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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

139-140

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

[Muller, Richard A.]

Titel/Untertitel:

Church and School in Early Modern Protestantism. Studies in Honor of Richard A. Muller on the Maturation of a Theological Tradition. Ed. by J. J. Baller, D. S. Sytsman, and J. Zuidema.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. XXVII, 799 S. m. 4 Abb. = Studies in the History of Christian Traditions, 170. Geb. EUR 189,00. ISBN 978-90-04-25828-0.

Rezensent:

Stefanie Pfister

Der von Jordan J. Ballor (Dr. theol., Zürich), David Sytsma (Ph. D., Princeton Theological Seminary) und Jason Zuidema (Ph. D., McGill) – als Festschrift für den amerikanischen Theologen Richard A. Muller – herausgegebene Band »Church and School in Early Mo­dern Protestantism« beschreibt als personengeschichtliche bzw. biographisch orientierte Studie die historischen Verbindungsli-nien zwischen Kirche und Schule im 16., 17. und 18. Jh. In fünf unterschiedlichen Epochen- bzw. Themenblöcken – First Genera-tion Reformers (ca. 1517–1535), Second Generation Reformers (ca. 1535–1565), Early Orthodoxy (ca. 1565–1640), High Orthodoxy (ca. 1640–1725) und Late Orthodoxy (1725–1790) – schildern die Autoren aus der je spezifischen Perspektive verschiedene Entwicklungsprozesse von Kirche und Schule im frühen Protestantismus anhand von jeweils relevanten Personen.
Dementsprechend weist Carls R. Truemann (Ph. D., Aberdeen) einführend darauf hin, dass theologische und dogmatische Aussagen immer historisch kontextualisiert und nicht losgelöst von der Biographie der entsprechenden Personen betrachtet werden sollten. Denn oft seien theologische Aussagen vom historischen Kontext abstrahiert und damit wenig nachvollziehbar: »[…] ideas are the actions and the instruments of real people whose identity and whose lives cannot be reduced to a set of abstract principles« (xxviii). Erst mit einer historisch-biographischen Verortung sei ein anderes Verständnis von theologischen Aussagen möglich oder in Richard Mullers Worten: »Not everything which itself in a historical text as a doctrinal problem necessarily has a doctrinal cause or a doctrinal so­lution.« (xxvii) So lautet der Titel von Truemanns Einführungskapitel auch kurz »The Dogma ist not necessarily the drama« (xxvii). Mit dem Verweis auf Mullers Forschungsarbeit betont Truemann damit die Zielsetzung des Bandes: »The history of theology is not just the history of doctrinal debates, nor of exegesis. It is the history of real people acting in real concrete circumstances.« (xxx)
Im ersten Teil First Generation Reformers (ca. 1517–1535) werden insbesondere die Reformatoren wie Martin Luther, Philipp Melanchthon und François Lambert Avignon in ihren zeitgenössischen Zusammenhängen dargestellt. So weist Timothy J. Wengert (Ph. D., Duke) Wittenberg als das theologische Zentrum für Philipp Melanchthons Denken aus: »Here Melanchthon’s concern for erudition and clarity and his insistence on the loci method for biblical interpretation and theology, grounded in the fathers and the confession presented at Augsburg, came to full expression.« (32) Fred P. Hall (Ph. D., Fuller Theological Seminary) beschreibt im Hinblick auf Martin Luther zudem verschiedene Einflussfaktoren wie Erziehung, universitäre und klerikale Ausbildung, Philosophie, Scholas­tik, Humanismus, Personen wie Johann von Staupitz und Augus­tin und deren Konsequenzen für Luthers theologische Aussagen: »Influences on Martin Luther, beginning with the tough discipline of Hans and Margaretta, followed by rigorous studies in university and monastery and capped by his dependance upon the powerful work of the Holy Spirit through God’s Word produced a man whose influence subsequently reformed the church and education. His influence still permeates the lives of the faithful today.« (66)
Im zweiten Teil Second Generation Reformers (ca. 1535–1565) geht es weitgehend um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Schrift- und Theologieverständnis von Johannes Calvin, Heinrich Bullinger, Wolfgang Musculus und Peter Martyr Vermigli. Zudem be­schreibt Emidio Campi (Dr. theol., Prag) die Biographie des Marquis Galeazzo Caracciolo, der in Neapel zum Protestantismus fand und ab 1551 in Genf federführend in einer italienischen Calvinistengemeinde wirkte. Deutlich spiegelt sich in allen Ausführungen der Grundgedanke Calvins wider, dass Erziehung und Bildung als ein wichtiger Bestandteil der Kirche gelten, damit Christen auch verstehen, was sie glauben.
Auch der dritte Teil Early Orthodoxy (ca. 1565–1640) beginnt mit einem biographischen Überblick von Raymond A. Blacketer (Ph. D., Calvin Theological Seminary): Der Genfer Theologe Theodor von Beza wird vorgestellt, der über 50 Jahre lang Calvins Gedanken in Schriften und in Disputationen verteidigte und verbreitete. Es folgen Kapitel zum Theologen Giovanni Diodati, der 1607 die Bibel ins Italienische übersetzte, zum Theologen und Schriftsteller Johannes Piscator, zum Pädagogen und Theologen Johann Gerhard, welcher theologische Abhandlungen mit praktischen Umsetzungshinweisen schrieb, und zum Nassauer Theologen und Pädagogen Johann Heinrich Alsted. Dessen pädagogische und theologische Auffassung, dass der Mensch als tabula rasa von Beginn an im Sinne der Gottebenbildlichkeit im behüteten Garten Eden – wobei dieser Garten als die erste Schule Gottes gilt – gebildet werden könne, führte neben seiner umfassenden Sammlung enzyklopädischer Bände dazu, dass er sich für die Einrichtung öffentlicher Schulen einsetzte. Insbesondere durch seinen Schüler Johann Amos Comenius konnten dessen pädagogische Bemühungen erfolgreich umgesetzt werden. Es folgt ein biographischer Überblick zum englischen Puritaner Laurence Chaderton, der einer der Übersetzer der King James Bibel war. Darüber hinaus werden bedeutsame Orte des reformatorischen Wirkens beschrieben, z. B. die Universität in Heidelberg, das Danziger Akademische Gymnasium im 17. Jh., die Universität in Leiden und weitere reformatorische Bildungsprozesse und -stätten, z. B. in Genf, in den Niederlanden und Wirkungsprozesse bis nach Ostindien.
Im vierten Teil High Orthodoxy (ca. 1640–1725) folgen hauptsächlich Ausführungen zu den niederländischen Reformatoren wie den Theologen Gisbert Voetius, Johannes Cocceius, Anna Maria von Schürmann, Simon Oomius Cornelius und Hendrikus Elleboogius. Ebenfalls werden die theologischen Grundgedanken des englischen Theologen John Howe und von Gottfried Wilhelm Leibniz vorgestellt.
Abschließend werden im Teil Late Orthodoxy (ca. 1725–1790) u. a. die Schweizer Theologen François Turrettini und dessen Sohn Jean-Alphonse Turrettini vorgestellt, wobei hier die sich anbahnenden Bezüge zum Pietismus und zur Aufklärung deutlich werden, ebenfalls sichtbar beim amerikanischen Erweckungsprediger Jonathan Edwards. Dieser Teil wird mit einem Kapitel zur Bristol Aca-demy im 18. Jh. abgeschlossen. Vorangestellt sind den Epochenteilen ein Abbildungsverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Verzeichnis der Autoren. Den Abschluss bildet nach den fünf Themenblöcken eine Bibliographie der Werke von Richard A. Muller.
Insgesamt bietet dieser Band spezifische Einblicke in die historisch-theologische, weniger jedoch (religions)pädagogische Forschung. Ein Grundlagenwerk, welches in systematischer Hinsicht die Zusammenhänge zur Entwicklung des Schulwesens hinsichtlich kirchlicher Einflüsse aufführt, liegt demnach nicht vor. Die Beiträge verschiedener Fachwissenschaftler zeigen jedoch dezidiert und anschaulich die Bedeutung verschiedener Theologen für den frühen Protestantismus auf, wobei deren theologische Schriften, persönliche Kontakte, Netzwerke und Diskurse im Mittelpunkt stehen, so dass man in der Tat besser nachvollziehen kann, welche Zusammenhänge zur Verbreitung des reformatorischen Gedankenguts geführt haben (könnten).