings eher marginal. Ähnliches gilt auch für die redaktionsgeschichtlichen Beiträge von Hermann-Josef Stipp (»But into the Water You Must Not Dip It« [Jeremia 13:1] – Methodological Reflections on How to Identify the Work of the Deuteronomistic Redaction in the Book of Jeremiah, 167–195) und Christoph Levin (Drought and Locust Plaque in Joel 1–2, 197–228).
Mehrere Beiträge widmen sich der Bedeutung von Wasser in seinen unterschiedlichen Formen wie beispielsweise Regen, Schnee oder Tau in einzelnen biblischen und apokryphen Büchern, etwa im Buch Hiob (Urmas Nõmmik, Thinking of Water in the Book of Job: A Fluvial Introduction to the Job Literature, 279–298), den Kö­nigebüchern (Juha Pakkala, Water in 1–2 Kings, 299–315) oder in der henochischen Literatur (Peter Juhás, Dew in the Enochic Literature, 359–373). Peter Sabo (Drawing Out Moses: Water as a Personal Motif of the Biblical Character, 409–436) weist auf die Bedeutung des Wassers in der Mose-Erzählung hin.
Louis Jonker (Manasseh in Paradise? The Influence of ANE Pal-ace Garden Imagery in LXX 2 Chronicles 33:20, 339–357) und Francis Landy (Fluvial Fantasies, 437–455) widmen sich je einem Phänomen, das eng mit Wasser verknüpft ist, nämlich dem Garten und den Paradiesvorstellungen auf der einen und konkreten, aber auch imaginierten Flüssen (beispielsweise die Flüsse in Eden) auf der anderen Seite. Die einzelnen Beiträge nennen Quellen – etwa Gihon (2.12.444–447), Flüsse – etwa Jordan (2.12.42.163 f.302 f.), Euphrat (2.64.175 f.443 f.), Tigris (44.64), Ulaya (45 f.) oder Nil (2.64.77–102) – und Meere – etwa das Mittelmeer (2.12) oder das Rote Meer (2.12.42.64). Diana Edelman geht in ihrem Beitrag (The Nile in Biblical Memory, 77–102) von einem Fluss – in diesem Fall dem Nil – aus und analysiert die Assoziationen, die in hellenistischer Zeit mit ihm verbunden wurden.
Weitere Bezüge zu konkreten Gewässern, etwa auch in Transjordanien (Yarmuk, Jabok etc.), wichtige Quellen wie beispielsweise Dan (Tell el-Qāḍī) oder Zisternen wie beispielsweise Beerscheba (Tell es-Seba‘) sucht man allerdings in dem Band vergeblich. Ein Autoren- und ein Stellenregister runden den Band ab. Hilfreich wäre in diesem Fall auch ein Sachregister gewesen.
In den letzten Jahren sind vereinzelt Publikationen zu Klima, Wasserversorgung und Wassertechnologie (etwa zur Wasserversorgung Jerusalems in hasmonäischer Zeit etc.) in Israel/Palästina erschienen. Es scheint daher durchaus berechtigt, dass der vorliegende Sammelband nicht einen archäologisch-historischen, sondern einen »gedächtnistheoretischen« Ansatz wählt. Es ist hingegen bedauerlich, dass in zahlreichen Aufsätzen der Bezug zur so-genannten »Early Second Temple Period« (ca. 520–332 v. Chr. be­ziehungsweise bis 146 v. Chr.) fehlt. Die These, das Thema hätte genau in dieser Epoche die biblische Literatur »enduringly influenced« (1), wird in keinem der Beiträge deutlich. Auf die politischen, sozialen und religionsgeschichtlichen etc. Hintergründe der Epoche wird kaum eingegangen. Eine Ausnahme bildet etwa der Artikel von Bob Becking (Coping with Drought and Famine in some Post-Exilic Texts, 229–255), der den Mangel an Wasser und die entsprechenden Bewältigungsstrategien in Neh 5, Ps 126 und Hag 1 untersucht und auch die Klima- und Wirtschaftsgeschichte mitberücksichtigt. Bedauerlich ist zudem, dass vielfach vor lauter untersuchten Nebenaspekten das eigentliche Thema – nämlich die exis­tentielle Bedeutung des Wassers und deren Reflexion – auf der Strecke bleibt.
Nichtsdestotrotz finden sich in diesem Band zahlreiche wich-tige Forschungsbeiträge. Der eine oder andere eröffnet auch neue und ungewohnte Perspektiven auf das wichtige und bislang kaum untersuchte Thema »Thinking of Water«.