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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1206-1207

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Feldman, Ariel, and Liora Goldman

Titel/Untertitel:

Scripture and Interpretation. Qumran Texts that Rework the Bible. Ed. and introduced by D. Dimant.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. XII, 383 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 449. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-030298-1.

Rezensent:

Walter Bührer

Zahlreiche Texte aus der Zeit des Zweiten Tempels, die in den Höhlen von Qumran gefunden wurden, bieten Nacherzählungen von aus heutiger Sicht biblischen Texten und gewähren so Einblicke in deren frühe Auslegung. Seit der Beschreibung dieser Schriften als Rewritten Bible bzw. Rewritten Scripture wurden darunter insbesondere Texte verhandelt, die die Erzählungen und Gesetze des Pentateuch relativ ausführlich modifizierend nacherzählen, etwa das Jubiläenbuch, das Genesis Apokryphon, 4QReworked Pentateuch oder die Tempelrolle. Die vorliegende Studie hat sich die Aufgabe gesetzt, zehn bislang kaum im Zusammenhang mit der Frage nach Techniken und Hermeneutiken der Rewritten Scripture-Texte behandelte, eher kleine Texte aus Qumran in die Debatte einzuspeisen und gesammelt zugänglich zu machen. Die allesamt bereits in der Reihe Discoveries in the Judaean Desert publizierten Texte werden dazu hier neu ediert und kommentiert. Dabei beschränkt sich die Studie auf Texte mit pentateuchischem Material. Andere Rewritten Scripture-Texte, die im Rahmen des von Devorah Dimant geleiteten Forschungsprojektes untersucht wurden, wurden und werden separat publiziert (vgl. bereits Feldman, Ariel, The Rewritten Joshua Scrolls from Qumran. Texts, Transla-tion and Commentary, BZAW 438, Berlin/Boston 2014).
Der Band wird durch eine Einleitung von Devorah Dimant mit einem Abriss der Forschungsgeschichte zu den Rewritten Scripture-Texten sowie einer Einführung in die im vorliegenden Band bearbeiteten Texte eröffnet [1–11]. Ariel Feldman behandelt sodann neun verschiedene Texte [13–261], Liora Goldman das in vier Handschriften vorliegende Apocryphon of Moses [263–358].
Inwiefern die den behandelten Rewritten Scripture-Texten zugrunde liegenden Schriften angesichts der gerade in Qumran bezeugten Mehrzahl der Textformen des nachmaligen Alten Testaments als Bible bzw. Scripture bezeichnet werden können, wird in der Einleitung nur enttäuschend knapp andiskutiert (mit einem Plädoyer für die Verwendung von – groß geschriebenem – Scrip-ture). Entsprechend bleibt etwa offen (und anderweitiger Behandlung anheimgegeben), ob 1Q19 (Book of Noah) [15–42], der erste behandelte Text, überhaupt als Rewritten Scripture klassifiziert werden kann (11), geht der Text doch mehr mit 1Hen 7–9; 106–107 und GenAp II–V parallel als mit dem diesen Texten zugrunde liegenden Gen (5–)6. Feldman betont denn auch, dass die drei Texte aus einem gemeinsamen Schatz exegetischer Traditionen schöpfen, und stellt erneut die Identifizierung von 1Q19 mit dem sogenannten Book of Noah in Frage. Desgleichen wird auch die Bezeichnung von 2Q21 als Apocryphon of Moses (in der Überschrift entsprechend mit Fragezeichen versehen) [159–163] in Frage gestellt, da der Text, der von der Zeit der Wüstenwanderung der nachmaligen Israeliten (mit Nennung der Aaronsöhne und Wiedergabe eines Gebetes [Moses?]) berichtet, keinerlei Bezüge zu dem im gleichen Band von Goldman behandelten Apocryphon of Moses (s. u.) oder zu dem von Feldman behandelten Text 1Q22 (Words of Moses; s. u.) aufweist. 4Q370 (Admonition on the Flood) [43–72] stellt eine hochgradig intertextuell verwobene Komposition dar, die in Kolumne I die Sintfluterzählung aus Gen 6–9 bearbeitet (wobei Feldman in dem Text als hauptsächliche Sünde der vorsintflutlichen Menschen ihre Undankbarkeit gegenüber Gottes Großzügigkeit festmacht) und in Kolumne II eine Ermahnung darstellt, nicht gegen Gott zu rebellieren. Von der Sintfluterzählung handeln auch die acht vergleichsweise kleinen Fragmente von 4Q577 (Text Mention-ing the Flood) [73–82] sowie 4Q422 (Paraphrase of Genesis and Exodus) [83–129]: 4Q422 erzählt selektiv und mit einer Tendenz zur Harmonisierung Gen 1–3 (Kol. I), Gen 6–9 (Kol. II) sowie Ex 1–12 (Kol. III) nach, wobei die Plagenerzählung zusätzlich durch die poetischen Formulierungen von Ps 78; 105 beeinflusst ist. Da der Text die Strafen (zumindest die Flut und die Plagen) als Mittel zur Bekanntmachung der Ehre Gottes bezeichnet, eignet dem Text ein didaktisch-paränetischer Charakter. Eine didaktische Abzweckung wird auch für 4Q464 (Exposition on the Patriarchs) [130–158] erwogen, wobei 4Q464a als Frgm. 12 zu 4Q464 gezählt, Frgm. 5 von 4Q464 mit der Sintflutthematik jedoch als nicht zu dieser Rolle gehörig behandelt wird (4Q464b schließlich wird in einem Appendix dargeboten). Der Text berichtet, mit über den biblischen Text hinausgehenden Datierungen, von Abraham (Gen 11–22) und Jakob (Gen 28–34), spielt wohl auf den Verkauf Josephs nach Ägypten an (Gen 37) und erzählt die Hebammenerzählung aus Ex 1 nach. Wie 2Q21 (s. o.) handelt auch 4Q368 (4QApocryphal Pentateuch A) [164–194] von der Zeit der Wüstenwanderung: Die ersten beiden Fragmente bieten Ex 33,11–13 und 34,11–24 in einer dem masoretischen Text sehr nahestehenden Form (in Ex 34 mit dem Dtn harmonisiert), während die weiteren Fragmente in relativer Freiheit gegenüber dem masoretischen Text von der Ersetzung Aarons (Num 20) berichten und Ermahnungen enthalten. Ebenso frei erzählt 4Q377 (4QApocryphal Pentateuch B) [195–224] vom Aussatz Mirjams in Num 12 (scheinbar ohne die Frage nach dem Führungsanspruch Moses). Darüber hinaus enthält der Text eine Nacherzählung der Sinai-Offenbarung durch einen anderweitig nicht bekannten Eli­bach(ar?). Das narrative Setting von 1Q22 (Words of Moses) [225–261] ist dem Dtn nachgestaltet: Auf den göttlichen Verkündigungsauftrag folgt die Verkündigung des Gesetzes und die Ermahnung, die Gebote Gottes einzuhalten. Erhalten sind Anweisungen zum Sabbatjahr und zum Versöhnungstag, wobei die biblischen Grundlagentexte hierzu jeweils miteinander kombiniert werden.
Der zweite Teil des Buches, von Liora Goldman verantwortet, behandelt das in vier verschiedenen Handschriften mit jeweils unterschiedlichem Textbestand überlieferte Apocryphon of Moses (4Q375 [267–287]; 4Q376 [288–304]; 1Q29 [305–322]; 4Q408 [323–350]), das in Aufnahme von Gesetzen vor allem aus dem Dtn die zentrale Stellung des Hohepriesters in (Rechts-)Entscheidungen betont: in 4Q375 im Zusammenhang mit der Frage nach wahren und falschen Propheten und in 4Q376 beim Einholen eines Kriegsorakels mittels Urim. 1Q29 teilt die Szenerie der hohepriesterlichen Orakelanfrage mittels Urim, und die Gebete von 4Q408 schließlich teilen mit den vorangehenden Texten die Beschreibung des leuchtenden Gewandes des Hohepriesters.
Stellen- und Sach-Indizes beschließen den willkommenen Textband, der dazu einlädt, die präsentierten Texte nun auch methodisch für die Frage nach Intentionen und Methoden von Schriftauslegung auszuwerten.