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Ausgabe:

Januar/2016

Spalte:

144-157

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Charlotte Köckert

Titel/Untertitel:

Fontes Christiani

Neuerscheinungen 2011–2013

Seit gut 25 Jahren erscheinen in der Reihe Fontes Christiani christliche Texte der Antike und des Mittelalters in modernen, zweisprachigen Ausgaben. Die Reihe richtet sich nicht nur an ein fachwissenschaftliches Publikum, sondern möchte darüber hinaus einer »breiteren, theologisch und kulturell aufgeschlossenen Öffentlichkeit« wichtige Texte der christlichen Tradition erschließen. Die ersten beiden Staffeln waren im Herder Verlag erschienen. Die dritte Staffel brachte der Verlag Brepols heraus. Mit der vierten Staffel kehrte die Reihe im Jahr 2011 wieder in den Herder Verlag zurück. Dieser Artikel stellt die Neuerscheinungen der Jahre 2011 bis 2013 vor.

Ein Hauptwerk des bedeutendsten christlichen Theologen des 3. Jh.s eröffnet die neue Staffel: die Apologie des Origenes gegen den Philosophen Celsus.1 Sie führt mitten in die Auseinandersetzungen hinein, die das entstehende Christentum in den ersten Jahrhunderten mit seiner Umwelt führte. Im Unterschied zu den meisten Werken des Origenes ist seine Schrift gegen Celsus vollständig im griechischen Original erhalten.

Celsus war ein platonischer Philosoph. Gegen Ende der Regierungszeit Mark Aurels (161–180) verfasste er einen Traktat mit dem Titel Alethes Logos/Wahre Lehre. Mit ihr richtete er sich gegen das Christentum und vor allem gegen dessen Anspruch, die wahre Philosophie zu sein. Diesen Anspruch hatten christliche Theologen ab der zweiten Hälfte des 2. Jh.s erhoben. Die Schrift des Celsus kann als eine Reaktion auf christliche Programme wie zum Beispiel die Logos-Lehre Justins gelesen werden. Justin, der zur Zeit Mark Aurels als christlich-philosophischer Lehrer in Rom lehrte, hatte damit das Christentum als treue Bewahrerin der wahren Philosophie gegen die in seinen Augen dekadente Vielzahl der paganen Philosophenschulen in Stellung gebracht. Celsus warf nun seinerseits dem Christentum mangelndes philosophisches Ethos, intellektuelle Armseligkeit und die Aufsplitterung in obskure Sekten vor. Darin werde deutlich, dass es sich noch stärker als das Judentum vom einheitlichen Ursprung der wahren Lehre entfernt habe.

Rund 70 Jahre später führt nun Origenes, ein christlich-philosophischer Lehrer in Caesarea, den Schlagabtausch zwischen paganen und christlichen Philosophen fort und verteidigt das Chris-tentum: Er zeigt die Glaubwürdigkeit der christlichen Tradition auf, er verteidigt den philosophischen Charakter der biblischen Schriften und er weist nach, dass die Christen keineswegs die unvernünftigen, abergläubischen und ungebildeten Zeitgenossen seien, als welche Celsus sie darstellt. Zu diesem Zweck führt er vor, dass sie mit den philosophischen Traditionen bestens vertraut sind. Kreativ verwendet Origenes zeitgenössische philosophische Argumente, um umstrittene christliche Lehren wie z. B. die Auferstehung des Leibes, die Einheit von menschlicher und göttlicher Natur in Jesus Christus oder den Ausgang des Sohnes aus Gott Vater zu erklären und gegen Missverständnisse abzusichern.

Origenes tritt aggressiv gegenüber Celsus auf. Er nimmt seinen Gegner und dessen Angriffe auf das Christentum sehr ernst. Das spiegelt sich auch darin wider, dass er die Schrift des Celsus ausführlich zitiert und große Anstrengungen unternimmt, die Vorwürfe des Platonikers zu entkräften. Die Angriffe des Celsus gegen das Christentum spielten offenbar noch Mitte des 3. Jh.s eine Rolle und beschäftigten die christlichen Gemüter. Origenes wurde von seinem Mäzen Ambrosius dazu gedrängt, die Vorwürfe des Celsus zu widerlegen. Seine Schrift diente wohl in erster Linie der Selbstvergewisserung gebildeter Christen.

Die Schrift des Celsus ist nicht mehr erhalten. Ihr Aufbau und Argumentationsgang lassen sich aber aus der Streitschrift des Origenes erheben. Johannes Arnold hat in seiner bislang unveröffentlichten Habilitationsschrift einen neuen Rekonstruktionsversuch unternommen. Einige seiner Ergebnisse hat er inzwischen in einem Aufsatz zusammengefasst, der den Herausgebern der neuen Ausgabe von Contra Celsum noch nicht vorlag: Unordnung, be­dingt durch Hass? Origenes und die Struktur von Celsus’ Alethes Logos, in: Origeniana Decima: Origen as Writer, hrsg. v. Henryk Pietras und Sylwia Kaczmarek (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovanensium 244), Leuven u. a. 2011, 267–280. Arnold plant außerdem eine neue Ausgabe der Fragmente, die als Ergänzungsband innerhalb der Fontes Christiani erscheinen soll.

Die neue Ausgabe von Origenes’ Schrift gegen Celsus wurde von Michael Fiedrowicz (Einleitung und Kommentar) und Claudia Barthold (Übersetzung) besorgt. Ihr liegt im Wesentlichen der griechische Text der Edition zugrunde, die Marcel Borret für die Sources Chrétiennes erstellte (132.136.147.150 [1967–1969]; Korrekturen in SC 227 [1976]), ergänzt um die Ergebnisse der textkritischen Forschung der letzten fünf Jahrzehnte. Borrets Ausgabe hatte die erste kritische Edition von Paul Koetschau aus dem Jahr 1899 in der Reihe »Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte« abgelöst. Zu Recht verzichten Fiedrowicz und Barthold darauf, die im Jahr 2001 erschienene Edition von Miroslav Markovich (Supplements to Vigiliae Christianae 54) zugrunde zu legen. Denn diese enthält zahlreiche problematische Konjekturen und stellt keinen Fortschritt gegenüber der SC-Ausgabe dar (siehe dazu Johannes Arnold, Theologie und Philosophie 79 [2004], 575–578).

Die fünfbändige Fontes-Ausgabe bringt zum einen die seit Langem ersehnte neue deutsche Übersetzung von Contra Celsum. Bisher stand deutschen Lesern allein Paul Koetschaus Übersetzung in der Bibliothek der Kirchenväter aus dem Jahr 1926/27 zur Verfügung. Die vorliegende Ausgabe bietet nun eine moderne, flüssige und präzise Übersetzung auf aktueller Textgrundlage. Sie hat die Zielsprache im Blick, bleibt aber zugleich nah am Text.

Die neue Ausgabe bietet zum anderen eine ausführliche und dichte Einleitung, die den Stand der Forschung zusammenfasst. Sie geht dem Text und der Übersetzung voran (FC 50/1, 9–122). Michael Fiedrowicz diskutiert darin im ersten Kapitel Ort, Anlass und Abfassungszeit des Werks. Er folgt dem Forschungskonsens und datiert »Gegen Celsus« in die Jahre zwischen 245–248 (10). Im zweiten Kapitel stellt er die Informationen über die Person und das Werk des Celsus zusammen (13–37). Er legt dar, dass Celsus ausführliche Kenntnisse über das Christentum besaß, die vermutlich aus Kontakten mit christlich-philosophischen Schulen stammten. Celsus ist somit ein wichtiges Zeugnis für den Betrieb christlicher Philosophenschulen im 2. Jh. Knapp zeichnet Fiedrowicz das philosophische Profil des Celsus nach und ordnet ihn in den Platonismus des 2. Jh.s ein. Er fasst die Forschungen zur Überlieferung und Rekonstruktion, zum polemischen Programm sowie zur literarischen Form und Struktur des verlorenen Werks des Celsus zusammen. Dann stellt er Erwägungen zu den Adressaten und zur Intention an: Innerhalb der intendierten Leserschaft setze Celsus unterschiedliche Einstellungen gegenüber den Christen voraus; er habe durchaus auch Christen selbst im Blick und ziele auf deren Rekonversion.

Vor allem die »versöhnlicheren Töne« des Celsus gegenüber den Christen zum rekonstruierten Abschluss des Werks werfen Fragen auf. Fiedrowicz versucht, sie mit dem Hinweis auf die äußere Bedrohung des römischen Staatswesens zu beantworten, welche zur Zeit der Abfassung den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit aller unabdingbar gemacht habe (34). Diese These wird zu diskutieren sein. Ausführungen zur Datierung und Lokalisierung sowie einige Vermutungen zum Nachleben der Schrift des Celsus in der Antike schließen das Kapitel ab. Ein Leser, der durch den knappen Verweis auf die Rezeption des Celsus bei modernen Gegnern des Christentums (11, Anm. 12) neugierig geworden ist, findet im Abschnitt zur Rezeption von Contra Celsum (116–118) einige Hinweise dazu.

Der Hauptteil der Einleitung ist der Schrift des Origenes gewidmet (38–122). Fiedrowicz erörtert zunächst die literarische Form, die Adressaten und die Intention der Schrift, außerdem die apologetische Methodik und die rhetorischen und polemischen Strategien des Origenes (Kapitel 3: 38–51). Dabei ordnet er Contra Celsum nicht nur in die Tradition christlicher Apologetik ein, sondern zeigt auch ihre Verwurzelung in der allgemeinen griechischen Kultur und Bildung auf. In einer systematisierenden Darstellung hebt er dann einige inhaltliche Schwerpunkte der Auseinandersetzung hervor, in denen sich in seinen Augen die grundsätzliche »Kontroverse zwischen Heidentum und Christentum« verdichte (Kapitel 4: 51–109; Zitat: 51). Diese fasst er unter fünf Überschriften zusammen: die Legitimität des Glaubens (52), die Gestalt Jesu Christi (56), das Gottesbild (66), die Kontroverse um die Bibel (77), der christliche Absolutheitsanspruch (89). In Kapitel 5 würdigt Fiedrowicz die Streitschrift des Origenes als den »unbestrittenen Höhepunkt der apologetischen Literatur der frühen Kirche insgesamt […], deren einzig adäquates Pendant im Westen Augustins De civitate Dei wäre« (109). Kapitel 6 behandelt die Rezeption des Werks einschließlich der Überlieferungsgeschichte.

Fiedrowicz verantwortet auch den knappen Kommentar, der in Form fortlaufender Anmerkungen den Text begleitet. Die ausführliche Bibliographie bietet einen Überblick über den Stand der Forschung zur Mitte des Jahres 2011 (FC 50/1, 157–179). Mehrere Re-gister (Bibelstellen, Namen, Sachen) runden die Ausgabe ab. Angesichts der Recherchemöglichkeiten des Thesaurus Linguae Graecae und mit Hinweis auf die Ausgabe in den Sources Chrétiennes verzichten die Herausgeber auf ein griechisches Wortregister. Zur technischen Gestaltung der Ausgabe ist kritisch anzumerken, dass bei der Reproduktion des griechischen Textes in den ersten beiden Bänden an einigen Stellen Buchstaben ausgefallen sind (eine Liste der nötigen Korrekturen bietet Johannes Arnold, Theologie und Philosophie 89 [2014], 148–152).

Es ist sehr zu hoffen, dass diese neue Ausgabe eines der wich-tigs­ten christlichen Werke des 3. Jh.s das Interesse an den intellektuellen Debatten des frühen Christentums auch außerhalb der patristischen Fachwissenschaft belebt.

Der nächste Band der neuen Staffel ist drei Sentenzensammlungen des kappadokisch-ägyptischen Asketen Evagrius gewidmet. Er wird von Christoph Joest verantwortet.2 Evagrius stand mit den »Großen Kappadokiern« Basilius, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz in Verbindung und hatte Kontakt zu dem berühmten asketischen Zirkel der römischen Aristokratin Melania der Älteren. Um das Jahr 383 zog er sich in die ägyptische Wüste zurück. Seine Schriften stellen somit wichtige Zeugnisse für die noch junge asketische Bewegung dar, die in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s etliche Anhänger vor allem in der römischen Mittel- und Oberschicht gewann. Von ihnen fühlten sich viele der Theologie des Origenes verpflichtet. – Die meisten theologischen Werke des Evagrius sind wegen seiner Verurteilung als »Origenist« im 6. Jh. verloren. Seine asketischen Schriften aber wurden, zum Teil unter anderen Na­men, überliefert und übten auch auf asketische Theologen im Westen, zum Beispiel auf Johannes Cassian, einen wichtigen Einfluss aus.

Der vorliegende Band enthält eine Spruchsammlung »An die Mönche« (Ad monachos), eine Sammlung »An die Jungfrau« (Ad virginem) und eine zweigeteilte Reihe von Ermahnungen, die wiederum an männliche Asketen gerichtet ist (Institutio ad monachos). Joests deutsche Titel »Mönchsspiegel« und »Nonnenspiegel« suggerieren allerdings die Situation späterer asketischer Institutionen, die so im 4. Jh. noch nicht existierten. Man beachte nur, dass sich die zweite Sentenzensammlung an eine weibliche Einzelperson richtet.

Die Sprüche des Evagrius leiten dazu an, im praktischen Kampf gegen die Leidenschaften (in der Sprache der ägyptischen Asketen: die Dämonen) Schritt für Schritt zu einer Haltung der Leidenschaftslosigkeit (Apatheia) zu gelangen. Diese ist in den Augen antiker Philosophen und christlicher Asketen die Voraussetzung für die wahre Gotteserkenntnis. In den Spruchsammlungen spiegelt sich also ein Programm wider, das aus der asketischen Praxis erwachsen ist. In dessen Zentrum stehen Meditation, die Analyse und Kontrolle der eigenen Gedanken und vor allem das Gebet: »Wer ohne Unterlass betet, entgeht den Versuchungen, doch das Herz des Nachlässigen erregen Gedanken« (Mn. 37); »Ein »feuriger Pfeil« setzt die Seele in Flammen, ein in der praktischen Tugend ( Prak-tike) geübter Mann wird ihn auslöschen« (Mn. 70); »Wer Psalmen singt, bringt den Zorn zur Ruhe; der Langmütige wird furchtlos sein« (Mn. 98).

Christoph Joest stellt die Sentenzen des Evagrius in die Tradition der alttestamentlichen Spruch- und Weisheitsliteratur (126). Ein weiterer Traditionszweig bleibt dagegen unberücksichtigt: die Sentenzensammlungen philosophischer Lehrer, die aus der Praxis philosophischer Seelsorge erwachsen sind (siehe dazu Richard So­rabji, Emotion and Peace of Mind. From Stoic Agitation to Chris-tian Temptation, Oxford 2000).

In den Spruchsammlungen des Evagrius spiegeln sich unterschiedliche asketische Milieus wider. Die erste, umfangreiche Sammlung »An die Mönche« und die zwei kürzeren Sentenzenreihen der »Ermahnung an die Mönche« richten sich einerseits an Asketen, die in klösterlichen Gemeinschaften zusammenleben (Koinobiten), andererseits an Einsiedler, die in losen Siedlungen miteinander in Kontakt standen. Die Sammlung »An die Jungfrau« richtet sich an eine weibliche Asketin, die in Gemeinschaft mit anderen Frauen lebt. Für die Sammlungen Ad monachos und Ad virginem vermutet Christoph Joest mit Gerald Bunge die Adressaten im asketischen Freundeskreis des Evagrius in Jerusalem, genauer im Jerusalemer Doppelkloster der Melania und des Rufin.

Die ausführliche Einleitung macht mehr als die Hälfte des Bandes aus. Joest bietet in ihr eine umfangreiche Einführung in das Leben und das Werk des Evagrius. Dabei geht er weit über das hinaus, was zur historischen Einordnung und zum Verständnis der Spruchsammlungen nötig wäre. Er macht damit implizit darauf aufmerksam, dass es im deutschen Sprachraum keine neuere wissenschaftliche Monographie zu Evagrius gibt.

Im ersten Kapitel stellt Joest das Leben des Evagrius vor dem Hintergrund der Geschichte der asketischen Bewegung im 4. Jh. dar. Er folgt dabei an zentralen Punkten dem hagiographischen Grundgerüst der Historica Lausiaca. Ausführlich beschreibt er das ägyptische Mönchtum zur Zeit des Evagrius. Dass er dabei ausgiebig auf die Apophthegmata Patrum, eine Sammlung von Aussprüchen ägyptischer Wüstenväter, zurückgreift, ist methodisch nicht ganz unproblematisch. Denn die Datierung dieser Texte ist in der Forschung umstritten, und es ist fraglich, in welchem Maße sie zur Rekonstruktion der Situation des 4. Jh.s herangezogen werden können. Der Zuversicht Joests, in ihnen einen Nachklang der persönlichen Erfahrung des Evagrius zu finden (35.36), kann man durchaus skeptisch gegenüberstehen. Das biographische Kapitel schließt mit einer umfangreichen Skizze der ersten origenistischen Krise, die nach dem Tod des Evagrius das ägyptische Mönchtum erfasste.

Das zweite Kapitel der Einleitung ist der Lehre des Evagrius gewidmet. Joest präsentiert sie als eine Spielart der »Theologie in der Wüste«, deren Anfänge er auf Origenes zurückführt. Ausführlich geht er auf die anthropologischen Grundlagen des asketischen Programms des Evagrius ein. Seine Darstellung lässt die Tendenz erkennen, darin allgemeine, noch heute gültige anthropologische Grundkonstanten aufzuweisen (vgl. die Rede von »wir« / »uns« [69 f.]). Mögliche Vorbehalte gegenüber der Theologie des Evagrius sucht Joest zu entkräften, indem er die »solide Sakramentstheologie« und die »solide kirchliche Tauftheologie« (68 f.) des Evagrius betont. Theologiegeschichtlich sieht er in der Christologie des Evagrius »einen kühne[n] Vorausentwurf der späteren Lehre des Chalcedonense« (114) und eine Vorwegnahme der späteren Lösung des monotheletischen Streits (115). Das zweite Kapitel schließt mit einer Skizze der zweiten origenistischen Krise, die zur Verurteilung des Origenes und »gewisser Mönche in Jerusalem« führte, zu denen die Nachwelt auch Evagrius zählte. Joests Darstellung ist deutlich von dem Anliegen geprägt, Evagrius als Impulsgeber für eine gegenwärtige Frömmigkeitstheologie und Frömmigkeitspraxis zu rehabilitieren.

Sehr hilfreich für das Verständnis der Spruchsammlungen sind die detaillierten Struktur- und Aufbauanalysen, die Joest im dritten Kapitel der Einleitung bietet. Besonders die Analyse von »An die Mönche« stellt einen eigenständigen Forschungsbeitrag dar. Durch sie erschließt sich dem Leser das asketische Programm des Evagrius eindrücklich.

Der Übersetzung von Ad virginem und Ad monachos liegt die Edition des griechischen Textes von H. Greßmann (TU 39/4; Leipzig 1913) zugrunde, ergänzt um textkritische Verbesserungen der nachfolgenden Forschungsdiskussion. Den Text der »Ermahnung an die Mönche« hat Joest auf erweiterter Handschriftenbasis neu konstituiert. Anders als die bisherigen Textausgaben bietet er die einzelnen Stichoi aller Spruchreihen in vier- bis sechszeiliger Form. Er beruft sich dafür auf zwei Handschriften, in denen er das ursprüngliche typographische Arrangement des Textes durch Evagrius selbst bewahrt sieht. Die Sprüche erhalten dadurch zum Teil einen neuen Rhythmus, den die deutsche Übersetzung an etlichen Stellen aufnimmt.

Für seine Übersetzungen konnte Joest auf der englischen Übersetzung von R. E. Sinkewicz (2003) aufbauen. Im gleichen Jahr wie die vorliegende Fontes-Ausgabe erschien eine freiere deutsche Übertragung von Ad monachos und Ad virginem (hrsg. und übers. v. Wilfried Eisele, Münsterschwarzach 2012).

Der Band wird durch ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnisse und einige Register abgerundet. Im Anhang bietet Joest außerdem eine Karte des Niltals sowie den Grundriss einer Einsiedelei aus Kellien/Unterägypten. Diese stammt allerdings aus dem 7. Jh., illustriert also nicht unbedingt die Situation der ersten Leser der Spruchsammlungen des Evagrius.

Aus einem asketischen Milieu des 12. Jh.s stammen die Predigten des Isaak von Stella. Sein Beiname geht auf das Kloster Étoile im Poitou (Südwestfrankreich) zurück, dem er zeitweilig als Abt vorstand. Nachdem Isaaks Predigten in der französischen Schwesterreihe »Sources Chrétiennes« schon länger zugänglich waren, liegen sie deutschsprachigen Lesern nun in einer von Wolfgang Gottfried Buchmüller und Bernhard Kohout-Berghammer verantworteten dreibändigen Ausgabe vor. 3 Diese übernimmt den lateinischen Text der SC-Edition von Anton Hoste und Gaetano Raciti (1967–1978). Die Fontes-Ausgabe enthält außerdem zwei Brieftraktate: die Schrift »Über die Seele«, auf der Grundlage des Textes von Caterina Tarlazzi (Medioevo, 2011), und die liturgische Betrachtung »Über die Feier der Messe«, für die nach wie vor nur der Text der Patrologia Latina zur Verfügung steht.

Isaak von Stella (um 1110–1178) gilt als wichtiger Vertreter eines frühen, von Pseudo-Dionysius Areopagita beeinflussten christ-lichen Humanismus im Westen. Er wird zu den Klassikern der zis­terziensischen Spiritualität gezählt und zugleich dem philosophisch-spekulativen Flügel dieser Tradition zugerechnet. Die Ausgabe seiner Predigten in den Sources Chrétiennes entstand zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, in dessen Umfeld die Verbindung von spekulativer Theologie und monastischer Spiritualität auf neues Interesse stieß. Diese Verbindung würdigen nun auch die Herausgeber der deutschen Ausgabe.

Bei den 53 erhaltenen Predigten des Isaak von Stella handelt es sich nicht um Mitschriften mündlicher Reden, sondern um überarbeitete und gegebenenfalls erst nachträglich ins Lateinische übertragene Lesepredigten (55–60). Sie dienten der »intensiven spirituellen, philosophischen und theologischen Katechese der Mitbrüder« (61). Im Zentrum steht eine freie, allegorische Auslegung biblischer Texte. Sie wurzelt in der Tradition patristischer Exegese und antiker Rhetorik (beim Lesen fallen beispielsweise Anklänge an Augustinus, Ambrosius, Hieronymus, Gregor den Großen und Johannes Scotus Eriugena, aber auch an Cicero, Horaz und Seneca auf). Die sparsamen, aber pointierten Anmerkungen zur Übersetzung machen auf einige antike und mittelalterliche Quellen aufmerksam und ziehen außerdem Verbindungen zum großen zisterziensischen Prediger Bernhard von Clairvaux sowie zur Benediktsregel.

Die allegorische Schriftauslegung dient Isaak als ein Sprungbrett, um Fragen der Gottes- und Schöpfungslehre, der Vorsehungs- und Erlösungslehre sowie der Lehre vom Menschen zu behandeln. Diese Ausführungen werden von der Forderung nach spiritueller Vervollkommnung und geistigem Aufstieg zusammengehalten, sind also in den Rahmen einer asketischen Theologie eingefügt. Sein Programm spiritueller Vervollkommnung, das auf einer patristisch inspirierten Affekten- und Tugendlehre aufbaut, legt Isaak komprimiert in serm. 1–5 ausgehend von einer Auslegung der Seligpreisungen dar. Grundlagen seines asketisch-mystischen Programms finden sich auch in serm. 27–29. In serm. 50 verteidigt er konkret die zisterziensische Lebensweise.

Isaaks Predigten sind ein Zeugnis für das blühende monastische Leben und das Milieu der klösterlichen Reformbewegung in Südwestfrankreich im dritten Viertel des 12. Jh.s. In ihnen schlagen sich Diskussionen zur Armutsfrage (siehe serm. 2,5–7; 37,21.22), Auseinandersetzungen mit der Bewegung der Katharer bzw. mit frühen Bettelmönchen (siehe serm. 50,16–18), die Anfänge einer Bernhard-Hagiographie (siehe serm. 52,15), aber auch Diskussionen zu den Gewaltexzessen der Kreuzzüge (siehe 48,8) nieder. Der Brieftraktat De officio missae behandelt Themen, die sich unter dem Stichwort der »gregorianischen Kirchenreform« bündeln lassen.

Die frühe Schrift De anima ist dagegen Teil einer philosophisch-theologischen Auseinandersetzung, die innerhalb des Zisterzienserordens und zum Teil in Abgrenzung von den Katharern geführt wurde. Isaak beteiligt sich daran mit einer Darlegung über die Seele, die nicht das enthalte, »was wir in der Heiligen Schrift gelernt haben«, sondern philosophisch »über ihre Natur und ihre Kräfte« lehre (anim. 1). Isaak erörtert hier detailliert die psychologisch-erkenntnistheoretischen Voraussetzungen seines asketisch-mystischen Programms, das später den Rahmen seiner Predigten bildet. Aus Sicht der Patristikerin ist dieser kleine Traktat von besonderem Interesse. Denn er greift, zum Teil wohl vermittelt durch Johannes Scotus Eriugena (53), auf spätantike Schriften folgender Autoren zurück: Augustinus, Gregor von Nyssa, Dionysius Areopagita, eventuell Nemesius, Boethius, Macrobius sowie Calcidius.

Die dreibändige Ausgabe wird durch eine umfangreiche Einleitung eröffnet, die den Stand der Forschung zu Isaak von Stella zusammenfasst. W. G. Buchmüller diskutiert darin unter anderem die Quellen zur Biographie Isaaks (12–39), er stellt die erhaltenen Werke vor (51–66) und bietet eine systematisierende Einführung in die Theologie Isaaks (Theologie im Sinne der Gottes- und Schöpfungslehre [66–90]; Anthropologie [90–114]; Christologie und Ekklesiologie [115–138]; Ekklesiologie und Mariologie [139–142]). Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie mehrere Regis­ter (Bibelstellen, Namen; lateinische Begriffe, Sachen) beschließen diese wichtige erste deutsche Gesamtübersetzung der Predigten des Isaak von Stella.

In die Zeit der Spätantike zurück führt eine hagiographische Lebensbeschreibung des Bischofs Porphyrius von Gaza. Porphyrius soll von 395 bis zu seinem Tode im Jahr 420 Vorsteher der christlichen Gemeinde in der prosperierenden Stadt im Südwesten Paläs­tinas gewesen sein. Als Autor seiner Vita stellt sich ein Diakon namens Markus vor. Er präsentiert sich als engen Wegbegleiter des Porphyrius und behauptet, die Lebensbeschreibung des Bischofs kurz nach dessen Tod verfasst zu haben.

Die Vita Sancti Porphyrii gilt als wichtigste Quelle für die Geschichte der Christianisierung der Stadt Gaza im ersten Fünftel des 5. Jh.s sowie als anschauliches Zeugnis für die Religionspolitik des Kaisers Arcadius und seiner Frau Eudoxia. Neuere althistorische Studien zur Geschichte Gazas berufen sich maßgeblich auf diesen Text (siehe zum Beispiel die Arbeiten von Johannes Hahn, Claudia Tiersch oder Raymond van Dam). Die Vita zeichnet folgendes Bild von der Situation des Christentums in Gaza: Ende des 4. Jh.s gab es nur eine kleine christliche Gemeinde, die im Stadtbild kaum auffiel. Erst durch das Wirken des Porphyrius wandelte sich Gaza zu einer mehrheitlich christlichen Stadt: Einerseits überzeugte der Bischof durch ein spektakuläres Regenwunder sowie durch Heilungs- und Rettungswunder die Bevölkerung von der Überlegenheit des christlichen Gottes über die paganen Götter und Dämonen; andererseits zerstörte er mit kaiserlicher Unterstützung die paganen Tempel der Stadt und ging gegen private Ausübungen paganer Kulte vor. Am Ende seines Lebens wurde das Stadtbild Gazas nicht mehr vom Tempel des Gottes Marnas dominiert, sondern von einer großen, aus kaiserlichen Mitteln finanzierten Kirche.

Der Wert der Vita als Quelle für die Geschichte Gazas im frühen 5. Jh. ist allerdings umstritten. Übereinstimmungen mit der Mönchsgeschichte des Theodoret, die 444/45 verfasst wurde, lassen Zweifel an einer Abfassung kurz nach dem Jahr 420 aufkommen. Einige Passagen scheinen außerdem eher die politischen Zustände des späten 5. bzw. 6. Jh.s widerzuspiegeln. Hinzu kommt, dass die Entdeckung (1927) und Publikation (1941) einer georgischen Ver-sion der Vita, die mehrheitlich auf eine ältere syrische Fassung zurückgeführt wird, weitere Fragen zur zeitlichen Einordung und Bewertung der griechischen Vita aufgeworfen haben. Schließlich schmälern historische Ungenauigkeiten in der Darstellung allgemein das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Schilderung des Episkopats des Porphyrius.

Seit dem Erscheinen der ersten kritischen Ausgabe der griechischen Vita durch H. Grégoire und M.-A. Kugener im Jahr 1930 hat es dennoch nicht an Versuchen gefehlt, die Vita Porphyrii als Quelle für das frühe 5. Jh. zu retten. In jüngerer Zeit mehren sich dagegen zum Teil extreme Stimmen, die sie als »Fälschung« des 6. Jh.s oder später betrachten und die Gestalt des Bischofs Porphyrius mehr oder weniger als fiktiv ansehen (Ramsey MacMullen; Alan Cameron; Timothy Barnes). Diese extremen Positionen warnen zu Recht davor, die Schilderung der Vita unkritisch als historischen Bericht der Lage am Anfang des 5. Jh.s zu lesen. Sie leisten allerdings nur einen sehr geringen Beitrag dazu, die überlieferte Lebensbeschreibung eines Bischofs von Gaza historisch einzuordnen.

Dass die Person des Bischof Porphyrius gänzlich fiktiv sein soll, überzeugt nicht: Augustinus erwähnt zwei palästinische Bi­schöfe dieses Namens als Teilnehmer der Synode von Diospolis im Jahr 415, auf der der Fall des Pelagius verhandelt wurde (Contra Julianum 1,7); Hieronymus kennt einen palästinischen Bischof namens Porphy-rius als Mitadressaten eines Synodalbriefes des Theophilus, der von 385 bis 412 Bischof von Alexandrien war. Weder Augus­tinus noch Hieronymus geben allerdings an, welcher palästinischen Ge­meinde jene Porphyrii vorstanden. Dass der Tempel des Marnas in Gaza An­fang des 5. Jh.s in eine Kirche umgewandelt wurde, scheint Hieronymus zu bezeugen (epistula 107; In Isaiam 7,17,2). Allerdings nennt Hieronymus weder Akteure noch nähere Umstände.

Vor dem Hintergrund dieser Zeugnisse ist es durchaus plausibel, den Protagonisten der Vita, Bischof Porphyrius, und die zentralen Themen der Vita, Tempelschließung und Kirchenbau in Gaza Anfang des 5. Jh.s, als historisch verbürgt anzusehen. Aber bereits die Fragen, welche Bedeutung der historische Bischof Porphyrius für die Ereignisse besaß, welche Rolle andere Akteure einschließlich des Kaisers spielten und unter welchen Umständen und mit welchem Tempo die Christianisierung Gazas tatsächlich voranschritt, lassen sich nicht mit Sicherheit beantworten.

Angesichts dieser Diskussionslage ist es sehr zu begrüßen, dass Adelheid Hübner die griechische Vita auf Grundlage des Textes von Grégoire und Kugener neu ins Deutsche übersetzt und mit einer ausführlichen, den Stand der Forschung zusammenfassenden Einleitung und mit kommentierenden Anmerkungen versehen hat.4 Sie selbst kommt zu dem Urteil: »Die Vita Porphyrii ist weitgehend eine Fiktion und als historische Quelle für die Geschichte Gazas nur von geringem Wert.« (67 f.) Allerdings bleibt sie bei diesem Urteil nicht stehen, sondern formuliert eine Hypothese, in welchem historischen Kontext diese Fiktion entstanden sei (68–95).

Hübner ordnet die Vita in die religionspolitischen Auseinandersetzungen des 6. Jh.s ein, genauer in die Regierungszeit Justi-nians (527–565): Das vom Kaiserhaus unterstützte Vorgehen des Bischofs Porphyrius gegen pagane Kulte sowie die Polemik gegen Manichäer und Philosophen spiegele zentrale Elemente der Religionspolitik Justinians wider und konstruiere deren Vorgeschichte für den Anfang des 5. Jh.s. Zugleich werte die Vita die christliche Stadt Gaza gegenüber der älteren christlichen Nachbargemeinde in Maiuma auf, ja ordne das in den christologischen Auseinandersetzungen des 5. und 6. Jh.s eher chalzedonisch geprägte Gaza dem antichalzedonischen Maiuma über. Das schlage sich auch im ha­giographischen Profil der Vita nieder, das sich ebenfalls in die Auseinandersetzungen des späten 5. und 6. Jh.s einfüge: Lebenswandel und Frömmigkeit des Bischofs Porphyrius überträfen das Leben bedeutender miaphysitischer Mönchsbischöfe. Die unbekannten, neuchalzedonisch eingestellten Verfasser hätten mit der Vita Porphyrii für Gaza ähnlich wie Cyrill von Scythopolis für andere Orte Südpalästinas ein orthodoxes Gegengewicht zu populären miaphysitischen Mönchsbiographien wie der Vita Peters des Iberers oder der Vita des Severus von Antiochien geschaffen.

Diese Hypothese wird in der Forschung zu diskutieren sein. An dieser Stelle seien nur einige Überlegungen notiert: Ich entdecke im Text der Vita keine Hinweise darauf, dass die Auseinandersetzung um das Bekenntnis von Chalzedon ein zentrales Thema der Darstellung sei. Wie Hübner richtig beobachtet, wird in der Vita »überhaupt kein theologischer Standpunkt vertreten« (87). Die intensive »Kreuzesfrömmigkeit«, welche die Vita dem Bischof zuschreibt, kann wohl kaum als Element dieser Auseinandersetzung bewertet werden. Die Vita propagiert zwar eine Frömmigkeit, bei der die Verehrung des Kreuzes eine zentrale Stellung einnimmt (vor seiner Wahl zum Bischof wird Porphyrius in Jerusalem mit dem Amt des Staurophylax, des Hüters des Kreuzes, betraut [Kapitel 10]; bei den Wunderhandlungen des Bischofs, bei der Schließung der Tempel und beim Kirchenbau spielen Kreuzeszeichen eine wichtige Rolle). Die Tatsache, dass die Kreuzesverehrung in miaphysitischen Mönchsviten betont wird, macht diese aber noch nicht zu einer spezifisch anti-chalzedonischen Praktik. Möchte man dies behaupten, wäre es wohl naheliegender, die Vita Porphyrii zu dieser miaphysitischen Literatur zu zählen und in ihr den Versuch zu sehen, die frühe Kirchengeschichte Gazas auf subtile Weise miaphysitisch zu vereinnahmen. Überzeugender ist es, in der intensiven Kreuzesverehrung des Porphyrius einen allgemeinen Zug christlicher und speziell asketischer Frömmigkeit im spätantiken Palästina zu sehen.

Im Zentrum der Vita steht die Frage, wer die heiligen Orte der Stadt kontrolliert und wie weit der Einfluss des Bischofs von Gaza ins Umland (einschließlich Maiumas) und auf die Klöster des ländlichen Raumes in Südpalästina und Ägypten reicht (siehe Kapitel 9.58.65.92). Auch eine Auseinandersetzung darüber, welche Formen der Askese angemessen seien, spiegelt sich in der Vita wider: Ausdrücklich wird betont, dass das Leben als Höhleneremit Porphyrius krank gemacht habe (Kapitel 4); innerhalb der Gemeinde asketisch lebende Frauen werden als vorbildhaft dargestellt (Kapitel 101 f.). Im Zusammenhang der Einsetzung des Porphyrius als Bischof von Gaza streicht die Vita die Würde und Autorität des Metropoliten von Caesarea heraus, der seine Ziele gegenüber dem Bischof von Jerusalem auf durchaus listige Weise verfolgt (Kapitel 12). Nicht gering darf außerdem der Unterhaltungswert der Vita für spätantike Leser eingeschätzt werden: Die Vita enthält spannende Reiseschilderungen, berichtet vom Leben der höfischen Gesellschaft in der Kaiserstadt Konstantinopel und liefert dramatische Berichte von Aufruhr, Erhebung und wundersamer Befriedung der Stadtbevölkerung von Gaza.

Adelheid Hübners Ausgabe der Vita Porphyrii regt dazu an, diesen faszinierenden Text neu und mit anderen Augen zu lesen. Sie führt beispielhaft vor, dass bei der Interpretation hagiographischer Texte der Katalog notwendiger Fragen unbedingt über die Frage nach der historischen Zuverlässigkeit der Schilderung hinaus zu erweitern ist.

Einen für die Rekonstruktion der Kirchen- und Religionsgeschichte des 4. Jh.s zentralen Quellentext legt Klaus Martin Giradet in einer neuen Ausgabe vor: Konstantins »Rede an die Versammlung der Heiligen«.5 Bei dieser Rede handelt es sich um eine Festansprache, die Kaiser Konstantin I. (306–337) an einem Karfreitag vor einem ausgewählten Auditorium an seinem Hof hielt. Ursprünglich war die Rede auf Latein verfasst, doch diese Fassung ist verloren. Eusebius überliefert im Anhang der Vita Constantini eine griechische Übersetzung. Eusebius berichtet außerdem, dass der Kaiser die lateinische Rede persönlich verfasst habe (Vita Constantini 4,32). Dennoch muss man wohl annehmen, dass ihm bei der Abfassung Berater zur Seite standen. Diese Annahme hindert jedoch nicht daran, die Rede als ein Dokument der Selbstdarstellung des Kaisers zu lesen, denn sie wurde unter seinem Namen überliefert. Mit ihr präsentiert sich Konstantin als Christ und vor allem als christlicher Kaiser, der seine Erfolge auf die Unterstützung Christi zurückführt und sich selbst als von Gott beauftragter Diener, ja als Gott unmittelbarer Herrscher versteht.

Die umfangreiche Ansprache gliedert sich in drei Teile. Im ers­ten Teil (Kapitel 2–10) argumentiert Konstantin kosmologisch für die Überlegenheit des christlichen Monotheismus über den pa-ganen Götterglauben und den philosophischen Monotheismus: Das Pantheon vielfältiger, zum Teil miteinander in Streit liegender Götter könne die Einheit und den Zusammenhalt der Welt nicht garantieren. Aber auch die Vorstellung, dass der Zufall die Welt regiere, sei absurd. Denn um den immerwährenden Widerstreit der Elemente zu befrieden, bedürfe es eines allmächtigen und guten Schöpfers. Platon habe die Wahrheit zwar ansatzweise erfasst, aber kein paganer Philosoph habe erkannt, dass und wie das All vom Vater durch den Sohn regiert werde. Im zweiten Teil (Kapitel 11–21) rühmt Konstantin die freiwillige Selbsterniedrigung des Sohnes in der Menschwerdung und skizziert einen allumfassenden göttlichen Erziehungsplan. Jesus Christus ist Gott in Menschengestalt, vollkommen an Tugend und Weisheit. Durch seine Lehre hat er den Weg zum Himmel eröffnet. Durch seine Bereitschaft, Leiden auf sich zu nehmen, verdeutlicht er die Menschenliebe Gottes; indem er die gerechte Bestrafung der schuldigen Menschheit aussetzt, demonstriert er die Langmut des Vaters und schafft den Raum, um alle Welt mit seiner Herrlichkeit zu erleuchten. Konstantin sieht die Menschwerdung Gottes nicht nur durch die alttes­tamentlichen Propheten vorhergesagt. Besondere Überzeugungskraft vor allem gegenüber paganen Gebildeten schreibt er der Weissagung eines Sibyllinischen Orakels in Form eines Akrostichon und Vergils Vierter Ekloge zu. Im letzten Teil der Rede (Kapitel 22–26) erklärt der Kaiser seine persönliche Zugehörigkeit zum christlichen Heiland. Er blickt zurück auf die kaiserlichen Christenverfolger des 3. Jh.s, stellt sich selbst als Zeuge der verheerenden Verfolgungen unter Diokletian dar und nimmt dann die Nachfolger Diokletians in den Blick: Diejenigen, die die Kirche verfolgten, seien mit einem unrühmlichen Ende bestraft worden. Konstantin be­schließt seine Rede mit einem Lob Gottes als des Urhebers seiner eigenen militärisch-politischen Erfolge und einem hymnischen Bekenntnis zu Christus als seinem unüberwindbaren Sieghelfer.

Welche Schlussfolgerungen man aus dieser Selbstdarstellung Konstantins z.B. für die Frage nach seinem Verhältnis zum Chris-tentum oder für die Einschätzung seiner Religionspolitik zieht, hängt nun erheblich davon ab, wie man die Rede zeitlich einordnet. Hier gehen die Meinungen weit auseinander: Vereinzelte Frühdatierungen (314 [Giradet]; 315 [Mark J. Edwards]) stehen einer Mehrheit von Vorschlägen gegenüber, welche die Rede in die Zeit der Alleinherrschaft Konstantins ab 324 datieren. Die Rede selbst bietet nur wenige und durchaus mehrdeutige Anspielungen auf historische Ereignisse. Daher wirkt sich auf die verschiedenen Datierungsversuche jeweils aus, welche allgemeine Sicht man auf die Regierungszeit Konstantins insgesamt vertritt. Die Vertreter einer Datierung ab 324 sind mehrheitlich der Ansicht, dass Konstantins frühe Selbstdarstellungen zwar durchaus christlich interpretierbar waren, aber grundsätzlich offen und mehrdeutig angelegt waren. Erst nach seinem Sieg über Licinius habe er sich öffentlich dezidiert als Christ präsentiert.

Die Veränderungsprozesse des 4. Jh.s, die mit der Privilegierung und Förderung des Christentums durch Kaiser Konstantin einhergingen, werden seit Längerem unter dem Schlagwort »Konstantinische Wende« diskutiert. Sehr verschieden wird dabei beurteilt, welcher Stellenwert Konstantins persönlicher Hinwendung zum christlichen Gott zur Erklärung der Dynamik dieser Prozesse zukommt. Klaus Martin Giradet vertritt seit Längerem die Position, dass sich Konstantin schon früh und aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt habe und dass diese persönliche Entscheidung das Movens für seine religionspolitischen Maßnahmen dargestellt habe. Im Rahmen der umfangreichen Einleitung zu seiner Übersetzung der Rede skizziert Giradet seine Argumentation (vor allem 49–97). Einen pointierten Gegenentwurf zu Giradets Auffassung hat vor kurzem Martin Wallraff vorgelegt (Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Großen, Freiburg u. a. 2013).

Giradets Position ruht unter anderem auf seiner Frühdatierung der vorliegenden Festrede Konstantins auf, die der Kaiser – so Giradet – im Jahr 314 in Trier gehalten habe. Konstantin richte sich mit seiner Rede zunächst an die christlichen oder christenfreundlichen Angehörigen des Kaiserhofes sowie an die Gemeinde von Trier (vgl. orat. 1,1). Der Text der Rede sei dann aber als eine Art kaiserliches Sendschreiben über Trier hinaus gesandt worden. Damit habe sich Konstantin an alle Bischöfe seines Reichsteils gerichtet, möglicherweise aber auch bereits an die Bischöfe in den von Licinius be­herrschten Gebieten. In diesem Zusammenhang sei in seiner Kanz lei für die griechischsprachigen Gemeinden in Süditalien und möglicherweise für die Gemeinden der östlichen Reichshälfte eine offizielle griechische Übersetzung erstellt worden. Giradet spricht sich damit gegen Positionen aus, welche die Rede im Rahmen einer Bischofssynode oder eines Gemeindegottesdienstes verorten. Er sieht in der Rede »eine religionspolitische Programmrede« Konstantins, die »unter massiver, teilweise affektgeladener Ablehnung des Paganismus den Christen und vielleicht auch Nichtchristen dartun soll, dass der Kaiser zum Christen und Förderer des Chris­tentums geworden war« (44.48).

Giradet hat die Rede auf der Grundlage des griechischen Textes in der Ausgabe von I. A. Heikel (GCS Eusebius Werke 1; 1902) neu übersetzt und durch konzentrierte Anmerkungen kommentiert. Der an einigen Stellen unklare griechische Text wird auf diese Weise gut verständlich. Verglichen mit der bisher einzigen deutschen Übersetzung der Rede durch J. M. Pfättisch in der Bibliothek der Kirchenväter aus dem Jahre 1913 ist Giradets Übersetzung deutlich präziser. Seine Anmerkungen legen außerdem offen, an welchen Stellen seine Übersetzung interpretierend zugespitzt ist. So sieht er vor dem Hintergrund seiner Gesamtdeutung der Rede in orat. 1,1 diejenigen angesprochen, »die für den Gott selbst ihrer (christlichen) Religion nach Maßgabe ihrer religiösen Empfindungen […] Hymnen singen«. Der griechische Text ließe an dieser Stelle auch ein offeneres Verständnis zu: »die für den Gott selbst nach Maßgabe der inneren Empfindungen der Religion eines jeden […] Hymnen singen«. Konstantin hätte dann möglicherweise nicht nur Christen im Blick, sondern alle, die sich in seinen Augen in den Kult einer höchsten Gottheit integrieren ließen. Unter den »übrigen (mit mir) befreundeten Männern« (orat. 1,1) wären dann nicht nur – wie Giradet vermutet (42) – die christlichen Angehörigen des Hofes zu zählen, sondern allgemeiner die comites Caesaris.

Giradets Ausgabe erschließt Konstantins Rede neu und macht sie einem breiten Publikum zugänglich. Dazu trägt auch die ausführliche, mehr als einhundert Seiten umfassende Einleitung bei. In ihr diskutiert Giradet die Frage der Autorschaft (Kapitel 1) und fasst seine Position zu Abfassungszeit, -ort und -zweck der Rede zusammen (Kapitel 2). Er skizziert seine Sicht auf Konstantins Weg zum Christentum und auf Konstantins religionspolitische Mission (Kapitel 3–4). Ausführungen zur Deutung des Sibyllinischen Orakelgedichts und Vergils vierter Ekloge in orat. 18–21 runden die Einleitung ab (Kapitel 5). In einem Anhang werden Abbildungen einiger materialer Zeugnisse für die Selbstdarstellung Konstantins präsentiert. Eine hilfreiche Auswahlbibliographie und mehrere Register regen zu eigener Weiterarbeit an.

Diese verdienstvolle Ausgabe wird die Diskussion um Konstantins Rede neu beleben. Dabei ist zu hoffen, dass dieser äußerst vielschichtige Text nicht nur im Hinblick auf die Frage nach Konstantins »Christsein« gelesen wird, sondern beispielsweise auch als Dokument einer gebildeten »Laientheologie« oder als ein bemerkenswerter Versuch, Rolle und Autorität des Kaisers christlich-philosophisch zu begründen.

Das Werk eines außerhalb patristischer Fachkreise vermutlich weitgehend unbekannten nordafrikanischen Autors des 4. Jh.s legt Hermann-Josef Sieben erstmals in einer deutschen Übersetzung vor: die Schrift des Optatus von Mileve gegen die Donatisten.6 Mit dieser Schrift richtete sich der Bischof einer kleinen Stadt in Nu-midien um das Jahr 366/67 gegen ein heute verlorenes Werk des Parmenianus, der Bischof der donatistischen Gemeinde in der Metropole Karthago war. Obwohl der Traktat in den besten Handschriften nur den Titel »Bücher des Optatus von Mileve« trägt, prä­sentiert Sieben ihn daher zu Recht unter dem Titel »Gegen den Donatisten Parmenianus«.

Als Optatus gegen Parmenianus die Feder ergriff, war das Chris­tentum in den nordafrikanischen Provinzen des römischen Reiches schon seit über 50 Jahren gespalten. Seinen Ausgang hatte dieses Schisma in den Jahren 311/12 bei einer Bischofswahl in Karthago genommen. Bei ihr standen sich zwei Parteien unversöhnlich gegenüber, so dass es zu einer Doppelwahl kam. Fortan gab es zwei Bischöfe, die sich gegenseitig ihre Rechtmäßigkeit absprachen: Caecilianus auf der einen Seite und Maiorinus auf der anderen Seite, dessen Nachfolge kurze Zeit später Donatus antrat. In der erbitterten Auseinandersetzung, wer rechtmäßiger Bischof von Karthago sei, machten die Anhänger des Caecilianus (»Caecilianer«) und die Anhänger des Donatus (»Donatisten«) dem jeweils gegnerischen Bischof polemische Vorwürfe: Er habe während der letzten großen Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian das Christentum verraten und sei von Bischöfen ordiniert worden, die unter dem Druck der Repressionen die biblischen Bücher oder andere heilige Gegenstände an die kaiserlichen Verfolger übergeben ( tradere) hätten. Eine Ordination durch derartige traditores sei ungültig.

Auf mehreren Synoden wurde Caecilianus als rechtmäßiger Bischof Karthagos bestätigt. Dabei rückte nach und nach die Frage ins Zentrum, woran die Gültigkeit sakramentaler Handlungen wie der Taufe und der Bischofsordination hänge. In der Partei des Caecilianus setzte sich die auch in den Gemeinden außerhalb Nordafrikas verbreitete Auffassung durch, dass die Gültigkeit nicht vom Zustand des Spenders der Taufe beziehungsweise der Ordination abhängig sei. Die Partei des Donatus hielt an einer alten nordafrikanischen Tradition fest, wonach die Taufe oder Ordination durch traditores ungültig und durch »unbefleckte« Spender zu wiederholen sei. Auch in anderen nordafrikanischen Städten kam es zur Spaltung in eine caecilianische und donatistische Kirche. Außerhalb Nordafrikas konnten die Donatisten nicht Fuß fassen. In Rom scheint es lediglich eine Exilgemeinde nordafrikanischer Donatisten gegeben zu haben.

Kaiser Konstantin (306–337) privilegierte zwar die Kirche der Caecilianer. Nach einer Phase der Verschärfung der Auseinandersetzungen, die in der Beschlagnahmung von Kirchen donatistischer Ge­meinden und in der vorübergehenden Verbannung donatistischer Bischöfe gipfelte, lebten allerdings ab den 320er Jahren bis zu Konstantins Tod in den meisten nordafrikanischen Städten caecilianische und donatistische Gemeinden relativ friedlich nebeneinander. Dabei stellten an vielen Orten die Donatisten die Mehrheitskirche dar. Mitte der 340er Jahre erhöhten sich die Spannungen aber wieder. Versuche des Kaisers Konstans (337–350), eine Kircheneinheit zugunsten der Caecilianer herbeizuführen, gipfelten an einigen Orten in Gewaltausbrüchen, die von den Donatisten mit den Christenverfolgungen unter Diokletian verglichen wurden. Sie ebbten nach einiger Zeit wieder ab. Unter der Alleinherrschaft Kai ser Julians (361–363) spitzte sich die Situation unter veränderten Vorzeichen erneut zu: Etliche verbannte donatistische Bischöfe kehrten aus dem Exil zurück und forderten eine Rückgabe konfiszierter donatistischer Kirchengüter. Nun kam es zu ge­waltsamen Ausschreitungen gegen caecilianische Kirchen und Kleriker. Nach dem Tod Julians änderte sich die kaiserliche Politik wieder und begünstigte erneut die Caecilianer.

Donatus starb um 355 im Exil. Seine Nachfolge als Bischof der donatistischen Gemeinde in Karthago trat Parmenianus an. Er etablierte sich rasch als Wortführer der Donatisten und beförderte die Konsolidierung der donatistischen Kirche. Dazu trug auch seine schriftstellerische Tätigkeit bei. Die Schrift, gegen die sich Optatus wendet, gilt als sein Hauptwerk. Sie ist, wie viele andere Werke donatistischer Autoren, nicht mehr erhalten. Ihr Inhalt ist uns nur aus der Entgegnung des Optatus bekannt. Vermutlich entstand sie um das Jahr 364 und trug den Titel »Gegen die Kirche der Traditoren«. Zu einem Zeitpunkt also, als sich das Blatt wieder zugunsten der Caecilianer wendete, griff Parmenianus darin deren Anspruch an, die wahre Kirche zu sein.

Optatus orientiert sich in seiner Widerlegung am Aufbau der Schrift Parmenians. Sein Werk umfasst sechs Bücher. In einer zweiten Auflage fügte er, wahrscheinlich aus aktuellem Anlass, ein siebtes Buch an. Durchgehend bezeichnet er die Gemeinschaft seiner Gegner als schismatisch und grenzt sie von der rechtmäßigen, katholischen Kirche ab, der er selbst angehöre.

Im ersten Buch gibt er einen Abriss der Geschichte des Schismas und weist den Vorwurf zurück, dass seine Partei die Kirche der Bücherauslieferer und Schismatiker sei. Im zweiten Buch legt er sein Verständnis der Kirche dar und spricht den Gegnern ab, rechtmäßige Kirche Christi zu sein. Im dritten Buch sucht er nachzuweisen, dass die Gewalt von den Donatisten und nicht von den »Katholiken« ausgegangen sei. Die staatlichen Interventionen rechtfertigt er als göttliches Strafgericht an den Sündern. Im vierten Buch setzt er sich mit einigen Bibelstellen auseinander, die Parmenianus gegen die Caecilianer ins Feld geführt hatte. Im fünften Buch legt er sein Verständnis der Taufe dar und markiert, dass er hier einen fundamentalen Dissens zu seinen Gegnern sieht. Das sechste Buch bildet den polemischen Höhepunkt des Werks, indem es gewaltsame Ausschreitungen der Donatisten gegen die »katholische« Kirche und ihre Glieder aufzählt. In dem später angefügten siebten Buch schlägt Optatus dann versöhnlichere Töne an: Er begründet unter anderem, warum seine Seite bereit sei, die Donatisten in die Gemeinschaft aufzunehmen. Dabei stellt er die Mehrheitsverhältnisse im christlichen Nordafrika in gewisser Weise auf den Kopf.

Eine Reaktion donatistischer Leser auf die Argumentation des Optatus ist nicht mehr greifbar. Eine nachweisbare Wirkung hat Optatus aber auf einen späteren Gegner der Donatisten ausgeübt: Augustinus.

Die Schrift des Optatus stellt neben den Werken Augustins die wichtigste Quelle für den Verlauf des sogenannten »Donatistischen Streits« dar, der noch bis in das 5. Jh. hinein andauerte. Denn Optatus sucht seinen Gegner unter anderem dadurch zu widerlegen, dass er eine Darstellung der Genese des Schismas aus caecilianischer Sicht bietet und diese durch Dokumente belegt. Das zeigt, dass die historische Argumentation einen hohen Stellenwert in der Auseinandersetzung besaß. Eine Sammlung dieser Dokumente war ursprünglich der Schrift als Anhang beigefügt, wurde im Laufe der Überlieferung allerdings von ihr getrennt und liegt heute nur noch teilweise vor. Leider verzichtet Hermann-Josef Sieben in seiner Ausgabe darauf, die erhaltenen Dokumente zu bieten, obwohl sie bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden (eine französische Übersetzung findet sich bei J. L. Maier, Le dossier du donatisme, Berlin 1987/1989, eine englische Übersetzung bei Mark Edwards, Optatus Against the Donatists, Liverpool 1997, beide auf der Basis der Edition in CSEL 26, Wien 1893).

Die Schrift des Optatus ist aber auch in theologiegeschichtlicher Hinsicht von Bedeutung. Denn sie dokumentiert den Stand nordafrikanischer theologischer Diskussionen vor allem in Fragen der Ekklesiologie und der Sakramentenlehre, bevor Augustinus in die Debatten eintrat. Wichtige Eckpunkte des augustinischen Kirchen- und Sakramentsverständnisses finden sich hier vorbereitet.

Hermann-Josef Sieben hat die Schrift des Optatus auf der Basis des lateinischen Textes übersetzt, den Mireille Labrousse für die Ausgabe in den Sources Chrétiennes erstellt hat (SC 412.413, Paris 1995/1996). Ausgewählte Anmerkungen begleiten die Übersetzung. Voran geht eine wohltuend schlanke Einleitung, die alles enthält, was für das Verständnis der Schrift nötig ist. In ihr bietet Sieben die spärlichen Informationen zur Person des Optatus (Kapitel 1) und fasst die Forschungsdiskussion zur Entstehung und zum Umfang des Werkes zusammen (Kapitel 2). Dabei geht er auch auf das verlorene Werk des Parmenianus ein. Anschaulich skizziert er den Aufbau und den Gedankengang der Schrift des Optatus, die er in einer sehr hilfreichen, detaillierten Gliederungsübersicht zusammenfasst (Kapitel 4). Ein Kapitel ist der Rezeptionsgeschichte des Werks bei Augustinus gewidmet (Kapitel 5). Ein weiteres Kapitel zeichnet dann vor allem die Wiederentdeckung des Optatus in den konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jh.s nach. Ein Quellenverzeichnis, eine Auswahlbibliographie und mehrere Re-gister beschließen den Band.

Aus gutem Grund enthält die Einleitung keinen Überblick über die Geschichte des »Donatistischen Streits«. Denn angesichts fundierter und gut zugänglicher Darstellungen (zum Beispiel in der Theologischen Realenzyklopädie Bd. 1, 654–668) kann der Herausgeber darauf mit gutem Gewissen verzichten. Hermann-Josef Sieben gelingt auf diese Weise eine konzentrierte, auf die Erläuterung und Vermittlung des Textes ausgerichtete Ausgabe, die – ganz im Sinne der Initiatoren der Fontes Christiani – eine bislang vor allem Spezialisten bekannte Schrift der Aufmerksamkeit einer breiteren interessierten Leserschaft empfiehlt.