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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

121-122

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Grethlein, Christian

Titel/Untertitel:

Taufpraxis in Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 204 S. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03881-7.

Rezensent:

Christoph Müller

Christian Grethlein bringt in dem handlichen Band seine zahlreichen Publikationen zum Thema in einer ebenso engagierten wie reflektierten Arbeit auf den Punkt. Im Fokus steht die EKD.
Teil I wendet sich der Taufpraxis in der Geschichte: Kontinuität und Wandel (11–84) zu. Aus den neutestamentlichen Texten ergibt sich als zentrale Einsicht der im Christusbezug begründete inklusiv-egalitäre Charakter der Taufe. Sie widerspricht den in der Umwelt üblichen Exklusionen (Ethnie, soziale Klasse, Geschlecht) und er­möglicht eine fundamentale Öffnung für alle Menschen; damit bewahren die ersten christlichen Gemeinden die Erinnerung an einen »Grundimpuls von Jesu Wirken«. G. achtet in der Folge vor allem auf Transformationen, Überformungen und Reduktionen: von einem riskanten Initiationsritus zum selbstverständlichen Ausdruck einer Mehrheitsreligion, von der Gestaltung einer »mimetischen Lebenswende« zum formalisierten Eintritt in die hierarchisch strukturierte und auf dogmatische Korrektheit achtende Kirche. G. stellt dar, wie die Taufe immer stärker punktualisiert und ihre soteriologische Bedeutung auf den rituellen Vollzug eingeengt wird. An eindrücklichen Beispielen zeigt er, wie Macht- und Gewaltförmigkeit zu bestimmenden Faktoren der Taufpraxis werden.
Deutlich wird, wie in den reformatorischen Aufbrüchen die Taufe neu an theologischer Strahlkraft gewinnt – freilich eingeschränkt durch die Unterordnung der Taufe unter Wortverkündigung bzw. Gemeindebezug. Der Gewaltdiskurs zeigt sich paradigmatisch in der Exklusion der Täuferbewegung und der Diskriminierung von Müttern unehelicher Kinder. In der Neuzeit löst sich der Zwangscharakter bzw. die Selbstverständlichkeit der Taufe auf. Heute lässt sich eine erstaunlich große Attraktivität der Taufe beobachten.
Teil II: Taufpraxis in der Gegenwart: Pluriformität zwischen Selbstverständlichkeit und Optionalität (85–156) nimmt diese Veränderungen in den Blick. G. referiert Ergebnisse empirischer Stu-dien (1); diese widerlegen das verbreitete Klischee, dass die meisten Leute ihre Kinder gedankenlos taufen lassen; vielmehr setzen sie sich eigenständig mit Schlüsselerfahrungen wie Geburt, Tod, Zu­gehörigkeit, Suche nach Lebenssinn usw. auseinander. Aufschlussreiche Indikatoren für den Verlust bzw. Wiedergewinn des inklusiv-egalitären Charakters der Taufe sind Taufen armutsbetroffener und wegen ihrer sozialen Situation diskriminierter Familien.
Ebenso differenziert-informativ wie kritisch sind die Ausführungen zu kirchenamtlichen Bestimmungen und Orientierungen (2). G. stellt eine weitreichende Funktionalisierung der Taufe fest. Machtförmige Implikationen zeigen sich beispielhaft in der Koppelung von Taufe und Kirchenmitgliedschaft bei der Besetzung von kirchlichen/diakonischen Arbeitsplätzen, bei der Zurückweisung einer Patenschaft wegen nicht mehr bestehender Kirchenmitgliedschaft oder in der Frage der Taufe von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Die »strikte Unterordnung der Taufe unter den rechtlich gefassten Diskurs Kirche« (124) kollidiert mit der Wahr-neh­mung heutiger Lebenswelten; diese kommen in kirchlichen Stellungnahmen zur Taufe meist nur marginal in den Blick – ebenso wie die religiösen Kompetenzen der Taufeltern. Der komparative Aspekt (3) bringt einen informativen Überblick zur Ökumene.
Praktisch orientiert sind Anregungen und Modelle (4): von den »Berliner Tauf-Thesen« (1989) über Konzepte eines »tauforientierten Gemeindeaufbaus« zu Modellen der Tauferinnerung, zum Er­wachsenen-Katechumenat und zu den »Tauffesten«.
Im Teil III: Taufpraxis in der Zukunft: Kommunikatives und le­benspraktisches Potenzial (157–196) werden die Einsichten gebündelt. G. beschreibt das für ihn zentrale Konzept der Taufe als »Kommunikation des Evangeliums«. Die ursprünglich egalitär und in­klusiv geprägte Taufe soll ihr innovatives Potential entfalten. Be­deutung wird kontextuell, dialogisch, partizipativ und über »leibbezogene Zeichen« konstituiert. Machtförmige Implikationen und kirchliche Funktionalisierungen der Taufe dürfen nicht kritischer theologischer Reflexion entzogen werden. Eine »Umstellung der Logik kirchlichen Handelns« (193) erscheint dringlich – ebenso die Suche nach einem überzeugenderen Kirchenmitgliedschaftsrecht.
Die von G. entwickelten Leitlinien einer inklusiv-kommunikativen Tauftheologie und -praxis regen dazu an, sie ebenso kritisch auf andere liturgische Formen zu beziehen wie Schuld- und Glaubensbekenntnis, (biblische) Lesungen, Gebete, Lieder; ebenso auf essentielle Kontexte (z. B. Kasualgespräche oder die diakonische Dimension der Liturgie), auf die Trauung usw. Ich halte es für eine heilsame Herausforderung, die Taufe auch im und als Sonntagsgottesdienst so zu feiern, dass der (oft nicht dem kirchlich-liturgischen Binnenmilieu zugehörigen) Taufgesellschaft eine an­sprechende »Kommunikation des Evangeliums« zugänglich – und der Sonntagsgemeinde eine von hier aus gestaltete »inklusive« Liturgie erschlossen wird, in der die Taufe kein bloßer »Einschub« mehr ist.