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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1144-1145

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Morse, Christopher

Titel/Untertitel:

Not Every Spirit. A Dogmatics of Christian Disbelief. 2. Aufl.

Verlag:

London u. a.: T & T Clark International (Blooms­bury) 2009. 448 S. Kart. £ 28,09. ISBN 978-0-567-02743-6.

Rezensent:

Johannes Zachhuber

Das hier anzuzeigende, in 2. Auflage erschienene Buch nimmt unter vorhandenen Einführungen in die Dogmatik eine besondere Stellung ein. Seine Grundidee besteht darin, den christlichen Glauben durch seine Ein- und Widersprüche zu beschreiben. In diesem Sinn spielt der Titel auf die biblische »Unterscheidung der Geister« (1Joh 4,1) an. Christopher Morse, der den Dietrich Bonhoeffer-Lehrstuhl am Union Seminary in New York innehat, schreibt also keinesfalls eine Dogmatik des Unglaubens, sondern des Zweifelns, des Protestes und der kritischen Nachfrage. Folgt man der von ihm gewiesenen Spur, fragt man sich bald, warum vor ihm nicht auch schon andere auf denselben Gedanken gekommen sind. Denn es ist doch in der Tat äußerst einleuchtend, dass sich die Stellung der theologischen Tradition zur Dogmatik als Ganzer sowie zu vielen Einzelfragen oft viel besser und einleuchtender als die Ablehnung bestimmter als falsch betrachteter Ansichten beschreiben und verstehen lässt. Auf diese Weise gelingt ihm auch eine bemerkenswert ökumenische Perspektive, sofern deutlich wird, dass im Laufe der Tradition eingenommene unterschiedliche und sogar kirchentrennende Positionen oft mehr verbindet, wenn man sie aus der Sorge um eine unbedingt abzulehnende Sichtweise versteht.
Was das Buch zu mehr als der Entfaltung einer pfiffigen Idee macht, ist die Ernsthaftigkeit, mit der M. diesen Grundgedanken tatsächlich durch alle dogmatischen Topoi durchführt. So wird die Gotteslehre aus dem Gedanken entwickelt, dass es in der christlichen Tradition darum geht, die Identifizierung Gottes mit einem Ding abzulehnen; die Trinitätslehre geht auf die beiden Weigerungen zurück, die in drei Personen begegnende Gottheit als solche zu unterscheiden und die Existenz dreier Götter zu akzeptieren. In der Entwicklung dieser Argumentation bietet das Buch das, was man von einem Lehrbuch erwartet: solide Information über die dogmatische Tradition in ihrer Vielfalt; eingehende Diskussionen wich­tiger Vertreter aus der Theologiegeschichte; insgesamt eine Einführung in die Dogmatik, die von ihrer Aktualität bestimmt ist und deshalb zum eigenen theologischen Fragen und Mitdenken anregt.
Natürlich kann man fragen, wie weit sich M.s Prinzip tatsächlich sinnvoll durchhalten lässt. In einigen Fällen liegt seine Rekonstruktion der »dogmatics of disbelief« ausgesprochen nahe, ist dann aber auch nicht so neu, wie es zunächst scheinen könnte: Dass sich Gott eher durch Verneinungen als durch Affirmationen beschreiben lässt, ist von je her die These der theologia negativa gewesen. In anderen Fällen kann man hingegen fragen, ob die von ihm angeführten Beispiele nicht einfach in ihr Gegenteil verkehrte Affirmationen sind: Ist die Annahme, dass in den drei trinitarischen Personen ein und derselbe Gott begegnet, wirklich primär die Ablehnung des Polytheismus, oder ist es nicht letztlich doch eine positive These? Unbeschadet solcher Fragen, die sich an ein so anspruchsvolles und umfassendes Werk selbstverständlich immer stellen lassen, handelt es sich jedoch bei M.s Einführungswerk um ein wichtiges Buch, dem man auch in Deutschland viele Leser wünscht.