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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

64-65

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gemeinhardt, Peter

Titel/Untertitel:

Antonius. Der erste Mönch. Leben – Lehre – Legende.

Verlag:

München: C. H. Beck 2013. 240 S. m. 20 Abb. u. 1 Kt. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-406-64658-4.

Rezensent:

Heinrich Holze

Worin liegt die Faszination des ägyptischen Mönchtums? In seinem Buch unternimmt der Göttinger Kirchenhistoriker Peter Gemeinhardt den Versuch, dem Phänomen der Wüstenväter auf die Spur zu kommen. Er tut dies, indem er eine Geschichte des Antonius entwirft, dessen Name zum Inbegriff asketischen Lebens geworden ist. Der Titel des Buches könnte dazu verleiten, eine Biographie aus der Zeit des altkirchlichen Ägypten zu erwarten. G. begibt sich jedoch auf einen Denkweg, auf dem er den Deutungen des Antonius von der Antike bis in die Gegenwart nachgeht und die Frage bedenkt, worin die Anziehungskraft dieses Einsiedlers über die Jahrhunderte hinweg bestand. Er führt die Leser langsam an den Gegenstand seiner Darstellung heran. Er weist darauf hin, dass es seit der hagiographischen Darstellung des jesuitischen Kirchenhistorikers Ludwig von Hertling (Innsbruck 1929) keinen Versuch mehr gegeben habe, Antonius biographisch zu würdigen. Ursache sei die schwierige Quellenfrage, die von der Forschung seit Langem kontrovers diskutiert werde, durch neuere Untersuchungen aber neue Impulse bekommen habe. G. vertritt die Überzeugung, dass die vorhandenen Quellen – die Vita Antonii des Athanasius, die Apophthegmata Patrum sowie die Briefe – durchaus, wenngleich auf unterschiedliche Weise, den Blick auf den historischen Antonius eröffnen.
So überrascht es nicht, dass er sich im »Leben und Lehre« überschriebenen ersten Teil der Darstellung an den biographischen Koordinaten der Vita Antonii orientiert. Anknüpfend an Athanasius beschreibt G. die Geburt des Antonius in einer koptischen Familie, seinen Entschluss zur Askese, den Rückzug in die Einsamkeit, den Kampf mit den Dämonen und die Entstehung von Mönchssiedlungen in der Wüste. G. verschweigt nicht, dass die Quellen nicht das Material für eine historische Biographie bieten, geht es ihnen doch darum, das Wirken Gottes an einer auserwählten Person aufzuzeigen. Gleichwohl geht er nicht so weit, die Texte als literarische Fiktionen zu beschreiben, sondern hält daran fest, dass sie einen Kern an historischer Wahrheit enthalten und darum als Zeugnisse gelesen werden können, die den Blick auf eine Person eröffnen, deren Lebensvollzüge sich in Zeit und Raum einordnen lassen. Dabei orientiert er sich vornehmlich an der athanasianischen Vita, wenn er den Lebensweg des Antonius, seine Reise nach Alexandrien, den Rückzug auf den äußeren und inneren Berg, die Wundertaten und Visionen, die Debatten mit den Arianern sowie die Umstände des Todes beschreibt, während er bei der Frage nach der Bildung des Antonius auch die Briefe und die Apophthegmata heranzieht.
Der zweite Teil der Darstellung lenkt den Blick auf die Wirkungsgeschichte des Antonius. G. hat diesen Teil mit der Überschrift »Legende« versehen und markiert damit einen deutlichen Abstand zum vorangehenden Kapitel. Das lässt fragen, ob die in dem Begriff »Legende« anklingende Wertung beabsichtigt ist. Sind nicht auch die ältesten Quellen als Literatur und damit als Teil der Deutungsgeschichte des Antonius zu verstehen? Lässt sich ein »Leben und Lehre« beschreibender historischer Kern von der nachfolgenden »Legende« unterscheiden? G. beschreibt in diesem Kapitel das »Nachleben« des Antonius in der Spätantike, im ägyptischen Mönchtum, in den lateinischen Übersetzungen, bei Hieronymus, Augustin und bei Martin von Tours. Außerdem geht er auf die Rezeptionen in Mittelalter und Früher Neuzeit ein. Er nennt den Antoniterorden und die Überlieferung der Legenda aurea, aber auch die Reformatoren, die Antonius trotz ihrer Kritik am Mönchtum als »Vorbild des Glaubens« würdigen konnten. Zur Wirkungsgeschichte gehören auch die ikonographischen Entwicklungen. G. verweist auf mittelalterliche Ikonen und Grabsteine sowie auf die Altargemälde von Martin Schongauer, Matthias Grünewald und Hieronymus Bosch. Das Fortwirken des ägyptischen Wüstenvaters zeigt sich schließlich in der Malerei des 19. und 20. Jh.s. G. nennt Félicien Rops und Max Ernst, die in ihren Gemälden das Motiv der Versuchung symbolistisch bzw. surrealis­tisch deuten und damit den Weg des Antonius in die Literatur eines E. T. A. Hoffmann oder Gustave Flaubert ebnen.
Abschließend betont G., dass es ihm nicht darum gegangen sei, »eine Biographie im modernen Sinne« zu schreiben, sondern darum, »die ›hagiographische Plausibilität‹ der Gestalt des Antonius« zu erhellen. Diese bestehe darin, dass Antonius geistlich gewirkt, Menschen um sich gesammelt, die lebensfeindliche Wüste zum Lebensraum gemacht und in seinen Worten einen Weg aufgezeigt habe, wie der Mensch zur Gemeinschaft mit Gott zurückfinden könne. Wie ein Blick in aktuelle Literatur zur Spiritualität zeigt, ist »die Faszination des Antonius« ungebrochen. G. bietet mit seinem Buch eine instruktive Hinführung zu einer der wirkmächtigsten Gestalten der Kirchengeschichte.