Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1157-1159

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

[Johannsen, Friedrich]

Titel/Untertitel:

Was ist Bildung im Horizont von Religion?Festschrift für Friedrich Johannsen zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. M. Hofheinz u. H. Noormann.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2014. 219 S. m. Abb. = Religion im kulturellen Kontext, 3. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-025176-2.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Wie aus dem Vorwort der Herausgeber hervorgeht, handelt es sich einerseits um eine Festschrift und andererseits um die Dokumentation einer Ringvorlesung aus dem Sommersemester 2013 an der Universität Hannover, die durch weitere Beiträge ergänzt wurde.
Dem Charakter der Festschrift entspricht vor allem der erste Beitrag »Theologisch denken mit Friedrich Johannsen« (Thorsten Paprotny), der nicht zuletzt (werk-)biographisch ausgerichtet ist, der aber – bei dem dargestellten Kollegen nicht erstaunlich – doch auch auf das Thema des Bandes verweist. Auch die Auswahl der Autorinnen und Autoren – aus Wissenschaft, Praxis und Kirchenleitung vornehmlich im Umkreis Hannovers – verweist auf das Genre. Doch ist zugleich ein überaus lesenswerter Band entstanden, der verschiedene Bereiche vor allem des evangelischen Bildungsdenkens facettenreich beleuchtet: ökumenisches Lernen ( Ulrich Becker), Spiritualität (Alexandra Dierks), das Verhältnis von Bildung und Religion (Bernhard Dressler), biblisch-theologische Perspektiven zu Bildung (Klaus Grünwaldt sowie am Beispiel eines Einzeltextes [Gen 22] Jens Wening), Seelsorge und Bildung (Mat-thias Günther), ethische Dimensionen des Vorbild-Lernens (Marco Hofheinz), Religionssensibilität und Bildung (Silke Leonhard), Reformatorische Perspektiven am Beispiel Melanchthons (Rein-hold Mokrosch), das Verhältnis zwischen Religionsunterricht und Ethikunterricht bzw. Werte und Normen, wie das entsprechende Fach in Niedersachsen heißt (Harry Noormann), die Frage nach Lehrerkompetenzen im Religionsunterricht (Christiane Rösener/ Christine Althammer/Eileen Richter) und schließlich die Perspektive religiöser Rede im öffentlichen Raum im Anschluss an Schleiermacher (Frederike van Oorschot).
Naturgemäß lassen sich so unterschiedliche Beiträge in einer Rezension im Einzelnen nicht aufnehmen. Exemplarisch hervorgehoben seien wenigstens zwei Beiträge: Zum einen verdient m. E. der Beitrag von Hofheinz zum Vorbild-Lernen besondere Aufmerksamkeit, weil er aus systematisch-theologischer Perspektive eine sehr sorgfältige Auseinandersetzung mit verschiedenen pädago-gischen und theologischen bzw. religionspädagogischen Ansätzen zu diesem Thema bietet und dabei speziell auf »Impulse Dietrich Bonhoeffers« – als dem in Kirche und Religionspädagogik faktisch wichtigsten Vorbild – eingeht. Dieser Beitrag ist aufgrund seiner theologisch-interdisziplinären Ausrichtung bemerkenswert. Auch sein Fazit wird wohl weithin Zustimmung finden: Ohne Vorbilder geht es nicht, aber Vorbild-Lernen muss theologisch und pädagogisch reflektiert sein. Informativ und erhellend ist aus anderen Gründen der Beitrag von Silke Leonhard, die einen in religionspäda­gogischen Zusammenhängen zunehmend verwendeten Begriff – »Religionssensibilität« – aufnimmt und seine unterschiedlichen Verwendungszusammenhänge klärt. Die Forderung nach einer »religionssensiblen Erziehung« findet offenbar gerade in solchen Kontexten Zustimmung, in denen eine traditionell verstandene »religiöse Erziehung« auf Ablehnung stößt. Leonhard plädiert dafür, »Religionssensibilität als Kompetenz religionspädagogischer Professionalität« zu verstehen.
Auch wenn sich die Beiträge einer Ringvorlesung sicher nicht zu einem Gesamt zusammenfügen, lassen sie doch in exemplarischer Weise erkennen, welche Fragen im Verhältnis zwischen Bildung und Religion – im Religionsunterricht sowie an anderen Bildungsorten – in unserer Gegenwart verhandelt werden. Bemerkenswert sind dabei auch die verschiedenen Beiträge, die sich auf in diesem Zusammenhang eher ungewöhnliche Aspekte wie Spiritualität oder Seelsorge sowie deren Bildungsbedeutung beziehen. Der Zusammenhang von Bildung und Religion lässt sich nicht auf Schule oder Religionsunterricht beschränken. Insofern handelt es sich um ein gelungenes Beispiel dafür, wie mit einer Festschrift zugleich ein Beitrag zur Weiterentwicklung der religionspädagogischen Bildungsdiskussion geleistet werden kann.
Auffällig und aus Sicht des Rezensenten bedauerlich ist allerdings, dass der Band keinen erziehungswissenschaftlichen Beitrag einschließt. Ist das ein Anzeichen dafür, dass schon die Frage nach Religion nicht (mehr) an diese Disziplin denken lässt? Veröffentlichungen von zeitgenössischen Erziehungswissenschaftlern wie etwa Dietrich Benner machen allerdings deutlich, dass der Diskurs über Bildung und Religion auch in Zukunft nicht ohne die Erziehungswissenschaft geführt werden muss oder geführt werden sollte.